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Krimi-Autor Volker Kutscher im Gespräch
"Moralische Helden kann ich nicht ausstehen"

Parallel zur Fernsehserie Babylon Berlin erscheint heute der 7. Fall des Gereon Rath als Buch. Der Kölner Autor Volker Kutscher arbeitet seit vielen Jahren an dieser Krimireihe. Im Dlf erklärt er, was passiert, wenn die eigenen Roman-Figuren über die Leinwand spazieren, und warum Gereon Rath sich in der NS-Zeit durchwurschteln darf.

Volker Kutscher im Gespräch mit Tanya Lieske |
Volker Kutscher und seine Bücher
Volker Kutscher ist mit seinem 7. Gereon Rath Roman in der NS-Zeit angelangt (Foto Volker Kutscher: Oliver Berg/dpa, Buchcover: Piper Verlag (o.l.), Carlsen Verlag (u.l.), Kiepenheuer & Witsch (o.r.), Galiani Verlag (u.r.))
Die Lieske: Gereon Rath, das ist der Name eines Kommissars, der im deutschen Fernsehen Karriere gemacht hat – der Kölner in Berlin ist die Hauptfigur der Fernsehserie Babylon Berlin, die derzeit ARD ausgestrahlt wird. Allerlei Superlative haben diese Produktion begleitet. Das Budget war außergewöhnlich, bis zu acht Millionen Menschen haben jeweils eingeschaltet.
Bei all dem ist aber nicht zu vergessen, wer die Geschichte um Gereon Rath und die Kriminalfälle im Berlin der 1920er und 30er Jahre eigentlich ins Leben gerufen hat: Der Kölner Historiker und Germanist Volker Kutscher. Er schreibt seit Anfang der 2000er Jahre an dieser Krimiserie. Heute erscheint der siebte Band, Marlow heißt er nach einem Gegner Raths, einem Gangster der Unterwelt. Man schreibt das Jahr 1935, der Glamour der Zwanziger Jahre ist vorbei, und wie viele Menschen in Deutschland muss auch Gereon Rath sich entscheiden, was er macht, wenn er in der Öffentlichkeit mit einem zackigen Heil Hitler begrüßt wird.
Ich habe mit Volker Kutscher vor der Sendung gesprochen, und ich habe ihm genau diese Frage gestellt, was tut Gereon Rath?
Volker Kutscher: Er nuschelt. Er nuschelt und hebt den rechten Arm eher so ein bisschen nachlässig, cool, amerikanisch, als würde er "Hi" sagen. Es klingt ein bisschen anders noch bei ihm, so eitler. Er macht es nicht immer, er hat auch Situationen, wo er es mal ein bisschen dann auch einmal doch deutlicher aussprechen muss, wenn es ihm dann weiterhilft.
Lieske: Ich stelle Ihnen diese Frage zuerst, weil Gereon Rath, man hört das auch in Ihrer Antwort, eine Figur ist, die durchaus den bequemen Weg wählt, wenn er die Wahl hat. Eine Figur, die Sie oft auch mit Irrtümern und in einem Zwiespalt zeigen. Warum war es Ihnen wichtig, einen Menschen durchaus mit Streifen ins Rennen zu schicken?
Durchwurschteln als rheinischer Nationalsport
Kutscher: Ganz einfach: Zu allererst, weil ich selbst als Leser diese makellosen Helden, denen alles gelingt, die auch moralisch völlig auf der richtigen Seite immer sind, die kann ich nicht ausstehen. Der zweite Grund ist aber auch der, mein Kommissar spielt ja, wie auch alle anderen Figuren in den Romanen, aber er spielt eben die Hauptrolle, er ist die Hauptfigur dieser ich sag mal Versuchskaninchen, mit denen ich aus der Weimarer Republik ins Dritte Reich gehe. Und da jemand zu haben, der sofort weiß, die Nazis sind böse, ich muss in den Widerstand gehen, ich muss irgendwie hier was machen, das wäre relativ langweilig gewesen tatsächlich. Und es wäre auch, glaube ich, eher unrealistisch gewesen, weil die meisten Menschen eben keine Helden sind und auch nicht immer genau wissen, was richtig ist, und zweifeln und versuchen sich durchzuwurschteln. Wo kann man das besser machen als bei einem Rheinländer. Das Durchwurschteln ist da ja quasi Nationalsport.
Lieske: Genau. Gereon Rath, der Rheinländer in Berlin. Sie selbst sind auch Rheinländer, Herr Kutscher, 1962 geboren. Sie haben Germanistik, Philosophie und Geschichte studiert. War es Ihnen vielleicht auch wichtig, ein Stück von sich mit nach Berlin zu schicken?
Kutscher: Nein. Das ist nicht Gereon Rath – oder ich bin nicht Gereon Rath, das hoffe ich jedenfalls. Was mir tatsächlich aber wichtig war, war der Blick von außen. Dass Gereon kein Berliner ist, dass er da nicht vernetzt ist in der Stadt, dass er auch ein bisschen die Stadt erst entdecken muss und sich mit ihr auch erst mal anfreunden muss, weil er erst mal schon ein bisschen fremdelt und auch nicht freiwillig in der Stadt ist. Es braucht eine gewisse Zeit.
Lieske: Nun ist er ja in seinem sechsten Jahr in der Hauptstadt, mit seinem siebten Fall betraut. "Marlow" heißt der siebte, neue Gereon-Rath-Roman. Welche Entwicklung hat er denn genommen? Ist er Berliner geworden?
Rath ist kein "hardboiled Detective", aber ein taffer Ermittler
Kutscher: Er ist Berliner geworden vor allen Dingen dadurch, dass er auch eine Berlinerin geheiratet hat, Charlie, Charlotte Ritter. Hat länger gedauert, bis die sich dann doch richtig zusammengerauft haben. Ihre Probleme, die sie in der Beziehung haben, die haben sie durch die Heirat nicht unbedingt gelöst, aber sie sind immer noch zusammen, und sie brauchen sich auch so ein bisschen gegenseitig. Charlie ist ja so ein bisschen sein Gewissen. Sie sieht ein bisschen offener, was da passiert in Deutschland, und sie sieht es auch deutlich verzweifelter als er. Durch sie ist er definitiv Berliner geworden. Er hat durchaus auch schon einen gewissen Lernprozess durchgemacht. Dass er im Dritten Reich auch nicht auf Dauer glücklich werden kann, ist am Ende von "Marlow" dann auch ziemlich klar.
Lieske: Also durchaus ein Kommissar mit Entwicklungspotenzial. In Rezensionen, Herr Kutscher, lese ich immer, dass er in der Tradition des Hard Boiled Detective stünde, so eine Art Philip Marlowe, also in der Tradition des Schreibens von Dashiell Hammett und Raymond Chandler. Haben Sie die Figur so angelegt, stimmt das so eins zu eins?
Kutscher: Nein, das stimmt nicht so eins zu eins tatsächlich. Teile davon hat er definitiv. Er ist schon manchmal auch so ein sehr taffer Ermittler, der sich auch nicht immer an die Dienstvorschriften hält, solche Dinge hat er auch. Aber er ist eigentlich im Grunde genommen ein ich will nicht sagen Tolpatschiger, das trifft es nicht ganz, aber er macht Fehler. Er stellt sich manchmal auch ziemlich dämlich an, wie jeder normale Mensch auch. Aber das würde ein Philip Marlowe niemals tun.
Film und Roman, das sind zwei Welten
Lieske: Wir haben nun natürlich, wenn wir über Gereon Rath sprechen, alle auch ein Bild vor Augen, denn mit großem Erfolg ist Ihr erster Roman verfilmt worden. Es wurde eine Serie daraus, "Babylon Berlin". Tom Tykwer ist einer von drei verantwortlichen Regisseuren, und jede Menge Superlative begleiten dieses Unternehmen. Was macht das denn mit Ihnen als Autor, wenn Ihre Figuren plötzlich draußen rumlaufen?
Kutscher: Das Schöne ist ja, ich bin gedanklich schon ganz woanders als die Fernsehserie, die den ersten Roman "Der nasse Fisch" verfilmt hat, der im Jahr 1929 spielt, also noch zu einer Zeit, wo sich die meisten Deutschen überhaupt nicht vorstellen konnten, dass '33 die Nazis regieren würden. Das war völlig absurd, diese Vorstellung. Ich hab also schon jetzt sieben Romane geschrieben und noch eine Erzählung dazu, "Moabit", die die Vorgeschichte von Charlotte Ritter ein bisschen beleuchtet. Also, meine Welt ist in meinem Kopf, und ich muss ganz ehrlich sagen, bevor ich die ersten Bilder gesehen hatte, habe ich auch so ein bisschen gedacht, da musst du vielleicht aufpassen, dass das nicht zu sehr mit deinen Gedanken sozusagen sich durchmischt. Ich muss aber sagen, das ist nicht eingetreten. Ich kann diese beiden Welten der Fernsehserie und der Romane sehr gut trennen. Meine Baustelle ist der Roman, die Romanreihe, die noch nicht fertig ist. Da folgen noch zwei, drei Romane, die noch zu schreiben sind. Deswegen habe ich auch da den Filmleuten sozusagen freie Bahn gelassen. Das ist deren Job, das da zu machen. Ich habe mich weder am Drehbuch beteiligt noch sonst irgendwie. Ich war involviert, man hat mich auch gern mal gefragt und beteiligt und auf dem neuesten Kenntnisstand gehalten, das schon. Man hat mir da schon großen Respekt entgegengebracht. Aber ich habe meinen Fokus immer weiterhin auf meine Romanwelt gehalten. Von daher hatte ich diese Probleme tatsächlich nicht.
Lieske: Sie können sich freuen, wenn Sie die Filme sehen, ohne dass Sie durcheinandergeraten.
Vergessen, was wir Nachgeborenen wissen
Kutscher: So ist es. Das ist einfach ein anderer Kosmos, der sich da auftut, der dasselbe will, was ich mit meinen Romanen transportieren möchte und das auch sehr gut hinbekommt. Vor allen Dingen, jemanden, in diesem Fall den Zuschauer, in diese Welt hineinzuziehen, genauso, wie ich auch meine Leser in diese Welt hineinziehen möchte, dass man vielleicht dabei auch vergisst, was '33 passiert, passieren wird in dem Fall und dann hoffentlich erschrickt, wenn man merkt, oh, ja Mist, Hitler ist Reichskanzler, die Nazis krempeln jetzt hier die Stadt um und ermorden die Kommunisten und Sozialdemokraten. Plötzlich ist hier eine ganz andere Welt. Das hoffe ich so ein bisschen, und das ist vom Ansatz her auch genau das, was die Fernsehserie tut.
Lieske: Es ist Ihnen sehr wichtig, dass man die Weimarer Zeit aus sich selbst heraus verstehen muss und nicht mit dem Vorwissen der Nachgeborenen belasten sollte. Nun habe ich beobachtet, es gibt ja durchaus eine Renaissance der Rezeption der 1920er-Jahre. Es gab eine neue Verfilmung des "Großen Gatsby", die sehr gut angekommen ist. Es gab auch eine Neuverfilmung der "Dreigroschenoper". Es gibt so was wie eine Faszination mit dem urbanen Leben in den 1920ern. Es wird ja auch immer wieder mal gesprochen davon, dass wir heute angeblich Parallelen zur Weimarer Republik hätten. Hat das eine was mit dem anderen zu tun, und wir stehen Sie dazu?
Kutscher: Meine Faszination für die Zwanziger, die ist schon älter. Die hat letzten Endes begonnen, als ich Erich Kästners Kinderbücher gelesen habe, und das ist schon ein paar Jahre her. Und seitdem ist sie auch nicht abgerissen, weil ich auch die Literatur der Neuen Sachlichkeit dadurch entdeckt habe, und das hat mein Faible für die Zwanziger begründet, mein Interesse begründet. Das Politische kommt natürlich hinzu, weil diese Welt, in der sehr viel experimentiert wurde, ausprobiert wurde, in der plötzlich Freiheiten da waren, die man vorher so in Deutschland nicht kannte, die auch von einigen Leuten, sei es in Kunst, Literatur, Wissenschaft und auch rein gesellschaftlich benutzt wurden. Auch sexuelle Selbstbestimmung zum Beispiel, trotz des Paragrafen 175, den es immer noch gab, dieser Homosexuellen-Paragraf. Aber es wurde gerade in Berlin viel mehr ausprobiert und man hatte viel mehr Möglichkeiten.
Was aus Emil und seinen Detektiven wurde
All diese durchaus ja auch optimistische Welt – wir können diese Aufbruchsstimmung, die es auch gab neben all dem Elend – man darf ja nicht vergessen, dass in Deutschland damals die Meisten sehr arm waren –, aber diese Aufbruchsstimmung, die es auch gab, die wurde dann abrupt 1933 durch die Nazis beendet. Eine ähnliche Freiheit, gerade, wenn man zum Beispiel an die Emanzipation der Frau denkt, das sind alles Gedanken, die da eine Rolle spielen. Ich glaube, dass bei der Rezeption jetzt oder bei diesem Revival der Zwanziger sozusagen natürlich eine Menge Nostalgie eine Rolle spielt, dass man von den "Goldenen Zwanzigern" spricht, obwohl sie gar nicht so golden waren, nur das Goldene sieht und die Party sieht. Eine schöne Welt, in die man ab und zu auch vielleicht einmal sich dann flüchtet. Aber ich hätte tatsächlich nicht in der Zeit leben wollen, schon gar nicht mit dem Wissen, was dann passiert. Weil die Leute, die da gelebt haben, das will ich auch so ein bisschen zeigen, das ist so eine Generation, die hatte, wie man so schön heute neudeutsch sagt, die Arschkarte gezogen. Die hatten es nicht leicht. Das ist vielleicht auch so eine Triebfeder für mich, diese Romane zu schreiben, eben zu erkunden, wie konnte das passieren in Deutschland.

Das ist auch ein Bild, was mich immer sehr tief bewegt, wenn ich den Spielfilm sehe, die Verfilmung von 1931 von "Emil und die Detektive", wo Billy Wilder das Drehbuch geschrieben hat, eine seiner letzten deutschen Arbeiten, bevor er in die Staaten gegangen ist. Jedenfalls, da spielen ja eine ganze Menge Laiendarsteller mit, Kinderdarsteller. Und gerade diese fast Schlussszene, wo Herr Grundeis, der Bösewicht, entkommen will aus der Bank und von den Kindern umringt wird, die ihn dann nicht entkommen lassen und eben zeigen, gemeinsam sind wir stark und können das Böse besiegen. Dieser Optimismus, der da aus diesen strahlenden Kinderaugen spricht – wenn man das dann sieht und denkt, ja, okay, die Filmemacher haben sich eine bessere, optimistischere Zukunft gewünscht in diesem Moment, in diesem Jahr '31. Aber diese Laiendarsteller, diese Kinder, was kommt auf die zu? Zwei Jahre später sind die Nazis an der Macht, acht Jahre später bricht der Krieg aus. Irgendwie werden sie sich auch mit Schuld beladen, oder sie werden auf Opfer- oder Täterseite stehen irgendwo. Und das ist auch genauso passiert. Tatsächlich hat, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, gerade nur zwei den Krieg überlebt von diesen Darstellern. Alle anderen sind umgekommen.
Lieske: Wie eine schreckliche Zukunft eine optimistische Gegenwart quasi durchdringt, das kann man in Ihrem siebten Roman schon sehr gut nachvollziehen. Sie sind Historiker, Herr Kutscher, und ich habe schon von Ihnen gehört, dass Sie sehr akkurat recherchieren. Sie sind oft in Berlin in der Staatsbibliothek. Sie lesen die Tagespresse, die Vossische Zeitung, um ganz gut zu verstehen, wie die Alltagskultur war. Nun tauchen in Ihrem neuen, siebten Roman schon sehr schreckliche, unappetitliche Dinge auf, allerdings am Rande. Man merkt, Antisemitismus, allerdings eher in der Nebenhandlung. Die Rassengesetze von Nürnberg finden statt, die "Stürmer"-Kästen werden aufgestellt. Warum ist es Ihnen wichtig, das sozusagen am Rande mitflimmern zu lassen?
Rath im Prinz Albrecht Palais
Kutscher: Weil die meisten Zeitgenossen es auch so erlebt haben erst mal. Und weil ich auch nicht mit erhobenem Zeigefinger wie ein Geschichtsbuch exemplarisch das Wichtigste, Wesentliche, was damals passiert ist, in den Vordergrund stellen möchte. Weil es ja oft in unserer Erfahrung so ist, dass wir diese Dinge so ein bisschen am Rande aus der Zeitung mitbekommen. Wir sind nicht immer mitten drin im Geschehen, in den Entwicklungen, auch den negativen Entwicklungen. Und es war mir ganz wichtig, dass es eben auch gegen das Erwartbare dann geschrieben ist, dass man nicht denkt, ach ja, '35, Parteitag, Gesetze – das ist alles drin, aber es ist nicht im Zentrum der Handlung.
Lieske: Was auch zu dieser Zeit gehört, zur Mitte der 1930er-Jahre, ist die Tatsache, dass man sehen kann, wie eine preußische Beamtenbehörde umgebaut wird in einen gewaltigen Schreckensapparat. Vor allem Heinrich Himmler betrieb ja die Verschmelzung von Partei, von Kriminalpolizei und von Geheimdienst. Ich wollte Sie bitten, Herr Kutscher, uns dazu eine kleine Passage zu lesen. Vielleicht muss man vorbereitend sagen, dass Gereon Rath ins Prinz-Albrecht-Palais zitiert wird. Frau Voss kommt vor, sie ist seine Sekretärin. Und SD, das ist ein Kürzel, der für einen Nachrichtendienst steht, den Heydrich innerhalb der SS gegründet hat.
Kutscher: Genau, der Sicherheitsdienst.
Volker Kutscher liest aus Marlow, Piper Verlag 2018, S. 117 f

Lieske: Herr Kutscher mit einer Lesung aus seinem siebten Gereon-Rath-Roman, "Marlow" heißt er. Herr Kutscher, wer ist Marlow?
Marlow ist nicht Marlowe
Kutscher: Marlow ist der Hauptbösewicht sozusagen, der Gegenspieler in der Unterwelt von Gereon Rath. Wobei Gegenspieler nicht ganz stimmt, weil sie lange Zeit eine gewisse Symbiose auch eingehen, einer hilft dem anderen. Das fängt im "Nassen Fisch" an. Da merkt Rath, er kann mit Marlows Hilfe einen Mordfall klären, und Marlow kann mit Raths Hilfe wiederum an einen verschwundenen Goldschatz kommen. Die beiden arbeiten da zusammen, und Rath ist aber auch erpressbar geworden durch diese Sache und wird auch immer mehr erpresst. Diese Sache ist schon im vergangenen Roman, in "Lunapark", eigentlich so ein bisschen eskaliert. Und in "Marlow" wird dieser Konflikt zwischen diesen beiden wirklich endgültig auf die Spitze getrieben. Aber nicht nur das, wir erfahren auch eine ganze Menge über diese Figur Marlow. Der steht schon ziemlich im Mittelpunkt auch dieser Geschichte. Und der Name, das kann ich ja sagen, hat mit Philip Marlowe nicht so wirklich was zu tun. Der Gleichklang ist schon gewollt …
Lieske: Dem Detektiv von Raymond Chandler.
Kutscher: Genau. Da habe ich nichts dagegen. Aber Marlow ist ein kleines Städtchen in Mecklenburg, und als ich auf der Suche nach einem Namen war für meinen Bösewicht, schon vor vielen Jahren, schon vor dem "Nassen Fisch", als ich den geschrieben habe. Ich wollte einen Namen mit "M" haben, weil Marlow wird immer als "Dr. M." bezeichnet …
Lieske: Mabuse …

Kutscher: Genau, die Konnotation zu Fritz Lang und Dr. Mabuse ist natürlich dann da. Da bin ich auf diesen Städtenamen gestoßen, und der passte einfach prima zu der Figur.
Die Reichspogromnacht war eine Zäsur
Lieske: Man merkt an der Passage, die Sie uns gelesen haben, wie sehr Gereon Rath auch schwankt, wie schrecklich das eigentlich ist, wenn man vorzitiert wird, vor diesen schwarzen Uniformen antreten muss, wie viel Angst und Denunziantentum bereits im Umlauf sind. Ich finde das sehr fein gearbeitet bei Ihnen. Herr Kutscher, Sie haben nun angekündigt, dass Sie Ihre Romane 1938 enden lassen wollen, möglicherweise mit der Reichspogromnacht. Warum wollen Sie nicht weitergehen?
Kutscher: Weil ich erstens nicht bis ins Unendliche erzählen möchte, und weil ich auch denke, dass die Reihe dann insofern auserzählt ist, dass die Lernprozesse, die die Figuren, allen voran Gereon Rath, zu durchlaufen haben, dass die dann abgeschlossen sind. Und auch die Entwicklung von der Republik ins Dritte Reich ist dann insofern abgeschlossen, dass die schlimmen Dinge, die schon kommen sollen – es ist schon Schlimmes bis dahin genug passiert, es gibt schon Tausende Tote, aber es sollen noch Millionen Tote folgen. Es ist '38 schon am Horizont. Durch die Pogromnacht ist allen auch noch im Reich verbliebenen Juden klar geworden, es geht nicht um die Diskriminierung, die man vielleicht aushalten kann und irgendwie auch überleben kann. Nein, es geht um die Ermordung. Und das Zweite, was auch in diesem Jahr längst klar war, dass es auf einen Krieg hinausläuft. Ohne die Appeasement-Politik wäre der auch schon längst ausgebrochen. Diese Dinge sind dann klar. Und den Krieg selbst und den Holocaust will ich nicht zeigen. Weil das ist es, was es zu verhindern gilt. Diese politische Entwicklung, die dahin führt, die die Voraussetzung für solche Gräueltaten ist, die gilt es zu verhindern. Und das ist mir wichtig zu zeigen, wie das passieren konnte. Das ist das Entscheidende. Ohne '33 wäre alles danach auch nicht so passiert.
Lieske: So weit dieses Gespräch mit Volker Kutscher, es wurde vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Volker Kutscher: "Marlow: Der 7. Rath-Roman"
Pieper Verlag, München, 528 Seiten, 24 Euro
Michael Töteberg, Joachim Gern: "Babylon Berlin"
Das Buch zum Film
Kiepenheuer & Witsch, Köln, 352 Seiten, 34 Euro
Arne Jysch, Volker Kutscher: "Der nasse Fisch"
Graphic Novel
Carlsen Verlag, Hamburg, 224 Seiten, 20 Euro
Kat Menschik, Volker Kutscher: "Moabit"
Galiani Verlag, Berlin, 88 Seiten, 18 Euro