Dirk-Oliver Heckmann: Kriminelle Großclans in Deutschland, das ist ja ein Problem für die Sicherheit in Deutschland darstellen, ist schon länger bekannt. Jetzt wollen Bund und Länder stärker miteinander kooperieren. Sebastian Fiedler ist Stellvertretender Bundesvorsitzender des Bunds deutscher Kriminalbeamter, und ihn habe ich vor der Sendung gefragt, wie groß das Problem krimineller Großclans in Deutschland denn ist.
Sebasitan Fiedler: Das ist lokal unterschiedlich, je nachdem, über welches Bundesland wir sprechen. Wenn wir jetzt über Berlin oder einige Ruhrgebietsstädte sprechen, dann haben wir durchaus ein beträchtliches Problem, und das liegt insbesondere daran, weil es seit Jahrzehnten schon gewachsen ist.
Heckmann: Können Sie ein Beispiel nennen, wo sich das auswirkt?
Fiedler: Sie meinen, wie sich das praktisch auswirkt? Im Extremfall wirkt sich das so aus, dass einzelne Clans untereinander sich draußen auf öffentlichen Plätzen auf die Mappe hauen unter Zuhilfenahme von Macheten und anderen Dingen. Und in der Folge natürlich gegenüber der Polizei dort darüber keine Angaben machen. Es drückt sich anders aus durch Raubüberfälle wie in Berlin, die sehr spektakulär schon besprochen worden sind, und Ähnliches. Das sind aber nur die Dinge, die nach außen treten. Im Untergrund findet natürlich eine ganze Reihe von wirklich handfester Kriminalität wie zum Beispiel Rauschgiftkriminalität, jeden Tag statt.
"Subkulturen, die das deutsche Rechtssystem ablehnen"
Heckmann: Aus welchen Ländern stammen diese Clans in erster Linie?
Fiedler: Das ist nicht so leicht zu beantworten, weil dahinter so die Frage steckt, wie ist dieses Problem gewachsen. Und wenn man ein Beispiel herausgreift, dann gibt es diese M-Kurden, Malami-Kurden, die haben wirklich eine weit zurückreichende Vita, die man einzeln besprechen muss, und sich dann anschauen kann, warum hat da erstens Integration nicht funktioniert, warum haben die zweitens so abgeschottete Strukturen hier etabliert. Wir haben allerdings auch aus anderen ethnischen Bereichen hier Clans zu beklagen. Wenn Sie so wollen, ist die übergreifende Klammer dafür, dass es sich um Subkulturen handelt, die für sich ein eigenes Normen- und Wertesystem reklamieren, die das deutsche Rechtssystem absolut ablehnen, die ein eigenes Rechtssystem zu etablieren versuchen und die ihren Lebensunterhalt insbesondere dadurch bestreiten, dass sie einerseits durchaus auf die deutschen Sozialsysteme gern zurückgreifen, andererseits aber auch einen beträchtlichen Lebensstandard durch Straftaten sich ergaunern.
"Wertesystem lässt den Staat außen vor"
Heckmann: Aber trotzdem ist ja die Frage, auch wenn sich solche Gruppierungen gern abschotten, weshalb ist es so schwierig, diese Clans oder die Kriminalität, die damit verbunden ist, zu bekämpfen?
Fiedler: Das hat genau damit zu tun. Das hat einerseits zu tun mit dieser Abschottung, nämlich, dass diese Familien sehr stark untereinander bleiben. Das ist insoweit für uns aber nicht neu, weil wir das natürlich aus vielen Bereichen der organisierten Kriminalität kennen. Wir kennen es aus dem Phänomenbereich der Korruption. Wir haben es häufig mit entweder konspirativen Strukturen, abgeschotteten Strukturen zu tun, die selbst natürlich versuchen, nach Möglichkeit Strafverfolgungsbehörden außen vor zu lassen. Und bei diesen familiär geprägten Strukturen funktioniert das so, dass man eben sehr intensiv untereinander heiratet, viele Kinder kriegt, versucht, einen großen Clan aufzubauen und, ich hatte das schon versucht, anzudeuten, ein eigenes Normen- und Wertesystem etabliert, was per se natürlich den Staat insoweit völlig außen vor lässt. Und das macht es natürlich aus einer reinen Strafverfolgungsperspektive heraus den Ermittlungsbehörden schwer, dort einzudringen. Ein anderer Aspekt ist der, dass ja nicht nur die Polizei allein ein solches Problem lösen kann. Sie hat es auch nicht verantwortet, sondern das ist im Prinzip über Jahrzehnte gewachsenes, fehlgeschlagenes Integrationsthema, wenn Sie so wollen. Was auch noch zusätzlich sich in bestimmten Stadtteilen sehr abgeschottet manifestiert, und das löst natürlich die Polizei jetzt nicht über Nacht allein als einer der Akteure, sondern da müssen in der Tat schon mehr ran. Die Justiz als ein weiteres Beispiel, Steuer, Zoll, Kommunen, also alle müssen da an einem Strang ziehen, um wirklich dann mit langem Atem, das will ich mal betonen, diese Strukturen aufzubrechen. Ansonsten sehe ich da wirklich schwarz.
"An allen Enden und Kanten fehlen uns derzeit die Ressourcen"
Heckmann: Polizeibeamte berichten, sie würden auch von Clans durchaus bedroht, was zur Folge haben könnte, dass der Verfolgungsdruck möglicherweise nicht immer so hochgehalten wird, wie das vielleicht notwendig wäre. Können Sie das so bestätigen?
Fiedler: Nein, den Zusammenhang würde ich nicht unterschreiben. Ich würde nicht unterschreiben, dass das Kernproblem darin besteht, dass einzelne Polizeibeamte von den Clanstrukturen bedroht werden. Das Kernproblem liegt an einer ganz anderen Stelle, das liegt nämlich darin, dass wir im Bereich der Strafverfolgung, und wenn wir jetzt insbesondere Berlin und Nordrhein-Westfalen als zwei besonders belastete Bundesländer mal herausgreifen, da liegt die Kriminalpolizei im wahrsten Sinne des Wortes am Boden. Und wir haben keine Kapazitäten, um mit langem Atem strukturelle auf Dauer gegen solche Strukturen vorgehen zu können. Das ist das glaube ich dominierende Problem. Alle anderen Debatten bewegen sich so ein bisschen an der Oberfläche. Natürlich ist es gut, das, was jetzt Bund und Länder anstreben, intensiver Informationen auszutauschen, ein neues Lagebild zu erstellen. Das ist alles wunderbar, aber es gilt oft die Überschrift, die Kriminalpolizei weiß schon, wie sie solche Strukturen aufbrechen könnte und was sie zu tun hätte. Allerdings fehlen uns an allen Enden und Kanten derzeit die Ressourcen. Und hierfür bräuchten wir wirklich sehr lange, intensiv arbeitende Ermittlungskommissionen, um hier wirklich denen das Handwerk legen zu können, so, wie es in Berlin geschehen ist. Viele Immobilien beschlagnahmt – das ist ein Schlüssel zum Erfolg.
Kooperation löst nicht das Ressourcen-Problem nicht
Heckmann: Jetzt wollen Bund und Länder stärker kooperieren, Sie haben es gerade gesagt. Was ist denn der Grund dafür, dass diese Kooperation bisher so nicht stattgefunden hat?
Fiedler: Ich glaube weniger, dass es um die Frage der Kooperation geht. Alles, was ich so gelesen habe, hat natürlich damit zu tun, dass man sich intensiver austauschen will. Man will ein neues Lagebild entwickeln, um das jetzt noch mal aufzuschreiben, was da jetzt so alles passiert. Es ist eben nicht so, das muss man vielleicht als Abgrenzung noch mal deutlich machen, dass wir diese Clanstrukturen mit der italienischen Mafia vergleichen könnten, die global agiert und professionell organisiert ist. Die sind per se zunächst einmal einigermaßen lokal zu verorten, diese Strukturen, wenngleich sie natürlich versuchen, auch Strippen in andere Bundesländer zu ziehen. Aber ich glaube, das ist eine grundsätzliche Frage, die ist insoweit nicht besonders. Und wenn wir uns darüber unterhalten würden, wie wir andere kriminelle Phänomene bekämpfen würden, dann gilt das, was dort gilt, was zur Bekämpfung der Rocker-Kriminalität gilt, was für die Bekämpfung anderer Bandenstrukturen gilt, das gilt hier für die Clans gleichermaßen. Insoweit noch einmal: Die Kriminalpolizei weiß eigentlich schon, was zu tun ist. Sie verabredet sich hier sehr professionell untereinander, aber mit sehr, sehr eingeschränkten personellen Ressourcen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.