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Kriminalpolizei
"Personalentwicklung ist weit entfernt von Herausforderungen"

Zwölf Bundesländer rekrutieren ihren Kripo-Nachwuchs aus den Streifenwagen und Einsatzhundertschaften und würden sich damit einem wichtigen Bewerberpotenzial verschließen, sagte Sebastian Fiedler, Vizevorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter, im DLF. Das bereite ihm auch angesichts der Altersstruktur bei der Kripo große Bauchschmerzen.

Sebastian Fiedler im Gespräch mit Michael Böddeker |
    Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, im DLF-Studio.
    Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, im DLF-Studio. (Deutschlandradio - Jörg Stroisch)
    Michael Böddeker: Spuren am Tatort sichern, Tatverdächtige vernehmen, Fälle lösen – das sind nur einige der Aufgaben von Kriminalbeamten. Nach schlimmen Ereignissen wie jetzt in Berlin stehen sie ganz besonders im Licht der Öffentlichkeit. Sonst aber weniger. Und deshalb sind die Sorgen der Kriminalpolizei um ihre Nachwuchskräfte auch weniger bekannt.
    - Mehr darüber weiß Sebastian Fiedler. Er ist Vizevorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter. Die Frage an ihn: Wie steht es denn aktuell um den Nachwuchs?
    Sebastian Fiedler: Ja, da haben wir natürlich gerade ganz aktuell aus mehreren Gründen ganz besondere Sorgen. Zum einen sind unsere Reihen, bemessen an den Herausforderungen gerade, ganz besonders dünn; und zum anderen sind die, na ja, nicht nur Herausforderungen groß, sondern auch natürlich die Probleme dadurch zu beschreiben, dass wir in vielen Bundesländern überhaupt gar keinen einzigen Ausbildungsberuf haben, sondern Sie können also gar nicht unmittelbar Kriminalbeamter werden. Deswegen haben wir durchaus große Bauchschmerzen ganz im Moment, weil gleichzeitig nämlich, bedingt durch unsere demografische Struktur, sehr viel ältere und erfahrene Kollegen in den Ruhestand gehen.
    Böddeker: Über die Ausbildung sprechen wir auch gleich noch etwas mehr im Detail. Vorher vielleicht zu den Herausforderungen, die Sie auch schon angesprochen haben: Wir haben hier im Programm auch schon über das Thema berichtet und da hat uns zum Beispiel ein Kriminologe gesagt, dass es ja viele neue kriminelle Phänomene gibt, Cyberkriminalität zum Beispiel, oder auch Absprachen zu Straftaten in den sozialen Medien. Und viele Kriminalpolizisten seien dem nicht mehr unbedingt gewachsen. Heißt das, Sie brauchen Nachwuchskräfte, die anders ausgebildet sind?
    "Kriminalpolizei hat sich rapide gewandelt"
    Fiedler: Selbstverständlich. Also, die Arbeit in der Kriminalpolizei hat sich innerhalb, sagen wir mal, des letzten Jahrzehnts, rapide gewandelt. Also, wir haben es in vielen Kriminalitätsphänomenen damit zu tun, dass der digitale Raum eine große Rolle spielt, komplette Phänomene wie der Rauschgifthandel zum Beispiel sind in weiten Teilen verlagert in das Deep und Dark Web, also in die tieferen Sphären des Internets. Wir haben es mit Problemen zu tun, dass die Kommunikation von Tätern über nicht nur soziale Netzwerke, sondern auch teilweise über codierte, verschlüsselte Kommunikationswege erfolgt.
    Gleichzeitig haben wir es natürlich mit viel größeren Phänomenen im Bereich des Terrorismus, des islamistischen Terrorismus, des Rechtsextremismus zu tun. Wir haben nach wie vor noch die Phänomene der Wirtschaftskriminalität zu beackern, die organisierte Kriminalität lässt uns keine Ruhe. Viele der klassischen Kriminalitätsfelder wie Bandenkriminalität, also Wohnungseinbruchskriminalität finden nicht mehr national statt, sondern eigentlich standardmäßig international, das heißt, Sie müssen Rechtshilfe bedienen können, müssen also international ermitteln können und, und, und. Ich könnte jetzt noch eine halbe Stunde mit der Aufzählung weitermachen, um deutlich zu machen, dass die Arbeit in der Kriminalpolizei heute nicht mehr so aussieht wie vor 20 Jahren.
    Böddeker: Das heißt, was bräuchten Sie für junge Menschen, welche Qualifikationen werden da ganz besonders gesucht gerade?
    Fiedler: Ja, was wir zuallervorderst brauchen, ist eine Berufsmotivation für einen der interessantesten Berufe, die die Welt zu bieten hat meines Erachtens. Jedenfalls bin ich immer noch nach wie vor der Überzeugung. Und da brauchen wir insbesondere Leute, die ein Interesse daran haben. Ich muss allerdings so ein bisschen einschränkend sagen, dass denen in vielen Bundesländern gar nicht so richtig geholfen ist. Weil, selbst wenn wir die haben, dann finden die nun einfach den Weg zu uns so einfach gar nicht, weil es in zwölf Bundesländern immer nur den Ausbildungsberuf des Streifenbeamten gibt. Und wir unseren Nachwuchs der Kriminalpolizei in diesen Bundesländern ausschließlich aus dem vorhandenen Personal aus den Streifenwagen und in den Einsatzhundertschaften rekrutieren. Das ist im Grunde ein Kernproblem. Deswegen ist das ein hehres Ziel, diese Frage aufzuwerfen, aber nur vier Bundesländer und das Bundeskriminalamt können sich an diesen Leuten bedienen, die wirklich Interesse an diesem Beruf haben.
    Böddeker: Und wie sieht es in diesen vier anderen Bundesländern aus, wie wird man da Kriminalbeamter?
    "Wir verschließen uns einem wichtigen Bewerberpotenzial"
    Fiedler: Na, nehmen wir mal das Beispiel Hessen, die bieten also unterschiedliche Studiengänge an und spezialisieren innerhalb dieser Studiengänge. Andere Bundesländer wie beispielsweise Schleswig-Holstein machen das so, dass sie Schwerpunkte innerhalb eines Studiengangs setzen. Im Kern sieht es aber so aus, dass bei denen, die sich für die Kripo interessieren, natürlich Inhalte, so fachliche Inhalte wie der Verkehrsbereich dann etwas weniger behandelt werden, aber dafür mehr Kriminalistik und Kriminologie.
    Aber das führt im Kern dann dazu, dass so Länder wie Hessen inzwischen 42 Prozent Nichthessen ausbilden an ihren Instituten und an der Hochschule der Polizei in Hessen. Und diejenigen, die dann dort fertige Kriminalbeamte sind, dann wieder den Weg zurück suchen in andere Bundesländer. Das zeigt im Moment, wenn ich Ihnen das so beschreibe, wie im Moment unsere Personalentwicklung in vielen Ländern so funktioniert, wie weit entfernt das von den aktuellen tatsächlichen Herausforderungen ist.
    Und wenn wir jetzt gerade in diesen Tagen uns mit Fahndungsmaßnahmen im internationalen Bereich und mit der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus auseinandersetzen in den Medien, dann merken Sie vielleicht, dass die Antwort nicht darin bestehen kann, dass die Kripo den Nachwuchs ausschließlich mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Wachdienst besetzt. Sondern, dass wir natürlich zukünftig auch weitere Wege gehen müssen, um Leute mit Vorqualifikation, insbesondere mit kulturellem Hintergrund, mit Sprachkenntnissen ... Es ist also unschädlich, wenn wir Kollegen hätten, die auch Arabisch sprechen oder Ähnliches, also, wenn wir den Nachwuchs aus diesen Reihen auch gewinnen würden.
    Also, Sie merken, das sind Diskussionen, die finden – Sie haben das in der Anmoderation richtig gesagt – zuweilen nur im Hintergrund statt und nicht so ganz im Licht der Öffentlichkeit. Allerdings aus meiner Sicht zwingend erforderlich, weil das ansonsten eine der großen Achillesfersen der Polizei in der Zukunft sein wird.
    Böddeker: Was wäre dann Ihr Vorschlag? Dass man das in den anderen zwölf Ländern auch so macht wie in den vier Ländern, wo es diese universitäre Ausbildung schon gibt?
    Fiedler: Selbstverständlich. Also, wenn wir nicht in allen Bundesländern den Weg gehen und denjenigen, die sich nun ganz besonders für den Beruf in der Kriminalpolizei interessieren, auch die Möglichkeit eröffnen, innerhalb eines dreijährigen Bachelorstudiengangs auch tatsächlich zur Kriminalpolizei zu kommen, dann verschließen wir uns ja einem wichtigen Bewerberpotenzial. Also, insoweit liegt diese Antwort hier tatsächlich auf dem Tisch.
    Böddeker: Sagt Sebastian Fiedler, der Vizevorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Mit ihm habe ich über den Nachwuchs und die Karriereaussichten bei der Kriminalpolizei gesprochen. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.