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Kriegsversehrung und Ehrgefühl

Lessings Minna von Barnhelm ist die deutsche Komödie par excellence - und doch ein Stück, das die Verheerungen des Krieges in Psyche und Moral beschreibt. Es gehört zum Kanon der Bühnenliteratur und als das Wiener Burgtheater 1955 seine Wiedereröffnung feierte, stand "Minna Barnhelm" selbstverständlich auf dem Spielplan. Ein halbes Jahrhundert später rekurriert das Burgtheater zur Feier seines Jubiläums auf diese Klassiker. Andrea Breth, der "Burg" seit 1999 als Hausregisseurin verbunden, hat sich Lessings Lustspiel angenommen und den Konflikt um Ehre, Geld und Liebe neu inszeniert.

Von Günther Kaindlstorfer |
    Der Applaus war freundlich nach drei durchwachsenen Theaterstunden, dennoch vermochte Andrea Breths Inszenierung der "Minna von Barnhelm" eine Frage nicht zu beantworten: Warum ist Lessings bleifüßige Komödie heute noch aufführenswert? Dass sich ein Mann aus bloßen Ehrenerwägungen heraus der Liebe einer Frau verweigert, der er doch von Herzen zugetan ist, wer mag derlei heute noch nachvollziehen?

    Dabei gibt sich Andrea Breth alle Mühe, das Lustspiel rund um Minna von Barnhelm und den preußischen Major Tellheim und seine Liebeshändel mit Minna von Barnhelm in aktuellem Licht erscheinen zu lassen. Sven Eric Bechtolf spielt den preußischen Schlachtenveteranen Tellheim, der mittellos aus dem Siebenjährigen Krieg nach Berlin zurückkehrt. Der Major glaubt sich durch die Umstände seiner Entlassung in seiner Ehre gekränkt, er fühlt sich der Liebe seiner Verlobten Minna von Barnhelm nicht mehr würdig.

    "Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der in seiner Ehre Gekränkte, der Krüppel, der Bettler. Jenem, mein Fräulein, versprachen Sie sich. Wollen Sie diesem das Wort halten?" Minna sagt: "Das klingt sehr tragisch."

    Ist's Tragödie, ist's Komödie? Das ist bei "Minna von Barnhelm" lange Zeit nicht ganz klar. Erst nach ein, zwei Akten Zeit kristallisiert sich die heitere Stoßrichtung des Ganzen heraus.

    Andrea Breth inszeniert das Lessingsche Lustspiel in modernem Ambiente. Das szenische Geschehen vollzieht sich in einem Abbruchhaus in zerschlissenem 70er-Jahre-Stil, Bühnenbildnerin Annette Murschetz hat ein Interieur in abgefuckter "Palast-der-Republik"-Ästhetik auf die Bühne gestemmt, ganz im Sinne Lessings wohl, der seine "Minna" dezidiert als Gegenwartsstück konzipiert hat.

    Dabei galt des Musterlustspiel des deutschen Paradeaufklärers lange Zeit als rettungslos von gestern. Eine Einschätzung, die Regisseurin Andrea Breth nicht nachvollziehen kann.

    " Es geht um die Entwürdigung eines Menschen. Und wir empfinden es alle als entwürdigend, wenn wir beispielsweise auf dem Gang nicht anständig gegrüßt werden. Man fühlt sich sehr schnell entehrt, wir tun immer so, als gäbe es das für uns nicht mehr, als wäre das was Altmodisches. Ich will's aber nicht auf das reduzieren: Es geht um einen Mann, der von einem Tag auf den anderen aus dem gewohnten Leben fällt. Gestern war er noch ein strahlender Kriegsheld, heute wird er schon als Verbrecher behandelt. "

    Andrea Breth kann sich auf ein hochkarätiges Ensemble stützen: Neben Sven Eric Bechtolf, Udo Samel und Cornelius Obonya brilliert vor allem Sabine Haupt in ihrer ersten großen Rolle am Burgtheater. Sie spielt Minna von Barnhelm als quirlige junge Frau, die ihrem Tellheim in inniger Liebe zugetan ist.

    "Er hat das rechtschaffenste Herz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt. Er spricht von keiner Tugend, denn ihm fehlt auch keine."

    Für Regisseurin Andrea Breth ist Minna von Barnhelm eine der spannenden Frauengestalten der deutschen Bühnenliteratur.

    " Es ist die erste emanzipierte Rolle, die ich außer der Antike gelesen habe. Sie ist gleichwertig, sie will gleichen Wert. Emanzipation heißt allerdings nicht, dass einer den anderen unterdrückt, es heißt, dass man sich auf Augenhöhe begegnet. "

    Ende gut, alles gut, auch bei Lessing: Am Schluss kriegt Minna ihren Tellheim, und auch auf Dienstbotenebene finden zwei einsame Herzen nach bewährtem Muster zueinander. So what, sagt man sich, nachdem man drei Stunden lang Anteil am zum Teil doch recht langatmigen Treiben genommen hat: Dass Männer und Frauen sich finden, obwohl sie nicht wirklich zueinander passen, wusste man schon. Die einen sind bekanntlich von der Venus, die anderen angeblich vom Mars. Diese doch eher schlichte Erkenntnis lässt sich in einem einzigen, dem eben zitierten Satz ausdrücken. Der alte Lessing brauchte dafür etwas länger.