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Krimi mit unglaubwürdigem Ende

In den USA erschien "Raped: A Love Story" bereits 1994. Vielleicht mussten Autorin und Verlag mit dem Tabu einer Beziehung zwischen Täter und Opfer spielen, um auf dem Markt der Opfergeschichten noch Gehör zu finden. Oates' Roman ist allerdings eher eine Art Krimi.

Von Gabriella Jaskulla |
    "Nachdem sie mehrfach vergewaltigt worden war, getreten, geschlagen …"
    "Nachdem die fünf betrunkenen Kerle sie schreiend ins Bootshaus geschleift hatten ..."
    "Nachdem die Kerle sie gehetzt hatten ..."
    "Nachdem sie gefleht hatte .."
    "Nachdem sie beschlossen hatte ... "


    In der Chronologie geht es zunächst rückwärts. Rückwärts vom Augenblick nach der Vergewaltigung zu den Stunden davor. Zu den Feiern zum amerikanischen Unabhängigkeitstag in Niagara Falls, New York, jenem 4. Juli also, an dem die 35-jährige Teena Maguire auf dem Heimweg von einer Bande zugedröhnter Jugendlicher vergewaltigt wird, während ihre zwölfjährige Tochter Bethie hilflose Zeugin des Verbrechens wird.

    Es geht rückwärts in steten Wiederholungen der immer gleichen Satzteile, es ist eine Litanei. Ein Klagelied stimmt Joyce Carol Oates hier an, eine Novelle in 37 kürzesten Kapiteln wie ein Lied in kurzatmigen Strophen, wobei jeweils eine andere Stimme die einzelnen Strophen, also Kapitel, übernimmt.

    Immer aber bleibt es beim "Davor" und "Danach", das zeigt sich besonders in den Abschnitten, die Bethie, der Tochter gehören. Die spricht offenbar mit sich selbst, sie ist sich selber fremd geworden: Entsprechend ist ihr Teil der Geschichte in der zweiten Person erzählt:

    "In dem Moment, da deine Mutter und du ins Bootshaus im Rocky Point Park geschleift wurdet, fing dein Leben im Danach an. Nie wieder würdest du im Davor leben. Die Zeit deiner Kindheit war für immer vorbei, weit weg wie eine Szenerie, die man von ferne betrachtet, die wie Nebel entschwindet vor deinen sehnsüchtigen Augen."

    Die Absicht ist klar: Das der Novelle eigene "unerhörte Ereignis" ist die Vergewaltigung. Und um dies zu verdeutlichen, rückt Oates die Tochter des eigentlichen Opfers ins Zentrum. Sie lässt eine Zwölfjährige erzählen, aber auch deren Mutter, allerhand Nebenfiguren.

    Und: den ermittelnden Polizisten. Das ist ein "Cop", der so auftritt, als habe Oates gerade erst die Western mit Clint Eastwood entdeckt. Jeder Zoll an John Dromoor ein wortkarger Ritter, ein "Dirty Harry" stoischer Heldenhaftigkeit. Dazu passt seine "Echsenhaut", die er sich natürlich im Krieg - hier: dem Irakkrieg - geholt hat, dazu passt seine Verschlossenheit - und besonders die zarte Verbindung, die er mit Mutter und Tochter eingeht.

    "Halt dich raus. Was die Leute durchmachen, machen sie durch, nicht du." Aber es war zu spät. Für ihn war es schon seit dem benommenen Blick des blutenden Mädchens am Fahrweg, seit dem Anblick der geschundenen und blutenden Frau auf dem dreckigen Bootshausboden zu spät gewesen. In dem Augenblick war die Sache zu Dromoors Sache gemacht. Als hätten sich ihre Leben mit seinem verheddert, weiß der Himmel, warum. Wie verdrillte Angelleinen. Ganz verknotet.

    Und dann passiert es: Oates belässt es nicht bei der verbindlichen Empathie des ermittelnden Beamten. Behutsam zunächst, dann immer offensichtlicher, übernimmt der Polizist den Part, den eigentlich der Staat innehat: Er ermittelt - und bestraft. Ein Übeltäter nach dem anderen verliert sein Leben. Immer ist der Cop in der Nähe. Nie wird ihm etwas nachgewiesen. Und immer hat kurz zuvor Bethie, die Zwölfjährige, mit ihm Kontakt aufgenommen. Für Bethie ist Dromoor mindestens Superman. Oder Jesus. Jedenfalls: der Retter.

    "Dromoor muss es gleich gesehen haben. An deinem Gesicht abgelesen. Dem glühenden. Sehnsucht. Verzweiflung. Ich liebe dich. Du bedeutest mir alles."

    Das ist leider ziemlich kitschig. Denn anders als für ihre Schurken, für die widerlichen Vergewaltiger und ihre feigen Väter, findet Oates ausgerechnet für das geschundene Kind nicht die richtige Sprache. Vielleicht deshalb nicht, weil sie der Figur zumutet, durch die Rache des Polizisten tatsächlich so etwas wie Erlösung zu finden. Am Ende des Buches ist nämlich tatsächlich "alles gut": Die eigentlich völlig zerstörte Mutter hat wieder einen Partner, die kleine Bethie ist erwachsen und verheiratet, der Polizist zum Detektive befördert worden. Ein völlig unglaubwürdiges Ende, von Oates in ein Finale von wenigen Seiten gepfercht.

    Jeder, der von einem Sexualverbrechen in der Nachbarschaft erfährt, kennt heftige Rachegedanken oder wünscht dem Bösewicht im Sonntagskrimi den Tod. Aber spätestens, wenn der "Tatort" vorbei ist, weiß man wieder, dass in der Vergeltung niemals Vergessen liegen kann - und es ist schon seltsam, dass eine kluge Autorin wie Oates ausgerechnet dieser Illusion 130 Seiten lang Raum gibt. Sehr amerikanisch, gewiss. Über weite Strecken gut gemacht. Aber schal wie ein Krimi aus der Fabrik der filmischen Dutzendware.

    Joyce Carol Oates: "Vergewaltigt. Eine Liebesgeschichte"
    Übersetzung: Uda Strätling
    Fischer Verlag, 2012, 128 Seiten, 8,99 Euro