Simferopol auf der Krim. Lisa Bogutskaja, Designerin und Bloggerin, steigt in ihr Auto. Außen ist eine Borte auflackiert, weiß mit rotem Zickzack, ein traditionelles ukrainisches Muster. In der Konsole steckt ein ukrainisches Fähnchen. Bogutskaja dreht die Musik lauter, die ukrainische Nationalhymne. Ihr Zeichen des Protests gegen die russische Annexion der Krim.
Das war vor einem Jahr. Und es war mutig. Die meisten Krimbewohner, die mit der neuen Macht nicht einverstanden waren, hatten die Halbinsel im letzten Sommer bereits verlassen und waren auf das ukrainische Festland gezogen.
"Ich war überzeugt, dass ich niemals weggehe. Dann aber wurde mein Haus durchsucht, ich wurde verhört, sechs Stunden lang. Danach war mir klar: Wenn ich heute nicht wegfahre, werde ich morgen festgenommen."
Das war Anfang September. Noch in derselben Nacht reiste sie ab. Jetzt lebt die 52-Jährige in Wyschgorod, einem Vorort von Kiew. Sie hat dort eine Wohnung in einer Hochhaussiedlung gekauft. Die ist aber noch nicht eingerichtet, deshalb trifft sich Bogutskaja lieber in einem Café. Sie bestellt Kräutertee.
"Ich habe damals so gut wie nichts eingepackt. Ich wusste nicht, für wie lange ich fahre und wohin. Ich hatte frische Unterwäsche, eine Zahnbürste, ein Handtuch dabei. Eine warme Jacke für die Nacht. Und Sportsachen, weil ich morgens laufe."
Lisa Bogutskaja fuhr zunächst nach Odessa, dann nach Kiew. Auf der Krim fürchtet sie, wegen Aufrufen zum Separatismus angeklagt zu werden. Sie hatte in sozialen Medien immer wieder geschrieben, dass die Krim zur Ukraine gehöre. Nach russischem Recht ist das strafbar.
Bis zu 40.000 haben die Krim verlassen
In Kiew lebt sie nun von Ersparnissen. Sie verfolgt die Entwicklungen auf der Krim, bloggt, und sie hilft anderen Übersiedlern von der Krim. Zwischen 20 und 40.000 sollen es mittlerweile sein. Freiwillige haben ein Unterstützernetzwerk aufgebaut. Sie vermitteln Jobs, sammeln und verteilen Spenden, finden kostenlose Unterkünfte, helfen bei Rechtsfragen. Der Staat dagegen tue fast nichts für die Übersiedler, meint Bogutskaja.
"Gestern ist meine Freundin von der Krim gekommen, heute haben wir sie als Übersiedlerin angemeldet. Jetzt bekommt sie ein halbes Jahr lang eine Unterstützung, aber es ist so wenig Geld, dass sie davon nicht leben kann. Wir leben hier nur dank der Unterstützung von Freiwilligen."
Umgerechnet rund 17 Euro Sozialhilfe erhalten die Übersiedler im Monat. Viele von ihnen haben Verständnis dafür, dass die staatlichen Mittel begrenzt sind.
Ein Park in Kiew. Etwa fünfzig Menschen haben sich versammelt: Krimtataren. Sie begehen den Tag ihrer Fahne. Junge Leute halten ein riesiges hellblaues Tuch gespannt. Die Krimtataren machen den größten Teil der Übersiedler von der Halbinsel aus. Der Jurist Usein kam bereits im März 2014, kurz nach der Annexion durch Russland. In Kiew lebt er in einem Wohnheimzimmer.
"Beruflich habe ich nichts verloren. Ich war auf der Krim bei einer Fabrik angestellt, hier in Kiew arbeite ich jetzt in einer Kanzlei. Vom Staat erwarte ich nichts. Er behindert mich nicht. Das ist schon Hilfe genug. Es gibt ja befristete Unterkünfte und etwas Sozialhilfe. Mehr darf man nicht fordern. Denn das Land ist im Krieg mit Russland. Der Staat tut, was er kann."
Zumal ja noch die Binnenflüchtlinge aus dem Donbass dazukommen – nach Behördenangaben mehr als eine Million Menschen.
Die Krimtataren eint die Hoffnung, eines Tages in ihre Heimat zurückzukehren. Die Bloggerin Lisa Bogutskaja wirft der ukrainischen Regierung vor, sie tue nicht genug, um die Halbinsel zurück zu bekommen, habe sich insgeheim sogar mit dem Verlust der Krim abgefunden.
Die Krimtataren eint die Hoffnung, eines Tages in ihre Heimat zurückzukehren. Die Bloggerin Lisa Bogutskaja wirft der ukrainischen Regierung vor, sie tue nicht genug, um die Halbinsel zurück zu bekommen, habe sich insgeheim sogar mit dem Verlust der Krim abgefunden.
Bogutskaja sieht ihre Zukunft deshalb in Kiew. Ihr Haus in Simferopol hat sie zum Verkauf angeboten. Ihr Mann will nächsten Monat nachkommen. Und dann wollen sie gemeinsam ein kleines Haus bauen.
"Ich möchte die Familie zusammenführen, arbeiten, Design machen, einfach leben. Reisen. Tomaten und Gurken anbauen. Für die Familie, für mein Land und für meine Freunde da sein."