Kriegswirtschaft
Wenn Staaten alles auf den Sieg ausrichten

Russlands Krieg gegen die Ukraine bringt nicht nur großes menschliches Leid mit sich, er verschlingt auch Unmengen an Ressourcen. Oft stellt ein Staat in solchen Fällen auf Kriegswirtschaft um. Das hat große Konsequenzen

    Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu besucht eine Fertigungshalle für Artilleriemunition
    Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu besucht eine Fertigungshalle für Artilleriemunition (IMAGO / ITAR-TASS / IMAGO / Vadim Savitsky)
    Für den Ausgang eines Krieges ist die Wirtschaftskraft einer Volkswirtschaft und die Organisation ihrer Ressourcen mitentscheidend. Das war in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts der Fall und dürfte auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine so sein. Ab einem gewissen Punkt spricht man von einer „Kriegswirtschaft“.

    Inhaltsübersicht

    Was versteht man unter Kriegswirtschaft?

    Kriegswirtschaft bedeutet, „dass im Krieg alles dem Kriegsziel untergeordnet wird und auch deshalb der Wirtschaft andere Strukturen vorgegeben werden“, sagt der Ökonom Tilman Brück, Gründer und Direktor des International Security and Development Center an der Berliner Humboldt-Universität. Kurz: Der Staat übernimmt die Kontrolle, die Wirtschaft folgt seinen Zielen.

    Was für Auswirkungen hat eine Kriegswirtschaft?

    Eine Kriegswirtschaft wirkt sich massiv auf die Finanzpolitik aus. Der Staat kauft Waffen und Munition, bezahlt die Armee und baut seine militärische Infrastruktur aus. Dafür muss er altes Vermögen verwerten, Steuern erheben, Ausgaben kürzen oder sich verschulden.
    Dazu kommt es zu großen ökonomischen Strukturveränderungen. Zum Beispiel sorgt der Staat durch Vorgaben oder Anreize dafür, dass Unternehmen die Produktion von Kriegsgütern ankurbeln – zulasten anderer Güter. Überwiegend werden Männer einberufen, diese stehen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. So kam es während des Zweiten Weltkriegs dazu, dass tausende Frauen in Berufen arbeiteten, die vorher nur Männern vorbehalten gewesen waren.

    Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg

    Im Jahr 1915 haben die Alliierten eine Seeblockade gegen das deutsche Kaiserreich etabliert und damit Versorgungsengpässe ausgelöst. Das Kaiserreich setzte auf Zwangsbewirtschaftung und Rationierung der Nahrungsmittel. Man baute weniger Kartoffeln und mehr Steckrüben und Kohl an, die kaum Kunstdünger brauchten, denn dessen Grundstoff Ammoniak wurde für die Herstellung von Sprengstoff und Munition gebraucht.
    Die Kriegswirtschaft führte so zu einer Hungersnot, dem Steckrübenwinter von 1917. Die Menschen konnten sich nicht mehr richtig versorgen und die Unzufriedenheit wurde „so groß, dass einem diese Kriegswirtschaft auch nicht mehr weitergeholfen hat“, berichtet der Historiker Jan Claas Behrends. Die Mütter- und Kindersterblichkeit stieg dramatisch an, Tuberkulose verbreitete sich. All dies zermürbte die Menschen.

    Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg

    Großbritannien hat während des Zweiten Weltkriegs auf Kriegswirtschaft umgestellt und trotzdem musste die Bevölkerung nicht leiden: Dank der Erfindung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung konnten die Briten ausrechnen, wie sie möglichst viele militärische Güter herstellen und gleichzeitig die Bevölkerung ausreichend ernähren konnten. Großbritannien gab mehr als die Hälfte seines Bruttoinlandsproduktes für sein Militär aus, dennoch mussten die Briten nicht hungern.
    Auch die Nationalsozialisten stellten die deutsche Wirtschaft auf Krieg um. 1935 stellte ein Viertel der deutschen Industrie Kriegsgüter her. Diese expansive Aufrüstung brachte viele Arbeitslose in Beschäftigung.  Auf eine Kriegswirtschaft, also die komplette Unterordnung der Ressourcenzuteilung unter das Kriegsziel, stellten die Nationalsozialisten aber erst in den letzten Kriegsjahren um. Dafür setzten sie in großem Ausmaß Kriegsgefangene und Insassen von Konzentrationslagern als Arbeitssklaven ein.

    Das heutige Russland und die Kriegswirtschaft

    Im Russland des Jahres 2024 sind laut dem Ökonom Janis Kluge bestimmte Merkmale von Kriegswirtschaft noch nicht gegeben, denn bei einer Kriegswirtschaft würde der Staat viel stärker in Wertschöpfungsketten und Produktion durchgreifen. „Auch die Menge, die die russische Rüstungsindustrie aktuell produziert, bleibt weit hinter historischen Beispielen zurück.“
    Anders sieht es Jan Claas Behrends: „Ich glaube tatsächlich, dass man in Russland seit dem Herbst 2022 von einer Kriegswirtschaft sprechen kann.“ Laut dem international anerkannten Stockholmer International Research Institut, kurz SIPRI, investiert Russland zurzeit rund sieben Prozent seiner Wirtschaftsleistung in das Militär und seinen Sicherheitsapparat, etwa doppelt so viel wie vor Kriegsbeginn. In der Rüstungsindustrie seien seit dem Kriegsbeginn vor zwei Jahren rund eine halbe Millionen Jobs entstanden.
    Die Sanktionen aus dem Westen führen zu einer weiteren Umstrukturierung: Wichtige Waffenbauteile wie Halbleiter und Sensoren bezieht Russland heute aus umliegenden Ländern wie China und Kasachstan. Das Programm der Importsubstitution hat laut dem Slawisten und Journalisten Volker Weichsel „einen riesigen Auftrieb“ erlebt – mit Folgen für die Europäische Union, die USA und alle anderen, die Sanktionen gegen Russland erlassen haben.

    Kriegswirtschaft in der Ukraine

    In der Ukraine hat der russische Angriff die Wirtschaft hart getroffen, vor allem aufgrund der Zerstörungen und dem Verlust von Gebieten und Bevölkerung. Die Ökonomin Olga Pindyuk vom Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche zählt auf: „Das Bruttoinlandsprodukt ist um 30 Prozent gesunken, Bevölkerung und Staat sind jeweils um 15 Prozent geschrumpft.“
    Zudem kam es zu großen Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, weil erhebliche Teile der Wirtschaft zerstört wurden oder verloren gingen, etwa das Stahlwerk in Mariupol. Aber die Wirtschaft der Ukraine zeichne sich bislang nicht durch eine starke Zentralisierung in der Hand der Regierung aus, wie sie typisch ist für eine Kriegswirtschaft.
    Im Fall der Ukraine sei der Großteil der wirtschaftlichen Aktivitäten marktgetrieben, aber der Staat übt auch als Käufer einen immensen Einfluss auf das Angebot aus und verändert so die Strukturen. „Dass Fabriken dann Profit darin erkennen, Munition herzustellen, das muss gar nicht staatlich angeordnet sein. Aber es ist dann profitabel, statt Autos Panzer zu produzieren. Und so wird der Staat ein wichtiger wirtschaftlicher Akteur“, sagt der Ökonom Tilman Brück.
    Dass auch die ukrainische Wirtschaft eine Kriegswirtschaft geworden ist, sei laut Volker Weichsel „offensichtlich“. Er verweist auf den sogenannten Militarisierungsindex des Bonner Instituts für Konversionsstudien, der unter anderem das Verhältnis von Militärapparat und ziviler Gesellschaft misst. „Mittlerweile ist die Ukraine die militarisierteste Gesellschaft der Welt.“

    Langfristige Folgen einer Kriegswirtschaft

    Es mag wirtschaftlich zwar Profiteure von Kriegen geben, aber gesamtwirtschaftlich gesehen zerstören Kriege in großem Ausmaß Wohlstand. Zudem ist es schwierig, eine Kriegswirtschaft wieder auf eine Friedenswirtschaft umzustellen.
    Das zeige besonders das Beispiel von Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg, sagt Jan Claas Behrends, wo bis weit in die 1950er Jahre Güter rationiert werden mussten. „Man kann die Kriegswirtschaft ja auch nicht einschalten und dann am nächsten Tag wieder ausschalten, sondern das sind langfristige Steuerungsprozesse, die da ablaufen“. Das werde man in den nächsten Jahren auch in Russland sehen.