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Kriminelle Kindergeldgeschäfte
Städte kämpfen gegen organisierten Betrug

Südosteuropäische Banden beziehen Kindergeld aus Deutschland für Kinder, die es gar nicht gibt. Manche Kommunen sind besonders stark betroffen. Andererseits ist die Schadenssumme im Verhältnis sehr gering. Und es gibt zahlreiche Arbeitskräfte, die Steuern zahlen und zurecht Kindergeld beziehen.

Von Susanne Grüter |
    NRW, Ruhrgebiet, Dortmund, Nordstadt, Der Stadtbezirk Innenstadt-Nord gilt mit 53.000 Einwohnern und einer Bevoelkerungsdichte von 36,7 Einwohnern pro Hektar als groesstes und dicht besiedelstes, zusammenhaengendes Altbaugebietes im Ruhrgebiet.
    EU-Bürger dürfen in jedem EU-Land arbeiten und haben dort Anspruch auf Kindergeld. Im Bild: Problembezirk Dortmund Nordstadt. (Ralph Lueger/imago stock&people)
    Kindergeld für EU-Ausländer – dieses Thema führt seit Jahren zu emotionsgeladenen Debatten in Deutschland. Besonders seit Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link im August 2018 Alarm schlug.
    "Ich hoffe, dass der Staat konsequent gegen organisierte Kriminalität vorgeht. Ich erwarte, dass da auch gehandelt wird."
    Der SPD-Politiker beklagt eine gezielte Migration in das deutsche Sozialsystem. Er kritisiert Kindergeldüberweisungen vor allem nach Osteuropa. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit erlaubt EU-Bürgern, überall in der EU zu arbeiten. Seit 2014 gilt das auch für Bulgaren und Rumänen, von denen sich inzwischen immer mehr nach Deutschland aufmachen. Sören Link:
    "Viele dieser Menschen kommen hierhin, um ein besseres Leben für sich, für ihre Kinder zu erreichen, und ich verstehe das. Grundsätzlich und menschlich. Aber viele von ihnen sind längst Teil eines ausgeklügelten Systems von Schlepperbanden, das sich zum Ziel gesetzt hat, im Wesentlichen Sozialleistungen zu beziehen. Das Kindergeld ist dabei ein Vehikel, mithilfe falscher Dokumente ein Maximum an Leistung zu erschleichen."
    Betrug mit fingierten Geburtsurkunden
    Die Kindergeld-Diskussion hat verschiedene Aspekte, die in der politischen Auseinandersetzung oft nicht sorgfältig getrennt werden. Der von Sören Link angesprochene Missbrauch bezieht sich auf wenige Fälle, die aber einige Kommunen wie Duisburg hart treffen.
    Der Betrug funktioniert so: Kriminelle Organisationen locken Rumänen und Bulgaren in Städte mit billigem Wohnraum. Sie bringen die Menschen dort unter, fälschen deren Arbeitspapiere und täuschen so eine reguläre Arbeit vor. Denn Kindergeld bekommen EU-Bürger nur, wenn sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ein bestimmtes Mindesteinkommen haben und einen Wohnsitz nachweisen. Dann fingieren die Betrüger Geburtsurkunden von Kindern, die es nicht gibt, und kassieren ab.
    Sören Link, Oberbürgermeister der Stadt Duisburg
    Sören Link, Oberbürgermeister der Stadt Duisburg: Der SPD-Politiker beklagt eine gezielte Migration in das deutsche Sozialsystem. (imago stock & people)
    Nicht nur die AfD empört sich über den Kindergeldbetrug und wettert gegen ein vermeintlich zu hohes Kindergeld für zu viele Ausländer. Auch auf dem CSU-Parteitag im vergangenen September spielte das Thema eine Rolle. Die bayerische Landtagswahl stand bevor und CSU-Ministerpräsident Markus Söder, im Wahlkampfmodus, redete sich in Rage.
    "Offenkundig gibt es Riesenmissbrauch, weil Kindergeld von unserem Land transferiert wird in einige Länder in Europa, an Briefkästen, hinter denen nicht Familien und Kinder, sondern offenkundig organisierte Banden stehen. Stoppen wir den Transfer an irgendwelche Banden, bezahlen wir Kindergeld und Familiengeld an unsere Kinder in unserem Land. Die können es nämlich wirklich brauchen, liebe Freunde, und freuen sich auch darauf."
    Drei Gründe für steigende Leistungen
    Richtig ist, es gibt immer mehr ausländische Kindergeld-Empfänger. Das geht aus der Statistik der Bundesfamilienkasse hervor. Sie ist zuständig für die Kindergeldzahlungen.
    Die Familienkasse nennt drei Gründe für die steigenden Leistungen. Erstens: Es kommen mehr Arbeitskräfte aus der EU nach Deutschland. Zweitens: Die Geburten nehmen zu. Und drittens: Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge geht nach oben.
    Im Jahr 2018 zahlte die Bundesfamilienkasse insgesamt fast 37 Milliarden Euro an Kindergeld. Davon entfielen auf ausländische Empfänger über 7,6 Milliarden. Auf ausländische Konten überwies der Staat rund 377 Millionen Euro. Somit flossen nur etwas mehr als ein Prozent der Gesamtsumme ins Ausland.
    Beschäftigungskommissarin Marianne Thyssen
    "Gleiches Kindergeld für gleiche Steuerabgaben": EU-Beschäftigungskommissarin Marianne Thyssen (Thierry Roge/dpa)
    Doch dieses eine Prozent erregt die Gemüter. Bundesregierung, Union, weite Teile der SPD und Deutscher Städtetag wollen daher das Kindergeld an EU-Ausländer reduzieren. Die Höhe müsse sich an den Lebenshaltungskosten am Wohnort der Kinder orientieren. Bayern hatte dazu im Juni 2018 sogar einen Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht.
    Die Forderung ist nicht neu. Schon Wolfgang Schäuble hatte als Bundesfinanzminister in der vergangenen Legislaturperiode eine Änderung auf EU-Ebene angestrebt. Die EU-Kommission lehnte das ab.
    Aus Brüssel hieß es stets, die sogenannte Indexierung sei mit EU-Recht nicht vereinbar.
    Marianne Thyssen, die zuständige EU-Sozialkommissarin, betont seit Jahren, es gelte gleiches Geld für gleiche Arbeit, also müsse es auch gleiches Kindergeld für gleiche Steuerabgaben geben.
    Gleiches Geld für gleiche Arbeit?
    Stefan Sell, Sozialwissenschaftler der Hochschule Koblenz und Arbeitsmarktexperte:
    "Der normale Fall ist ein polnischer Saisonarbeiter, der für drei Monate hier in Deutschland in der Gemüseernte arbeitet oder in der Weinlese. Der bringt natürlich seine Kinder nicht mit nach Deutschland, der zahlt aber in Deutschland Steuern. Und das Kindergeld ist ja jetzt keine Sozialleistung wie Hartz IV oder andere, sondern zu einem nicht geringen Teil die Rückgabe zu viel gezahlter Einkommensteuer, also eine steuerrechtliche Rückerstattung. Und die steht dem natürlich genauso zu wie einem anderen Arbeitnehmer hier in Deutschland auch."
    Nicht nur die EU-Kommission, auch das EU-Parlament und der überwiegende Teil des EU-Rates lehnen eine Indexierung ab. Außer Deutschland wollen nur Österreich, die Niederlande, Irland und Dänemark das Kindergeld kürzen. Sven Giegold, Sprecher der europäischen Grünen im EU-Parlament:
    "Ich habe das oft im Trilog erlebt, wenn die Kommission sagt, das ist mit dem europäischen Recht nicht vereinbar, dann ist auch im Trilog der drei Institutionen Ende der Diskussion. Aber darum geht es hier überhaupt nicht. Es geht einzig und allein darum, rund um die Europawahlen hier politische Geländegewinne auf Kosten der Kinder und der europäischen Gleichberechtigung zu erzielen. Und dass da so viele hinterher laufen, statt sich mit den Problemen, die wir in dem Bereich haben, zu beschäftigen, das ist wirklich traurig."
    Polnische Saisonarbeiter vom Agrarbetrieb Buschmann und Winkelmann ernten am 29.04.2013 Spargel auf einem Feld nahe Zauchwitz bei Beelitz.
    "Das Kindergeld ist eine steuerrechtliche Rückerstattung": Polnische Saisonarbeiter ernten in Brandenburg Spargel. (pa/dpa/Pleul)
    "Osteuropäer, die zu Hunderttausenden hier zu uns kommen und hier Jobs machen, die kein Deutscher mehr macht, das wollen wir gerne, und es gibt ganze Branchen, Hotel und Gastronomie, aber auch in anderen Feldern wie der Pflege beispielsweise, wo unsere Strukturen zusammenbrechen würden ohne diese Arbeitskräfte. Aber wenn damit selbstverständlich auch Zahlungen verbunden sind, und die freie Entscheidung der Betroffenen ist, mein Kind lieber in Polen oder in Rumänien zu lassen, statt es mit hierher zu bringen, denn das wäre ja die Alternative, das muss man sich klar machen. Würden die ihre Kinder mitbringen, hätten sie selbstverständlich Anspruch auf das deutsche Kindergeld in voller Höhe auch bei einer Neuregelung. Das wollen wir dann nicht. In meinen Augen ist das eine doch sehr verlogene deutsche Diskussion."
    "Es ist legitim, die Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen"
    So Arbeitsmarktexperte Stefan Sell. Europarechtler Daniel Thym von der Universität Konstanz hält die europäische Rechtslage für weniger eindeutig.
    "EU-Arbeitnehmer haben in der Tat ein Recht darauf, das gleiche Kindergeld zu bekommen. Die spannende Frage ist, was heißt jetzt eigentlich Gleichheit? Erfolgsgleichheit, dass derselbe Betrag in Euro und Cent herauskommen muss oder heißt Gleichheit nur die gleiche Berechnungsmethode? Wenn etwa ein Student ins Ausland geht, dann kriegt er ein geringeres Stipendium von einer Stiftung, wenn er nach Bulgarien geht, als wenn er nach London geht, weil in London der Lebensunterhalt teurer ist. Und wenn wir sagen, das Kindergeld soll sich daran orientieren, dann ist es schon auch legitim, die Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen."
    So argumentierte auch Österreich, das seit Januar 2019 im Alleingang weniger Kindergeld zahlt. Das Nachbarland berief sich darauf, über die Berechnungsmethode von Familienleistungen selbst zu entscheiden. Doch nun hat die Brüsseler Behörde deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet. Die Brüsseler Behörde argumentierte mit der Logik, das gleiche Beiträge auch zu den gleichen Vorteilen führen sollten. Damit wird in der EU-Kommission darauf Bezug genommen, dass Kindergeld und andere Familienleistungen in Ländern wie Österreich und Deutschland nur an diejenigen EU-Ausländer gezahlt werden, die auch in das jeweilige Sozialversicherungssystem einzahlen.
    Dem Beispiel Österreichs will Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht folgen. Ob es gerecht sei, überall in Europa deutsches Kindergeld zu zahlen, könne nur im Einvernehmen mit der EU geklärt werden.
    "Es ist ein wachsendes Problem, deshalb werden wir uns damit auch weiter beschäftigen, aber nicht das vorherrschende Thema. Wir haben fast mehr Sorgen im Augenblick mit dem Missbrauch der Freizügigkeit, dass in so heruntergekommene Immobilien im Ruhrgebiet zu unsäglichen Bedingungen Leute nach Deutschland gelockt werden. Dem Missbrauch muss natürlich nachgegangen werden."
    40 Fälle von Pfusch in NRW
    "Wenn wir über Sozialleistungsmissbrauch sprechen, geht es eigentlich nicht um die Menschen, die hier arbeiten und deren Kinder im Ausland leben", sagt Christoph Löhr, Sprecher der NRW-Arbeitsagentur in Düsseldorf. Er und seine Kollegen haben die kriminellen Machenschaften in Nordrhein-Westfalen untersucht und sind auf etwa 40 Fälle von Pfusch bei Kindern gestoßen. Der Schaden: 400.000 Euro. Bei den Überweisungen ins Ausland gebe es so gut wie keine Betrugshinweise.
    "61 Prozent aller deutschen Staatsbürger gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Bei rumänischen Staatsbürgern in Deutschland liegt diese bei 60 Prozent. Wir sehen, in der Masse ist das kein Problem. Wir gehen allerdings davon aus, dass es systematische Strukturen gibt, die Menschen in der Absicht einquartieren, dass diese dann Sozialleistungen erhalten, dieses Geld abkassieren und für sich behalten, und die Menschen dann möglicherweise sogar dazu gezwungen sind, auch noch schwarz zu arbeiten."
    Der Missbrauch findet im Inland statt. Dabei geht es zwar auch um Kindergeld, aber vor allem um allgemeinen Sozialbetrug. Es geht um Armutsmigration, Ausbeutung und kriminelle Auswüchse in Kommunen mit vielen leerstehenden Wohnungen. Besonders betroffen: Offenbach, Fürth und Ruhrgebietsstädte wie Duisburg.
    "Wir sind jetzt hier auf dem Bruckhausener Markt, direkt neben dem Grüngürtel, der neu gebaut worden ist. Hier ist wirklich viel Leben, unterschiedliche Kulturen und viel Migrationsgeschichte. Wir haben zu Marktzeiten auch dann geöffnet den Kulturbunker Bruckhausen, und wir kennen eigentlich sehr viele Leute hier. Hallo, was macht das Baby? Ist der in Duisburg geboren oder in Rumänien?" "Hier geboren. Ja."
    Michael Fröhling, Geschäftsführer des Kulturbunkers Bruckhausen, ist die Seele des Stadtteils. In dem klotzigen Backsteinbau treffen sich Migranten, darunter viele Roma, vor allem aus Rumänien. Der Duisburger Norden ist geprägt durch die Stahlindustrie.
    Das falsche Versprechen von Arbeit und Sozialleistungen
    "Thyssen Krupp ist ja in den 80er Jahren immer weiter gewachsen, und so waren quasi Wohnungen und Industrie sehr dicht zusammen, eine hohe Belastung in den Vierteln, und dann war ein Stillstand durch die Stahl- und Ölkrise. Und dann hatten wir einen sehr großen Leerstand, bis zu 40 Prozent. An Thyssen direkt waren wirklich ganze Häuserreihen, wo wirklich nur noch zwei, drei Familien wohnten."
    Grüngürtel Duisburg-Nord, in Duisburg-Bruckhausen, Parkanlage entlang des ThyssenKrupp Stahlwerks, hier standen früher 161 Wohn- und Geschäftshäuser, die in sehr schlechtem Zustand waren und teils leer standen, Abbruchhäuser, 
    Armutsmigration in seit Jahren leer stehende Häuser: Duisburg Bruckhausen am Rand des Stahlwerks von ThyssenKrupp (Jochen Tack/imago stock&people)
    Gemeinsam mit Michael Fröhling kämpft Edeltraud Klabuhn, lange Zeit Stadtteilmanagerin der Entwicklungsgesellschaft Duisburg, gegen Verfall und Armut. Bruckhausen gehe es bedeutend besser, seit die vielen leerstehenden Häuser abgerissen wurden.
    "Trotzdem haben wir seit 2014 auch eine Zuwanderung von Menschen aus Südosteuropa auf sehr engem Raum, in einem ganz kleinen Karree, es sind von fast 4.000 Einwohnern mittlerweile doch fast 1.000 Menschen aus Rumänien und aus Bulgarien, die vorrangig in den verbliebenen schlechten Häusern wohnen. Es wird Arbeit versprochen, und es werden Sozialleistungen versprochen."
    Die Realität sieht anders aus. Viele Roma haben Probleme mit Mittelsmännern, die abkassieren, mit Vermietern, die behaupten, sie hätten ihre Miete nicht gezahlt. Sozialarbeiter und ehrenamtliche Helfer kümmern sich um Rechtsbeistand, warmes Essen, ärztliche Versorgung, Sprachkurse, um alles. Michael Fröhling:
    "Wir sind die Speerspitze der Arbeit mit den Romaleuten. So sind wir wirklich nah an den Problemen und können wirklich in vielen Fällen helfen. Du bist damals zu mir gekommen, als Du in die Schule solltest, ne?" Romafrau: "Ja." Er: "Wie lang warst Du denn?" Sie: "Ein Jahre." Er: "Ein Jahr – und jetzt hast Du schon ein Kind, ne? Und kommst schon mit Deinem Baby hierher zu uns." Sie: "Ich helfen im Bunker. Ich kochen, ich mach sauber. Ich komme aus Rumänien, Bukarest. Keine Geld in Rumänien, in Rumänien hat eine Kind zehn Euro und geht nicht. In Deutschland ist besser."
    "Armut, die wir hierzulande gar nicht kennen"
    "Die Menschen sind ja gar nicht gewohnt, dass man sie akzeptiert, dass man ihnen nicht auf rassistische Weise begegnet. Wir haben Menschen, die in Armut leben, die wir hier überhaupt nicht kennen, die uns auch in unserer Sozialarbeit völlig ungewohnt ist, dass Menschen kaum was zu essen haben. Wir haben die ersten Jahre Kinder gehabt, die nichts anzuziehen hatten, wo Kinder dann Erwachsenenschuhe anhatten oder barfuß gelaufen sind."
    "Wir haben gemerkt, dass das gar keine homogene Gruppe ist. Es sind Familien aus England, aus Frankreich, aus Italien gekommen, sehr viel aus Spanien und natürlich immer wieder neue aus Städten in Rumänien, und Migration zieht immer Migration nach sich."
    "Sind oft so Verdrängungen, dass dann in Spanien die Gesetzgebung sich ändert oder irgendeine Hähnchenfabrik die Leute nicht mehr beschäftigt, und dass sie dann hier oder an der niederländischen Grenze irgendwo dann eine Arbeit finden, und dann kommt die ganze Familie hierhin. Und die sind gewohnt, dass es ihnen schlecht geht. Solche Familien sind auch in rumänischen Städten zugewandert und werden dort als Immigranten empfunden. Das ist natürlich eine Schwierigkeit."
    Ein europäisches Problem, das sich in Duisburg wie unter einem Brennglas konzentriert. Alteingesessene Anwohner beschweren sich über die Zustände in den Häusern, in denen viele Roma-Familien leben, und Roma-Verbände wiederum werfen dem Bürgermeister Rassismus vor, weil der Roma und Müllberge in Zusammenhang gebracht hatte. Integration braucht einen langen Atem, aber sobald diese Menschen eine reguläre Wohnung haben und einen Job finden, haben Kriminelle weniger Chancen.
    Um die Lebensumstände in den Problemstadtteilen zu verbessern, wartet Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link weiter auf Hilfe.
    "Letztlich brauchen wir eine EU-weite Initiative zum Abbau des Armutsgefälles innerhalb der Europäischen Union. Ich möchte, dass die vorhandenen Mittel auch tatsächlich von Rumänien und Bulgarien endlich abgerufen werden, damit die Menschen vor Ort keinen Grund mehr haben, in andere europäische Länder fliehen oder auswandern zu müssen."
    Missbrauch von Vertrauen ein "schwerwiegendes Problem"
    SPD-Chefin Andrea Nahles wollte mit den Bürgermeistern der betroffenen Kommunen im September 2018 nach Lösungen suchen.
    Das Foto zeigt SPD-Chefin Nahles auf einer Pressekonferenz im Juni 2018.
    "Die Städte alleine lassen, geht nicht." - SPD-Chefin Andrea Nahles (imago / Uwe Koch)
    "Die Städte alleine lassen, geht nicht. Das Problem ignorieren, dürfen wir nicht, und Freizügigkeit ist für uns ein hohes Gut, deswegen muss man sie aber auch verteidigen gegenüber denen, die sie ausnutzen wollen."
    Doch die SPD sagte den Termin wegen der Landtagswahlen in Hessen und Bayern im Herbst 2018 ab. Ein neues Treffen ist bislang nicht vorgesehen. Nach wie vor aber wissen die betroffenen Kommunen nicht, wie sie die sozialen Missstände beseitigen sollen. Sozialwissenschaftler Stefan Sell:
    "Was wir brauchen, ist ein nationaler Pakt für diese Kommunen, die besonders von Armutszuwanderung betroffen sind. Hier muss der Bund Finanzmittel zur Verfügung stellen. Dann würden wir einen bestimmt ordentlichen Teil der Probleme zumindest bearbeiten können. Das können die zurzeit nicht. Aber das liegt bitteschön nicht am Kindergeld als Leistung, sondern das liegt daran, dass wir diese Kommunen im Regen stehen lassen."
    "Dieses Solidarsystem funktioniert eben nur dann, wenn man das Vertrauen darin hat, dass das auch alles seine Richtigkeit hat, und deshalb ist es immer ein besonders schwerwiegendes Problem, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird. Dass vielen Ausländern, die Kinder im Ausland haben, unterstellt wird, sie kämen nur hierhin, um unser Kindergeld, wie es so heißt, abzuzocken. Das ist ja überhaupt gar nicht der Fall. Aber auch das zeigt schon, da ist die Vertrauensbasis aufgrund weniger Missbrauchsfälle schon sehr angeschlagen, weshalb es so wichtig ist, überhaupt gegen diese Missbrauchsfälle konsequent vorzugehen", sagt Christoph Löhr, Sprecher der Arbeitsagentur NRW. Finanzminister Olaf Scholz bereitet einen Gesetzentwurf vor.
    "Ein Recht auf das deutsche Sozialsystem"
    Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll neue Kompetenzen erhalten. Der Zoll dürfte danach künftig bei Razzien auf Baustellen auch die Kindergeldbezüge der Arbeiter überprüfen. Außerdem sollen die zuständigen Ämter enger zusammenarbeiten. Über ein europäisches Melderegister könnten Behörden künftig leichter herausfinden, ob Kinder tatsächlich existieren.
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen.
    "Verlogene deutsche Debatte": Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen (imago/ Rainer Weisflog)
    Insgesamt will die Bundesfamilienkasse 2019 rund 5,2 Millionen Euro zusätzlich für die Betrugsbekämpfung ausgegeben. Seit Jahresbeginn arbeitet sie an einer Task Force. Jede der 14 Familienkassen bekommt nun zwei Experten abgestellt, die Daten abgleichen und Betrugsmuster aufdecken sollen.
    Trotzdem wird die Kindergeld-Debatte wohl weiterschwelen. 2019 steigen die Leistungen sogar – dank eines milliardenschweren Familienpakets der Bundesregierung. Ab Juli erhöht sich das Kindergeld um zehn Euro im Monat. Für das erste und zweite Kind gibt es dann 204 Euro, für das dritte 210 und für jedes weitere 235 Euro.
    Wasser auf die Mühlen derjenigen, die warnen, es kämen dann noch mehr Osteuropäer nach Deutschland.
    EU-Politiker Sven Giegold von den Grünen: "Das ist auch ein Anreiz, das ist nicht abzustreiten, aber das ändert eben nichts daran, dass jemand, der in Deutschland Steuern bezahlt, auch Recht auf das deutsche Sozialsystem hat. Die Probleme sind, dass kriminelle Strukturen versuchen, betrügerisch Kindergeld zu erschleichen. Dagegen muss man polizeilich und mit den Mitteln des Rechtsstaates vorgehen und nicht mit einer populistischen Debatte über Kindergeld."