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Kriminalroman mit Bildung

"Tod im Augustinerhof" von Dirk Kruse vereint die Tugenden des klassischen Whodunnit-Krimis - viel Geist, wenig Brutalität - mit dem diskreten Charme eines unterhaltsamen Kulturessays. Der Krimi umkreist ein innerstädtisches Filetstück in Nürnberg, um das es viel Ärger und eine Leiche gibt. Doch der Plot steht gar nicht so sehr im Mittelpunkt: Kruses Hingabe gilt vor allem seinen Ermittlern.

Von Florian Felix Weyh |
    Nürnberg, zentrale Lage mitten in der Altstadt. Dirk Kruse macht eine ausschweifende Handbewegung über ein reichlich verkommenes Areal: eingeschmissene Fensterscheiben, bröckelnder Putz, Taubenkot, Unrat, Müll. So sieht der Ort mit dem malerischen Namen Augustinerhof aus.

    "Es steht hier noch eine alte Druckerei, da ist der "Stürmer" drin gedruckt worden, also dieses Nazi-Hetzblatt, was dem fränkischen Gauleiter gehört hat, und drum herum sind Anfang der 50er-Jahre Wohnhäuser gebaut worden. Und es ist total schick, das ist nämlich direkt am Fluss, also ist 1a-Lage, hier ein Penthouse, das kostet wahrscheinlich drei Millionen oder so was. Und es wird halt einfach nicht bebaut."
    Darin liegt seit mehr als fünfzehn Jahren das Problem für die häufig von Touristen besuchte Stadt: Ihre Bürger sperren nämlich ein weiträumiges Immobilenareal gegen ökonomisch sinnvolle, städtebaulich möglicherweise aber problematische kommerzielle Nutzung.

    "Es gab einen Investor, der hat für viele Millionen das Gelände damals gekauft, Anfang der 90er-Jahre, und der wollte hier ein großes Einkaufszentrum hinbauen, hatte einen Stararchitekten, den Herrn Jahn aus Chicago, der Nürnberger Wurzeln hatte, dann wurde hier ein Modell präsentiert, was da gebaut werden sollte. Das fanden ganz viele Nürnberger so schrecklich und protzig, direkt sozusagen neben dem historischen Hauptmarkt und der Sebalduskirche. Viele haben gesagt, das sei eine aufgeplatzte Weißwurst, so würde das aussehen. Und dann wurde gerade in Bayern Mitte der 90er der Bürgerentscheid eingeführt, das heißt sozusagen ein Volksbegehren auf kommunaler Ebene. Und das erste Volksbegehren in Bayern ging dann: Soll der Augustinerhof so bebaut werden wie da?"Nein, soll er nicht", entschied das Volk - doch es fügte keineswegs an, was mit dem innerstädtischen Filetstück geschehen solle. Interessengruppen stehen sich bis heute widerborstig gegenüber, hie Geschäftemacher aus der Bau- und Investorenbranche, da Altstadtfreunde mit sehr traditionellen Vorstellungen über Traufhöhen und Dachschrägen. Doch sind wir noch in der Wirklichkeit oder schon mitten in einem Buch jener oft als "Regionalkrimi" gescholtenen Gattung des Stadtromans plus Kriminalfall?

    "Also es gibt im Moment tatsächlich so einen kleinen Boom von regionalen Krimis, den kann man sehen. Wobei ich persönlich das nicht als Regionalkrimi betrachte. Weil, ich meine, Nürnberg ist durchaus ein Spielort, der in der ganzen Welt verstanden wird. Genauso wie Venedig oder so. Also ein richtiger Regionalkrimi ist Henning Mankells Ystad, dieses kleine südschwedische Kaff mit seinen 30.000 Einwohnern. Aber da käme nie jemand drauf, das ist so eine typische deutsche Etikettierung, das spielt in Deutschland, es spielt in Nürnberg oder in Hamburg oder in Köln, es ist dann eben ein Regionalkrimi."
    "Tod im Augustinerhof" von Dirk Kruse vereint die Tugenden des klassischen Whodunnit-Krimis - viel Geist, wenig Brutalität - mit dem diskreten Charme eines unterhaltsamen Kulturessays. Der eigentliche Plot ist schnell skizziert: In den baufälligen Gemäuern des Augustinerhofs findet sich eine Leiche; ausgerechnet diejenige des Vereinsvorsitzenden von "Pro Nürnberg", der sich mit seinen Getreuen vehement gegen jede städtebauliche Modernisierung stemmt. Eitel Sonnenschein herrscht unter den Stadtbildlobbyisten jedoch auch nicht, so dass es an Verdächtigen kaum mangelt.

    Auf diesen Plot allerdings kommt es gar nicht so sehr an. Kruses Hingabe gilt seinen "Ermittlern", die außerhalb jeglichen Polizeimilieus agieren. Da wäre zum einen die halb schwedische, halb bayrische Rundfunkjournalistin Anne Kamlin, zum anderen der wohlerzogenen Spielzeugkonzernerbe Frank Beaufort, dessen Liebe zu Büchern nur durch die Liebe für Anne Kamlin übertroffen wird. Dieses Musterexemplar an heiratsfähigem Junggesellen könnte als direkter Nachfahre des Gentlemandetektivs Lord Peter Wimsey aus der Feder von Dorothy L. Sayers gelten oder der Realität abgeschaut sein. Millionenerben mit bibliophiler Neigung sind ja hierzulande durchaus bekannt:

    "Nachdem ich neulich Jan Philipp Reemtsma persönlich kennengelernt habe, kann ich nur noch mehr bestätigen, dass es Lord Peter Wimsey ist. Der arme Kerl ist ja so reich, und er ist so traumatisiert nach dieser Entführung, dass der ja unter Verfolgungsängsten leidet und auch unter schwerer Bewachung ist. Mein Frank Beaufort darf seinen Reichtum genießen ohne Bodyguards. Und Lord Peter Wimsey ist sicherlich so ein Vorbild, wobei mein fränkischer Lord Peter Wimsey, wenn man so will, um die Facette der Bibliophilie bereichert ist."
    Sitzt man in Dirk Kruses Arbeitszimmer - keineswegs in einem windschiefen Altstadthaus - entdeckt man sofort die komplette Sammlung der "Anderen Bibliothek" im Regal, ein Symptom für jene Leidenschaft, die in Büchern nicht nur Datenträger sehen will, sondern Kunstwerke eigener Art und eigener Berechtigung.

    "Natürlich ist mir Bibliophilie nahe, und ich wollte auch noch zusätzlich was vermitteln, zusätzlich zu einem gut geschriebenen Krimi. Ich wollte a) vermitteln, wie komplex Radiojournalismus ist und ich wollte b) so ein bisschen die Lanze brechen für die Bibliophilie. Und ich merke so am Feedback, dass das schon irgendwie funktioniert, mehr noch über den Radiojournalismus, da fragen die Leute immer: "Ach, das ist wirklich so aufwendig?" Ich sag immer: "Es ist noch viel aufwendiger!"
    Das sei nachdrücklich unterstrichen, doch nicht vertieft. Kruses Einblicke in die Radioarbeitswelt, die sich aus Berufserfahrungen beim Bayrischen Rundfunk speisen, verleihen dem Krimi ein zusätzliches Kolorit, ebenso wie seine schwedischen Lektionen: Wer kennt beispielsweise den Literaturnobelpreisträger Verner von Heidenstam, der die Marotte besaß, seine Bücher so nach der Sonne auszurichten, dass ihre goldenen Rückenschilder im letzten Abendlicht erglommen? Das gehört wie die Nürnberger "Chörlein" - besondere Hausaltare im Fenstererker - zur Bildungsbegleitmusik, die sich ganz unaufdringlich in den Text einfügt. Der Kriminalroman, sagt Dirk Kruse, eigne sich ja ganz besonders als U-Boot für die Mission, Bildungspartikel unters Volk zu bringen, da man ihm keine Gelehrsamkeitsattacken unterstellt. Dass er sich darüber hinaus besser verkauft als gewöhnliche Belletristik, zumal von Debütanten, erzählt der Autor voller Begeisterung. Ihm selbst eröffneten sich ganz überraschende Märkte:

    "Ein Nachbar sagte mir irgendwann mal vor ein paar Wochen: "Herr Kruse, haben Sie schon gesehen, da gibt's einen Juwelier, der hat 50 Ihrer Bücher im Schaufenster!" Und dann bin ich mal her, und da hat er gesagt: Seine Frau hat es gelesen und fand es so gut, und da haben die gleich beschlossen, sie machen da was. Und sie kannten jemanden beim Verlag, der hat ihnen die Bücher zur Verfügung gestellt. Und er hat mir neulich erzählt, sie verkaufen mittlerweile mehr dieses Buch als Juwelier als Schmuck im Moment. Und wir waren ins Gespräch gekommen, das sind sehr nette Leute, und ich hab da neulich auch mal eine Lesung gemacht, war sehr angenehm."
    Bücher beim Juwelier, da gesellen sich Preziosen zu Preziosen. Schön wär's, das Beispiel machte Schule, in Nürnberg und im ganzen Land.

    Dirk Kruse: "Tod im Augustinerhof"
    Ars Vivendi, 336 Seiten, 14,90 Euro