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Krim-Krise
Putin, der Unkalkulierbare

Für Kazimierz Wóycicki von der Uni Warschau bietet das Verhalten von Russlands Präsident Putin großen Anlass zur Sorge an der Ostgrenze der NATO. "Die militärische Lage ist dort sehr schwierig, falls Putin noch verrückt wird", sagte der Politologe im Deutschlandfunk. Europäer und Amerikaner müssten "ein psychologisches Gleichgewicht" schaffen.

Kazimierz Wóycicki im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Die ukrainische Halbinsel Krim von der Ukraine abzuspalten, gestern sind die prorussischen Kräfte einen entscheidenden Schritt weitergegangen. Das Parlament auf der Krim hat sich für unabhängig erklärt. Russland begrüßt das. Die Zentralregierung in Kiew, die Europäische Union und die USA auf der anderen Seite kritisieren das Vorhaben als völkerrechtswidrig. Vor diesem Hintergrund ist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gestern an der Ostgrenze der NATO unterwegs gewesen. Er hat Estland, Lettland und Litauen besucht. Die baltischen Länder liegen direkt an der Grenze zu Russland.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel reist heute zu Gesprächen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Tusk nach Warschau. Es geht natürlich um die Ukraine. – Am Telefon ist Kazimierz Woycicki vom Institut für Oststudien an der Universität Warschau. Guten Morgen!
    Kazimierz Woycicki: Guten Morgen.
    Kaess: Herr Woycicki, schauen wir zunächst einmal zurück auf den Besuch von Außenminister Steinmeier gestern im Baltikum. Wie groß, denken Sie, ist die Nervosität an der Ostgrenze der NATO, also in den baltischen Staaten?
    Woycicki: Dort ganz bestimmt ganz groß. Erstens: Die sind ehemalige sowjetische Republiken. Das ist schon eine Ursache für große Sorge. Zweitens: Die militärische Lage ist dort sehr schwierig, falls Putin noch verrückt wird, und das ist leider so, wir können nur vermuten, was im Kopf dieses Mannes heute vorgeht. Die historische Erfahrung der Menschen dort ist sehr schwierig. Zusätzlich haben sie alle ganz große russische Minderheiten. Diese neue Putin-Doktrin kann die Ursache für verschiedene Provokationen werden und das muss die Leute dort nervös machen.
    Kaess: Herr Woycicki, um es mal mit Ihren Worten zu fragen: Glauben Sie tatsächlich, dass Putin so verrückt, wie Sie es gerade gesagt haben, werden würde, tatsächlich in einen NATO-Land einzugreifen?
    Woycicki: Das ist natürlich noch kaum wahrscheinlich. Aber sein Benehmen ist schon, seine Politik ist schon unkalkulierbar, und das ist das Problem. Was er in der Krim macht, ist, was wir uns noch zwei, drei Monate vorher nicht vorstellen konnten. Nur einige spekulieren und es gibt schon Signale, dass auch eine Invasion in die Ukraine möglich ist, und das gibt natürlich Anstoß für alle möglichen Ängste in der ganzen Umgebung, aber ich meine, für ganz Europa im Grunde genommen und für die Welt, weil dann drohen ungeheuere Konsequenzen.
    Kaess: Und eine Schlüsselfunktion haben hier die russischen Minderheiten. Wie sehr orientieren sich die russischen Minderheiten in den baltischen Staaten denn an Moskau?
    Woycicki: Bis heute gibt es keine Signale, dass das dort passiert. Ich hatte mit diesen Problemen ein bisschen zu tun. Das ist ein sehr komplizierter Prozess der Integration dieser Gruppen. Einige fühlen sich nur als Russen, aber einige meinen, das ist schon viel besser in diesen demokratischen offenen Gesellschaften zu leben, und in dem Sinne integrieren sie sich.
    Kaess: Bundeskanzlerin Merkel besucht heute Warschau. Polen hat sich ja auch in der letzten Woche schon mal an die NATO gewandt, weil es sich bedroht fühlt. Was genau befürchtet man denn in Warschau durch die Krim-Krise?
    Woycicki: In Warschau denkt man, die einzige Methode, Putin zu stoppen, ist sehr starke europäische Solidarität, auch eine amerikanisch-europäische Solidarität. Die Amerikaner sind hier natürlich enorm wichtig wegen nuklearer Waffen. Die können sozusagen das russische Potenzial als einzige ausgleichen. Ich meine nicht, dass man diese Waffen nutzen kann, aber dass man sozusagen ein psychologisches Gleichgewicht schafft. Und die deutsch-polnische Kooperation hat hier eine Schlüsselrolle, weswegen diese beiden Länder am besten einschätzen können, was im Osten passiert. Sie haben verschiedene Erfahrungen und für die anderen Länder vermutlich ist es noch ein bisschen abstrakt, und deswegen ist dieser Besuch in Warschau in diesem Moment enorm wichtig.
    Kaess: Herr Woycicki, wir haben nicht mehr viel Zeit, aber ich möchte diesen Punkt noch kurz unterbringen. In diesem Zusammenhang hat der polnische Ministerpräsident Tusk Deutschlands Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen kritisiert. Was verlangt denn Polen von Deutschland hier?
    Woycicki: Diese Politik von den Deutschen schätzt man sehr oft in Warschau als naiv ein: Zu viel Vertrauen früher und eine Energiepolitik, die ganz Europa – das ist die Konsequenz – abhängig von Russland macht. Ich hoffe, dass diese Probleme auch diskutiert werden können. Es ist bewundernswert, dass die Deutschen hoffen, alternative Ressourcen für Energie zu haben, aber das ist eine Zukunftsperspektive und wenn wir diese Situation haben wie heute …
    Kaess: … sagt Kazimierz Woycicki. Ich muss Sie leider hier abbrechen, denn wir laufen auf den Trailer zu. Kazimierz Woycicki vom Institut für Oststudien an der Universität Warschau. Danke für diese Einschätzungen heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.