Am 27. Dezember wurden die Preisträgerinnen und Preisträger des Deutschen Krimipreises für das Jahr 2019 bekannt gegeben. Seit 1985 würdigt die 30-köpfige Jury jährlich je drei deutschsprachige Originaltitel und drei Übersetzungen ins Deutsche – Titel, so die Jury, die dem Genre "inhaltlich originell und literarisch gekonnt (…) neue Impulse verleihen".
Auf den ersten Platz der Kategorie national wurde "Berlin Prepper" von Johannes Groschupf aus dem Suhrkamp Verlag gewählt; in diesem Roman gerät ein Content Manager einer großen Tageszeitung, der täglich Tausende Hasskommentare online moderiert, in den rechten Sumpf. Den ersten Platz in der Kategorie international belegt "Die Alte" von Hannelore Cayre, eine Übersetzung aus dem Französischen, erschienen im kleinen unabhängigen Argument Verlag mit der Krimireihe Ariadne. Die titelgebende Hauptfigur versucht mithilfe eines zufällig entdeckten riesigen Cannabis-Vorrats, die Pflegekosten für ihre demente Mutter zu begleichen.
In beiden Romanen sucht man gebrochene oder skurrile Ermittler vergebens, denn hier es gibt keine Ermittler, ebenso wenig wie falsche Fährten oder Ähnliches. Vielmehr sind es scharfzüngige und schonungslose Analysen von Gegenwart und Gesellschaft. Sie – wie auch die übrigen mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Romane – zeigen, wie anspruchsvoll und literarisch Kriminalromane sein können und wie breit das Spektrum wirklich guter Krimis ist. Dennoch werden diese Romane nicht auf den Bestsellerlisten landen.
Weite Kluft zwischen Qualität und Quantität
Denn die werden dominiert von Massenware: vorhersehbare Schmunzelkrimis, schnell heruntergeschriebene Thriller fernab jeder Realität oder Provence-Krimis nach Schema F besetzen Monat für Monat die vorderen Plätze. Nun ist es gerade bei Literatur nicht ungewöhnlich, dass Qualität sich nicht in Verkaufszahlen niederschlägt. Doch besonders beim Kriminalroman klafft die Schere zwischen Qualität und Quantität immer weiter auf.
Auf den ersten Blick fällt das gar nicht so auf. Spannungsliteratur ist laut Umfragen schon länger das beliebteste beziehungsweise meistgelesene Genre, besonders bei Frauen. Der Umsatz liegt seit Jahren recht stabil bei rund 25 Prozent des gesamten Belletristikumsatzes. Zwar gingen die Verkäufe insgesamt zurück, doch betrifft dies die gesamte Belletristik und macht im Umsatz nur wenige Prozentpunkte aus. Schaut man jedoch genauer hin, bietet sich ein anderes Bild.
Zurückgehende Umsätze
So stellt zum Beispiel Monika Dobler, die Mitinhaberin der Krimibuchhandlung Glatteis in München, fest, dass der Umsatz mit Krimis in den letzten Jahren bei ihr zurückgeht. Blockbuster-Krimis von Autorinnen wie Rita Falk, Sebastian Fitzek oder Nele Neuhaus laufen in ihrem Laden so gut wie gar nicht. Zu ihr kommen Kunden, die Kriminalromane jenseits des 08/15-Schemas suchen – aber sie kommen immer seltener. Unabhängige Verlage, die anspruchsvolle Krimis veröffentlichen, bestätigen diese Erfahrung. Katharina Picandet von der Hamburger Edition Nautilus sagt:
"Im Laufe der letzten zehn Jahre, würde ich sagen, stabile Verkäufe sind eher schwieriger geworden tatsächlich. Ich hab schon den Eindruck, dass selbst eingeführte Autoren – dass man da ein bisschen vorsichtiger sein muss mit der Erstauflage als noch vor zehn Jahren."
Anderen Verlagen wie beispielsweise dem Hamburger Argument Verlag geht es ähnlich. Auch Thomas Wörtche, Herausgeber von Krimis beim Suhrkamp Verlag, stellt fest, dass es schwieriger geworden ist, komplexe Romane an die Leserinnen und Leser zu bringen.
In dieser Situation ist es wenig hilfreich, dass auch in den Medien anspruchsvollere Krimis immer weniger Beachtung finden. So hat zum Beispiel die "Stuttgarter Zeitung", die über eine der langlebigsten Krimikolumnen verfügte, vor wenigen Jahren die Krimikritik auf ihre Website ausgelagert und diese dort im vergangenen Jahr ganz aufgegeben. Ebenso ist die langjährige Krimikolumne "Krekeler killt" von Elmar Krekeler in der "Welt" eingestellt worden. Auch WDR 2 hat seinen wöchentlichen Krimitipp aus dem Programm genommen. Krimikritik findet in diesen Medien nur noch sporadisch statt. Auch im "Büchermarkt" des Deutschlandfunks gibt es kein "Krimi Spezial" mehr.
Unterhaltung statt kritischer Auseinandersetzung
Einige Medien setzen stärker auf andere Formate: Geradezu symptomatisch ist die Ersetzung des "Literatur Spiegels" durch das Magazin "Spiegel Bestseller": Hier werden, wie der Name schon sagt, gegenwärtige und potenzielle Bestseller vorgestellt, und zwar bevorzugt mittels erzählender Formate wie Interviews, Porträts und Reportagen – und übrigens nicht mehr nur Bücher, sondern auch Filme und Musik. Die kritische Auseinandersetzung weicht so der Unterhaltung, und Kriminalromane jenseits der Massenware verschwinden ganz aus dem Blick.
Viele dieser Veränderungen sind finanziell oder auch personell bedingt: Mit dem Weggang von Krimikritikerinnen und -kritikern gehen Kennerschaft und Kompetenz verloren. Zudem wird insgesamt der Platz für Literaturkritik in den Medien kleiner, sodass der Rückgang von Besprechungen anspruchsvoller Kriminalromane auch Teil dieser Entwicklung ist. Am Ende steht jedoch, dass Krimis jenseits des Erwartbaren in den Medien immer weniger präsent sind.
Zuletzt sorgte die Meldung der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" für Aufsehen, die Krimibestenliste, eine Empfehlungsliste der zehn besten Kriminalromane eines Monats, die die FAS in Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur herausgibt, nicht mehr in der Druckausgabe, sondern nur noch online zu veröffentlichen. Franziska Otto von der Edition Nautilus erklärt:
"Was uns die Krimibestenliste tatsächlich immer gebracht hat, sind jetzt nicht in erster Linie sehr gute Verkäufe, sondern vor allem erst mal eine gewisse Aufmerksamkeit für einen Titel, weil die ja dann auch meistens gleich nach Erscheinen drauf stehen im Idealfall und eben andere Kritiker und Kritikerinnen darauf aufmerksam werden und sich die Titel anschauen. Oder es gibt eben auch engagierte Buchhändler und Buchhändlerinnen, die diese Liste wirklich vorstellen, die Bücher einkaufen und einen extra Tisch dafür machen."
Ihre Kollegin Katharina Picandet ergänzt:
"Es sind immer wieder nur die, die ohnehin schon gut gehen, die in die Sichtweite kommen. Und das ist natürlich für kleinere Verlage, die dann auch mal etwas riskantere Titel machen, die vielleicht die Genreerwartung nicht unbedingt erfüllen, sondern aktiv damit spielen – was weiß ich: wir machen sehr literarische Krimis oder wir machen Krimis, wo dann am Ende sich zumindest die Frage gestellt werden muss: war das überhaupt ein Verbrechen – solche mehr in die normale Literatur tendierenden Bücher sind vielleicht wirklich nicht mehr zu finden, auch nicht für Leser, die das vielleicht sogar lieber lesen würden."
Nicht lieferbar?
Dies wird verstärkt durch die Auslistung von Buchtiteln beim Zwischenhändler Libri, einem der großen Barsortimente, die Buchhandlungen bundesweit beliefern. Libri nimmt inzwischen alle Bücher aus seinem Programm, die bestimmte Umsatzzahlen nicht erreichen. Dies hat zur Folge, dass diese Bücher den bestellenden Buchhandlungen als nicht lieferbar angezeigt werden, obwohl diese Titel natürlich sehr wohl verfügbar sind – nur eben nicht bei Libri. Björn Bedey, Mitglied im Sprecherkreis der IG Unabhängige Verlage im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, macht sich deshalb Sorgen, dass gerade unabhängige Verlage auf diese Weise an Sichtbarkeit verlieren. Torsten Meinicke hingegen, Mitinhaber des "Buchladens in der Osterstraße" in Hamburg und Krimi-Experte, sieht dies nicht so dramatisch:
"Die Auslistung von Büchern und Nischenprodukten, auch Nischenkrimis oder älteren oder wenig verkauften, wenn auch guten Krimis in den Barsortimenten sehe ich gar nicht so gefährlich. Ich habe auch mit Verlegerinnen und Verlegern gesprochen, die sagen: Das macht den Kohl nicht fett, das ist nicht so schlimm, weil die ein, zwei, drei Exemplare, die über die Barsortimente im Jahr da noch verkauft wurden, die tun uns nicht weh, wenn die da jetzt nicht mehr drin sind. Ich würde eigentlich sowieso erwarten, dass jede seriöse Buchhandlung, ob unabhängig oder nicht, natürlich weiß, dass Bücher, die nicht bei dem Barsortiment mehr gelistet sind, trotzdem noch existieren."
Eine verlorene Generation
Ihn beunruhigt eher, dass gerade junge Menschen zwischen zwanzig und dreißig immer weniger lesen, Meinicke spricht gar von einer verlorenen Generation für die Literatur und vor allem für den Krimi. Wie Monika Dobler von der Krimibuchhandlung Glatteis beobachtet auch er, das junge Menschen so gut wie gar nicht mehr zu Kriminalromanen greifen. Die Konkurrenz anderer Unterhaltungsmedien sei gerade für den Krimi spürbar geworden, sagt auch Katharina Picandet: Viele gute Serien, die von Streamingdiensten angeboten werden, haben ähnliche Erzählhaltungen und -strukturen wie anspruchsvolle Kriminalromane.
Monika Dobler berichtet, dass viele Kolleginnen und Kollegen aus Buchhandlungen mit einem breiten Publikumsangebot sich kaum für Krimis interessieren und deshalb lediglich die Bestseller in Stapeln bereitstellen. Was es neben diesen noch gibt, sei ihnen oftmals unbekannt. Dabei gibt es Angebote, sich darüber zu informieren, neben dem Deutschen Krimipreis und der Krimibestenliste zum Beispiel das Online-Magazin CrimeMag oder den KrimiDetektor, eine Online-Presseschau für Kriminalliteratur, die von der Autorin dieses Beitrags zusammengestellt wird.
In wirtschaftlich angespannten Zeiten konzentrieren sich Buchhandel, Verlage wie auch Feuilleton verstärkt auf gut verkäufliche Blockbuster-Formate. Dies geht aber zulasten von Vielfalt und Qualität, während doch gerade der Buchmarkt von Bibliodiversität lebt. Bieten alle nur noch das Immergleiche, gräbt sich die Branche selbst das Wasser ab.
Johannes Groschupf: "Berlin Prepper"
Suhrkamp Verlag, Berlin. 236 Seiten, 14,95 Euro.
Suhrkamp Verlag, Berlin. 236 Seiten, 14,95 Euro.
Hannelore Cayre: "Die Alte"
Aus dem Französischen von Iris Konopik
Argument Verlag mit Ariadne, Hamburg. 203 Seiten, 18 Euro.
Aus dem Französischen von Iris Konopik
Argument Verlag mit Ariadne, Hamburg. 203 Seiten, 18 Euro.