Gewalt gegen Politiker
Angriff auf die Demokratie

Immer öfter werden Politiker bedroht und attackiert, zuletzt die CDU-Kandidatin Adeline Abimnwi Awemo in Cottbus. Einige Kommunalpolitiker ziehen sich aus der Politik zurück, um sich und ihre Familien zu schützen. Wie lässt sich die Gewalt stoppen?

    Adeline Abimnwi Awemo, CDU-Kandidatin für den Landtag Brandenburg, wird im Wahlkampf von einem Fernsehsender interviewt.
    Die CDU-Politikerin Adeline Abimnwi Awemo war beim Aufhängen von Wahlplakaten in Cottbus angegriffen und rassistisch beleidigt worden. (picture alliance / dpa / Frank Hammerschmidt)
    Der Angriff auf den Dresdner SPD-Politiker Matthias Ecke beim Aufhängen von Wahlplakaten hat im Mai 2024 bundesweit für Entsetzen gesorgt. Es war ein besonders brutaler Überfall, aber nicht der einzige.
    Auch vor den bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September wurden bereits mehrere Attacken gegen Politiker registriert. Einige Amtsträger ziehen sich aufgrund der zunehmenden Bedrohungen und des Hasses aus der Politik zurück, zuletzt Dirk Neubauer, der parteilose Landrat des Kreises Mittelsachsen.

    Übersicht

    Welche Angriffe gegen Politiker und Wahlhelfer gab es in jüngster Zeit?

    Bundesweit wurden in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder Angriffe auf Politiker und Wahlhelfer registriert.
    August
    • Ein Wahlhelfer der Grünen wurde in Brandenburg von einem bislang unbekannten Mann angegriffen und beraubt. Der Ehrenamtliche hatte in Hohen Neuendorf nördlich von Berlin Flyer verteilt.
    Juli
    • Im Juli wurde die CDU-Politikerin Adeline Abimnwi Awemo in Cottbus beim Aufhängen von Wahlplakaten rassistisch beleidigt und angegriffen. Sie kandidiert für die Landtagswahl in Brandenburg. Eine 29-jährige Frau sagte zu der Politikerin: „Ihr seid keine Menschen.“ Awemo, die in Kamerun geboren wurde und eine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, wurde außerdem leicht am Hals verletzt. „Es ist nach dem jetzigen Ermittlungsstand davon auszugehen, dass der Angriff aus rassistischen Motiven erfolgte“, teilte die Polizei mit.
    • Ebenfalls im Juli wurde das Wahlkreisbüro des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in Erfurt angegriffen. Die Polizei ermittelt.
    Mai
    • Besonders schwerwiegend war der Angriff auf den SPD-Wahlkämpfer Matthias Ecke in Dresden am 3. Mai dieses Jahres. Ecke wurde beim Plakate-Aufhängen so brutal zusammengeschlagen, dass er Brüche am Jochbein und einer Augenhöhle davontrug und operiert werden musste. Vier Männer im Alter von 17 und 18 Jahren gelten als tatverdächtig, zumindest einer wird dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet.
    • Kurz zuvor war ebenfalls in Dresden ein Mann angegriffen und verletzt worden, der für die Grünen Wahlplakate anbrachte.
    • Im Mai wurde unter anderem auch die Kommunalpolitikerin Yvonne Mosler (Grüne) in Dresden beim Aufhängen von Wahlplakaten bespuckt und bedroht.
    • Die Grünen-Politikerin Marie Kollenrott wurde in Göttingen an einem Wahlkampfstand attackiert und leicht verletzt.
    • Nach einer Parteiveranstaltung in Essen wurden der Kommunalpolitiker Rolf Fliß und der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (beide Grüne) angegriffen.
    • Im niedersächsischen Nordhorn wurde der AfD-Landtagsabgeordnete Holger Kühnlenz an einem Infostand attackiert.
    • Und ebenfalls im Mai wurde die Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) angegriffen. Sie wurde dabei leicht verletzt.

    Hat politisch motivierte Kriminalität zugenommen?

    Die politisch motivierte Kriminalität nahm in den vergangenen Jahren deutlich zu: Mehr als 10.500 Straftaten gegen Parteienvertreter wurden zwischen 2019 und 2023 verzeichnet, mit steigender Tendenz. Das geht aus Zahlen des Bundeskriminalamts hervor.
    Die Übergriffe betreffen alle Parteien, zuletzt allerdings besonders häufig die Grünen. Dabei geht es um Straftaten insgesamt, also auch Sachbeschädigungen und Beleidigungen.

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    So wurden laut vorläufigen BKA-Zahlen im Jahr 2023 insgesamt 2.790 Angriffe auf Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien registriert. Das sind fast doppelt so viele wie 2019 (1.420 Fälle). Die AfD ist nach den Grünen am zweithäufigsten von Straftaten betroffen. An dritter Stelle folgt die SPD.
    Hass, Anfeindungen und Gewalt treffen vor allem auch Politikerinnen und Politiker auf der kommunalen Ebene. Das geht bis zum Mord. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde 2019 von einem Rechtsextremisten auf der Terrasse seines Hauses erschossen. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wurde 2015 - ebenfalls von einem rechtsextremen Täter - mit einem Messer lebensgefährlich verletzt.
    Auch in kleineren Orten werden Kommunalpolitiker angegriffen, bedroht, verleumdet: So hat etwa Torsten Pötzsch, seit 14 Jahren parteiloser Oberbürgermeister im sächsischen Weißwasser, Morddrohungen erhalten. An seinem Auto wurden die Radschrauben gelockert, in sozialen Netzwerken wurden ihm Verhältnisse zu Mitarbeiterinnen angedichtet. Auch Thomas Zschornak, der 32 Jahre Bürgermeister im Dorf Nebelschütz nördlich von Bautzen war, hat Einschüchterungsversuche erlebt. Der CDU-Politiker wurde unter anderem mit anonymen Dienstaufsichtsbeschwerden überzogen. Die mehr als 30 Beschwerden stellten sich allesamt als unbegründet heraus.

    Welche politischen Folgen haben die Angriffe und Anfeindungen?

    Wegen Anfeindungen und Angriffen geben vor allem immer mehr Kommunalpolitiker ihr Amt auf. Laut einer Studie der Körber-Stiftung erwägt mehr als jeder vierte Bürgermeister, der schon einmal bedroht wurde, einen Rücktritt.
    Zuletzt trat der parteilose Landrat Dirk Neubauer des Kreises Mittelsachsen im Juli zurück. Er sagte dazu: „Wir leben in Zeiten, in denen Mandatsträger quasi zum Freiwild erklärt werden.“ Seit Monaten sei er mit einer diffusen Bedrohungslage aus der rechten Ecke konfrontiert gewesen. Er gebe auf, weil zu viele den Mund hielten, so Neubauer. Ein weiterer Grund: Neubauer sieht keine Mehrheit für seine Politik.
    Doch längst nicht alle Politiker lassen sich von Anfeindungen und Angriffen beeindrucken. Bei den Grünen in Sachsen standen laut der Grünen-Politikerin Katja Meier bei der letzten Kommunalwahl so viele Kandidaten wie noch nie auf den Wahllisten. "Sie wollten und wollen damit ein Zeichen setzen", sagt Meier.
    Auch die CDU-Politikerin Adeline Abimnwi Awemo, die in Cottbus angegriffen wurde, will weitermachen. "Ich bleibe dran, ich habe die Unterstützung von der CDU, von anderen Parteien, von der Stadt Cottbus, von der Polizei", sagt sie. "Ich habe angefangen und ich habe noch nie aufgegeben und ich gebe jetzt nicht auf."

    Wie werden die Gewaltvorfälle eingeordnet?

    Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer sieht eine „Durchrohung der Gesellschaft“ als Hauptgrund für die Entwicklung. Vor allem mit dem Aufschwung der AfD gebe es eine neue Situation. Heitmeyer spricht von einem „autoritären Nationalradikalismus“ der AfD, wodurch der Diskurs öffentlich nach rechts verschoben und aufgeheizt worden sei. „Das hat natürlich Folgen“, so der Soziologe.
    Allerdings werde inzwischen „an allen Orten“ mit „radikalen Feindbildern“ gearbeitet: Mit der Untergangsrhetorik der AfD legitimierten gewaltbereite Rechtsextremisten ein „Notwehrrecht“. Linksextremisten trügen wiederum, angetrieben von einer „eigenen Überlegenheitsattitüde“, zu einem „Klima der Angst“ bei.
    Darüber hinaus hat sich nach Überzeugung Heitmeyers die „Eskalationslogik von Konflikten in dieser Gesellschaft“ verschoben: Statt einer verständigungsorientierten Politik gebe es nunmehr eine „Entweder-oder-Logik“. Diese sei gewaltanfällig.

    Harald Welzer: Bei der NSDAP war es nicht anders

    Nach dem Angriff auf Matthias Ecke werden Begriffe wie „Erschrecken, Entsetzen, Fassungslosigkeit“ nach Meinung des Soziologen Harald Welzer „inflationär“ verwendet. „Vielleicht täte man besser daran zu verstehen, dass Nazis und Faschisten und Rechtsextreme Gewalt als Mittel der Politik betrachten und immer betrachtet haben.“

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    Rufe nach mehr Polizei gehen nach Auffassung Welzers an der Sache vorbei – „und zwar deswegen, weil man über viele, viele Jahre die Eskalation der Existenz eines manifesten Rechtsextremismus“ ignoriert, verharmlost und nicht ernst genommen habe.
    Bei der AfD erkennt Welzer eine typische Arbeitsteilung mit langer Tradition: Es gebe jene, die bei „Caren Miosga“ säßen, außerdem jene, die im Hintergrund für Theorie sorgten und wiederum andere, die für Bündnisse zuständig seien, „auch mit finanzkräftigen Leuten“. „Und wir haben die Schläger“, betont Welzer. „Das ist aber bei der NSDAP auch nicht anders gewesen.“

    Wie können Politiker besser geschützt werden?

    Einschüchterungsversuche und Eindringen in das direkte private Umfeld seien aktuell in vielen Fällen nicht strafbar, sagt Sachsens Staatsministerin der Justiz, Katja Meier (Grüne). Sie hat daher einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, um den strafrechtlichen Schutz von Amts- und Mandatsträgern zu verbessern. Der Entwurf zielt laut Pressemitteilung des Ministeriums darauf ab, politisches Stalking unter Strafe zu stellen und insbesondere Kommunalpolitiker vor Übergriffen zu schützen. Der Gesetzentwurf hat im Bundesrat eine breite Mehrheit gefunden, nun muss der Bundestag über die Änderung entscheiden.
    Aus Sicht des Fachjournalisten Christian Erhardt-Maciejewski handelt es sich bei der Diskussion um eine Gesetzesverschärfung jedoch um "Symbolpolitik". Der Chefredakteur von Kommunal, einem Magazin für Kommunalpolitik, betont, dass es keine Strafbarkeitslücke gibt. "Nötigung und Gewalt sind schon jetzt strafbar - übrigens egal, ob es einen Mandatsträger betrifft oder ein normales Parteimitglied oder jeden einzelnen von uns", erklärt Erhardt-Maciejewski.

    Gefährderansprache als wichtige Maßnahme

    In Thüringen wurden laut Innenminister Georg Maier (SPD) bereits zwei sogenannte Sicherheitsgipfel veranstaltet. Dabei seien konkrete Hilfen für bedrohte hauptberufliche und ehrenamtliche Politiker angeboten worden, so Maier. Außerdem gebe es Sonderdezernate in der Staatsanwaltschaft, um Straftaten schnell zu verfolgen. Eine wichtige Maßnahme sei zudem die Gefährderansprache, erklärt der SPD-Politiker. Personen, die als potenzielle Gefährder eingestuft werden, würden direkt angesprochen und über die möglichen rechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen ihres Handelns gewarnt. So sollen Straftaten verhindert werden.
    Bei Hass im Netz sei man jedoch oft machtlos. „Es gibt keine Identifizierungspflicht, wenn man sich in den sozialen Medien betätigt“, sagt Maier. Trolle und Bots bedrohten nicht nur Menschen, sondern schädigten auch die Demokratie, indem sie Wahlen beeinflussten. Es gebe Möglichkeiten, den Schutz vor Kriminalität, Hass und Hetze im Netz zu intensivieren, aber das sei eine politische Debatte, die weitergeführt werden müsse. Maier betont: Die Gewalt gegen Politiker sei ein gesellschaftliches Thema, das die Polizei allein nicht bewältigen könne.
    Der zurückgetretene Landrat Dirk Neubauer fordert die Unterstützung der schweigenden Mehrheit. „Ich weiß nicht, was mit unserer Gesellschaft hier schief geht. Aber dieses sehr angestrengte und bemühte Wegsehen, das wird unter Umständen das ganze Land gefährden und das muss man den Leuten ganz klar sagen", sagte er bereits vor seinem Rücktritt.

    Welche Defizite gibt es bei der Demokratiebildung?

    Bildungsforscherin Nina Kolleck weist darauf hin, dass gerade unter jungen Menschen die Gewaltbereitschaft „drastisch“ gestiegen sei, vor allem an den sogenannten extremistischen Rändern. Allerdings sei der Extremismus vielfach bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
    Der Politik wirft Kolleck vor, gerade bei der Bekämpfung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und von Jugendgewalt, bei Erziehungs- und Bildungsarbeit zu sparen. Wenn Demokratiebildung „so herunter gekürzt“ werde, gleichzeitig aber in den sozialen Medien rassistische, fremdenfeindliche und gewaltverherrlichende Videos dominierten, „dann haben wir hier ein Problem“, so Kolleck.
    Derzeit liegt zum Beispiel das geplante Demokratiefördergesetz der Ampelregierung auf Eis. Kritik an Details kommt vor allem von der FDP. Ziel des Gesetzes ist, Vereine und Organisationen, die sich für die Stärkung der Demokratie, gesellschaftliche Vielfalt und die Prävention von Extremismus einsetzen, langfristig finanziell auszustatten. Bisher müssen sie für jedes Projekt immer wieder neue Förderanträge stellen.

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