Dirk Müller: Den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen und dazu noch eine Prise kleinster Sanktionen. Ist das genug, ist das wirksam, um Wladimir Putin zur Räson zu bringen, auf den Pfad der Tugend, der Verlässlichkeit zurückzubringen? Mehr kann und will die westliche Staatengemeinschaft in dieser Situation offenbar nicht tun, auch Barack Obama nicht, auch die Kanzlerin nicht. Die USA und die Europäische Union, sie loben sich in diesen Tagen gegenseitig dafür, entschlossen mit einer Stimme zu sprechen und zu handeln in der Ukraine-Krise. Aber warum ist es so weit gekommen, dass die Halbinsel am Schwarzen Meer bereits verloren ist für immer an Russland? Darüber habe ich mit dem amerikanischen Botschafter in Deutschland, John B. Emerson, gesprochen. Herr Botschafter, wussten Sie, dass Wladimir Putin nach der Krim greifen wird?
"Verletzung internationalen Rechts"
John B. Emerson: Nun, ganz offenkundig konnten wir nicht vorwegnehmen, was die Russen dort vor hatten, insbesondere da es ja eine Verletzung internationalen Rechts war und auch eine Verletzung der Vereinbarungen von Budapest, die die Russen vor ziemlich genau 20 Jahren unterzeichnet hatten. Schließlich wäre es ja immer noch möglich gewesen, dass die begründeten Besorgnisse Russlands, was den Schutz der russischen Staatsbürger in Ukraine und auf der Krim anginge, durch offene diplomatische Kanäle hätten bewältigt werden können und übrigens auch immer noch bewältigt werden können.
Müller: Das heißt, auch der Präsident wusste nichts davon?
Emerson: Nun, dann würde das ja bedeuten, dass man die Gedanken von jemandem läse. Selbstverständlich war erkennbar, dass hier eine gewisse Ansammlung von Kräften zu beobachten ist, aber es herrschte der Wunsch, dass Präsident Putin weiterhin das Völkerrecht einhalten würde, dass er statt auf Gewalt auf diplomatische Mittel zur Erreichung seiner Ziele setzen würde. Eines ist auch klar, dass die Staaten der G7, die am Montag in Brüssel zusammengetroffen sind, sehr klarsichtig sind in dem, was geschehen ist und was nun zu geschehen hat.
Müller: Das heißt, wenn Sie alle nichts davon wussten, haben Ihre Geheimdienste versagt?
Emerson: Nun, ich bin hier sicherlich nicht befugt zu sagen, ob wir wussten, was vorbereitet oder geplant wurde. Es liegt doch auf der Hand, dass gewisse Maßnahmen erkennbar waren, dass irgendeine Art von Invasion auf der Krim stattfinden würde. Dennoch kann man nicht im entferntesten von einem Versagen der Aufklärung sprechen. Vielmehr war es einfach die Situation, dass ein Staat einseitig entschlossen war, das Völkerrecht zu brechen.
Müller: Sie waren nicht vorbereitet?
Emerson: Nein, das würde ich so nicht sagen. Es bedeutet einfach nur, dass wir sehr wohl vorbereitet sind, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, angesichts dessen, was geschehen ist und was geschehen wird.
Müller: Also können Sie nur reagieren?
Politische Geschlossenheit wichtig
Emerson: Nun ja, so ist das im Leben. Ich hoffe doch, dass wir nicht in einer Welt leben, wo die eine Seite aufgrund dessen, was sie den anderen an Gedanken unterstellt, bereits Maßnahmen ergreift. Wollen Sie etwa nahelegen, dass die USA von sich aus Sanktionen hätten ergreifen sollen?
Müller: Aber vielleicht wussten Sie ja, was Angela Merkel über die Krise gedacht hat?
Emerson: Ich meine, Angela Merkel hat sich hier als sehr hellsichtig erwiesen. Sie weiß bescheid über Russland, sie ist ja im ehemaligen Osten aufgewachsen. Sie hat eine herausragende Führungskraft bewiesen, ebenso wie Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister. Wichtig ist: Präsident Obama, Kanzlerin Merkel, der US-Außenminister Kerry und Außenminister Steinmeier haben sich als sehr geschlossen erwiesen gegenüber dem, was auf der Krim geschieht, sowohl bei dem Vorhersehen wie bei dem sich darauf einstellen und bei der Reaktion darauf. Ebenso stehen sie geschlossen hinter den politischen Maßnahmen, die die Nationen der G7 im Augenblick umsetzen.
Müller: Herr Botschafter, Stichwort NSA-Affäre. Warum konnten Sie nicht das Handy von Wladimir Putin abhören?
Emerson: Nun, ich werde Ihnen hier sicher nicht darlegen, was die Nachrichtendienste mitbekommen können oder nicht. Aber ich gehe doch davon aus, dass kein führender Politiker in der heutigen Welt töricht genug ist, Planungen vertraulicher Art in einem Forum anzustellen, wo er von anderen abgehört werden könnte.
"Das Vorgehen Russlands war bisher widerrechtlich"
Müller: Amerikaner zeichnen ja häufiger rote Linien. Ist der Osten der Ukraine die rote Linie?
Emerson: Nein! Es ist durch keine Erklärung hier eine rote Linie gezogen worden. Die Aussage der Erklärung von Den Haag durch die G7-Staaten ist eindeutig. Man wird weiterhin die Vorgänge genau beobachten. Das Vorgehen Russlands war bisher widerrechtlich, es war eine Verletzung des Völkerrechtes. Kosten und Konsequenzen fallen dadurch an. Das weitere Verhalten wird weiterhin beobachtet und es werden ernsthaftere Kosten und Konsequenzen zu gewärtigen sein, falls weitere derartige Schritte in Verletzung des Völkerrechtes erfolgen. Zugleich aber bestehen immer auch Chancen, dass durch diplomatische Schritte der Russen im Dialog mit Staaten der EU oder im Rahmen der OSZE oder mit anderen Organisationen, deren Mitglied Russland ist, auf andere Weise, auf diplomatische Weise die legitimen Besorgnisse Russlands ausgeräumt werden. Das ist auch der Weg, von dem wir hoffen, dass Russland ihn einschlagen wird.
Müller: Was bedeutet das, höhere, schmerzhaftere Kosten, Sanktionen?
Emerson: Nun, das wurde ja in der Presse bereits spekuliert und auch durch Erklärungen von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Obama angedeutet. Es sind ernstere Sanktionen.
Müller: Das heißt Wirtschaftssanktionen?
Emerson: Auch hier möchte ich mich nicht in Spekulationen ergehen, welche Sanktionen, auf welche weiteren Maßnahmen hin erfolgen könnten. So viel sei nur gesagt, dass die Staaten der G7-Gruppe einig sind in ihrer Entschlossenheit, einem weiteren Anwachsen der Spannungen mit schärferen Sanktionen zu begegnen. Wie das im einzelnen aussieht und wie es umgesetzt wird, das wird dann jedenfalls erst zu gegebener Zeit entschieden werden.
Müller: Herr Botschafter, ist Wladimir Putin ein Partner oder ein Feind?
Emerson: Ich meine, er ist der führende Politiker eines wichtigen Landes, von dem wir hoffen, dass es langfristig sich zur Weltgemeinschaft bekennt, dass es das internationale Recht einhält, sich einsetzt für den internationalen Handel, dass es die Menschenrechte und die Würde der Menschen, die in dem Staatsgebiet leben, achtet und auch achtet Würde und Rechte der Nationen, die seine Nachbarn sind.
"Ausnutzung von diplomatischen Kanälen zur Lösung der Krim-Krise"
Müller: Kann man ihm jemals noch einmal vertrauen?
Emerson: Ja wissen Sie, die Antwort ist schwer. Vertrauen ist jedenfalls etwas, was Zeit braucht. Wir gehen jedenfalls davon aus, wenn es zu weiteren diplomatischen Gesprächen zwischen Russland und uns kommt, zwischen dem Präsidenten und anderen, dann ist das gut. Übrigens finden jetzt auch bereits Gespräche zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Putin, zwischen Präsident Obama und Präsident Putin statt, zwischen John Kerry und dem Außenminister Lawrow, und diese Ausnutzung von diplomatischen Kanälen zur Lösung der Krim-Krise ist sicherlich das geeignete Mittel, um Vertrauen wieder aufzubauen.
Müller: Stichwort Vertrauen, Stichwort NSA – haben die Amerikaner unser Vertrauen gebrochen?
Emerson: Ich habe das bereits gleich beim Verlassen des Flugzeuges gesagt, damals im August, ehe noch die Enthüllungen über das Abhören des Handys der Kanzlerin erfolgt sind. Es wäre meine wichtigste Aufgabe, das Vertrauen zwischen den beiden Nationen, das erschüttert worden war, wiederherzustellen.
Müller: Haben die Amerikaner Vertrauen gebrochen?
Emerson: Nun, wenn Sie nach USA schauen, dann werden Sie sehen, es gibt dort jede Menge Bürger, die ebenfalls besorgt sind über das Handeln der Nachrichtendienste. Sie sehen also, diese Diskussion läuft sowohl in den USA wie auch in Deutschland.
Müller: Bei uns hier im Deutschlandfunk der amerikanische Botschafter in Berlin, John B. Emerson.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.