Dass man den Islamwissenschaftler Ralph Ghadban nun wieder in seiner Wohnung treffen kann, ist noch nicht so lange her. Bis vor ein paar Tagen war er untergetaucht. Zu gefährlich.
"Ich musste untertauchen, bis die Ermittlungen der Polizei begonnen haben. Ich war raus aus Berlin."
Leben unter Polizeischutz
Nun sitzen wir am Esszimmertisch in seiner Berliner Altbauwohnung, und Ghadban erzählt von dem verhängnisvollen Interview, das sein Leben, seinen Alltag verändert hat.
"Am 24. April bekomme ich E-Mails, da schaue ich auf die Namen, das sind Clannamen! Und ich denke, was verschafft mir die Ehre? Bei einer der Mails war ein Video, das war das erste Drohvideo, und die bezogen sich auf ein Interview im libanesischen Fernsehen."
Es war keineswegs das erste Interview, in dem der Islamwissenschaftler aus dem Libanon über die Machenschaften krimineller Clans in Deutschland gesprochen hat. Ghadban ist gefragter Experte in den Medien, wie bei deutschen Sicherheitsbehörden. Im Oktober hat er "Die unterschätzte Gefahr" veröffentlicht, ein Buch über die Macht der Clans in Deutschland.
Nur: all das fand in der deutschen Öffentlichkeit statt. Und die sei für die Bosse der arabischen Clans in Deutschland völlig irrelevant. "Die leben nicht in unserer Welt - überhaupt nicht."
Mit dem Interview im libanesischen Fernsehen hat er ein nun anderes Bild der nach Deutschland ausgewanderten Libanesen vermittelt. In deren Herkunftsland.
"Wenn Migranten sich bei der Verwandtschaft zuhause melden, da bestehen sie drauf, ein positives Bild von sich zu vermitteln. Und was ich gemacht habe: Ich habe ihre Situation in Deutschland beschrieben, dass sie viel mit Kriminalität hier zu tun haben. Und das war für sie eine massive Ehrverletzung. Und die sind auf die Palme gegangen."
Üble Beschimpfungen und Morddrohungen
Knapp drei Wochen nach diesem Interview, an besagtem 24. April, begannen die Drohungen. An diesem Abend – das weiß er aus sicherer Quelle – war die "Familienunion", eine Art oberster Rat der arabischen Clans, im Ruhrgebiet zusammengekommen und hat einen Aufruf gestartet, "wo sie beschlossen haben, energisch gegen mich vorzugehen. Die kennen meine Adresse, ich habe sie seit den 80er Jahren nicht gewechselt, als ich mit ihnen gearbeitet habe. Manche waren bei mir hier zu Hause."
Der gebürtige Libanese hat in den 70er-Jahren für die Libanonhilfe gearbeitet. Um den Bürgerkriegsflüchtlingen in Deutschland zu helfen.
Ralph Ghadbahn setzt sich seine Lesebrille auf und scrollt durch die Mails auf seinem Handy.
"Was sagt er da?" "Ich richte eine Botschaft an Ralph Ghadban. Und dann beginnen die Beschimpfungen. Arschloch, Hund, ich ficke deinen Vater"
Ghadban wischt durch dutzende Mails und Videos mit Beschimpfungen und indirekten Morddrohungen: "Ja wir treten dir auf den Kopf. Und überall wo du dich versteckst, werden wir dich finden und zur Rechenschaft ziehen. Oder: Überall wo ihr ihn trefft, seid gnadenlos mit ihm."
Sie kommen von Clanmitgliedern aus aller Welt. Syrien, Türkei, Libanon, den USA – und natürlich aus Deutschland.
"In Duisburg." "Er sagt, ich rede mit dir aus Duisburg. Das heißt die Verachtung des Staates ist grenzenlos. Mit Namen und Ort – na gut, das war gut für die Polizei."
Ghadban: Der Staat hat das Problem viel zu lange unterschätzt
Ghadban hat unter den vielen Videos die drei Anstifter identifiziert und Anzeige erstattet. Dass Clanmitglieder Menschen in Deutschland bedrohen sei an der Tagesordnung, erzählt der Islamwissenschaftler: Konkurrenten im Geschäft oder Zeugen, die die vor Gericht ihre Aussagen zurückziehen oder gar nicht erst erscheinen sollen. Oft genug bleibe das ohne Konsequenzen für die Kriminellen.
Doch in seinem Fall habe der Rechtsstaat mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln reagiert, sagt Ghadban.
"Und dann ist die Polizei bei ihnen erschienen – und zwar ganz dezidiert und massiv. Die haben so was nicht erwartet. Die sind auf höchster Stufe interveniert, mit Montur und alles Mögliche."
Ein Novum, sagt er. Überhaupt habe der deutsche Staat das Problem viel zu lange unterschätzt sagt, er. In NRW gingen die Behörden mittlerweile robust gegen die Clans vor. Berlin könne davon lernen.
Vorwürfe an das Land Berlin
"Auffällig ist die Haltung von Berlin: Außer dem stellvertretenden Bürgermeister von Neukölln kein Mensch Position bezogen. Weder der Innensenator, noch der Justizsenator oder wie sie alle heißen. Es brennt in Berlin, aber kein Wort davon, als ob sie von diesem Fall nicht betroffen sind. Die müssen irgendwann kapieren, dass die Haltung der Politik entscheidend ist."
Aus Ghadbans Sicht seien zwei Dinge notwendig, um die kriminellen Machenschaften der arabischen Clans zu bekämpfen.
"Der Staat muss energisch intervenieren. Aber man muss sich auf der anderen Seite Gedanken machen, wie man sie integrieren kann. Die werden hier bleiben. Und da habe ich an eine Art Aussteigerprogramm gedacht."
Der Berliner Bezirk Neukölln arbeitet mittlerweile an solch einem Aussteigerprogramm, das im äußersten Fall vorsieht, Kinder, Jugendliche aus den Familien zu nehmen. Um Ralph Gadhban ist es seit den Polizeieinsätzen ist es etwas ruhiger geworden: Die Drohmails haben aufgehört. Ghadban steht unter Polizeischutz. Inzwischen verlässt der 70-Jährige Wissenschaftler auch wieder seine Wohnung. Er sei schließlich kein Typ, der sich versteckt.
"Sonst vermeide ich bestimmte Ecken in der Hoffnung, dass irgendwann alles vergessen wird. Was ich aber nicht glaube. Die verstehen nur Gewalt.