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Kriminologe Pfeiffer unterstellt katholischer Kirche Zensur

Nach den 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche wurde das Kriminologische Zentralinstitut Niedersachsen mit einer Untersuchung beauftragt. Institutschef Christian Pfeiffer berichtet von Versuchen zweier Diözesen, die Berichte vor der Veröffentlichung genehmigen zu wollen - und von offenbar vernichteten Akten.

Das Gespräch führte Dirk Müller |
    Dirk Müller: Priester, Ordensleute und auch angestellt Erzieher – im Januar 2010 berichtet der "Spiegel" über zahlreiche Fälle, bei denen Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht wurden, unter dem Dach der katholischen Kirche. Die Ereignisse am Canisius-Kolleg in Berlin standen und stehen dafür stellvertretend. Die deutschen Bischöfe haben daraufhin versprochen, wir klären den Missbrauch auf, wir entschädigen die Opfer. Aber das Ausmaß der sexuellen Übergriffe ist immer noch nicht bekannt. Ein Rechercheprojekt des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen sollte Licht ins Dunkel bringen. Dieses Projekt ist jetzt aber offenbar gescheitert, berichtet die "Süddeutsche Zeitung", weil die katholische Kirche die Zusammenarbeit beenden will.
    Am Telefon ist nun Institutsleiter Professor Christian Pfeiffer. Guten Morgen!

    Christian Pfeiffer: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Pfeiffer, wollte die Kirche Sie zensieren?

    Pfeiffer: Eindeutig ja. Sie hatten uns, nachdem zunächst in den ersten vier, fünf Monaten das Projekt engagiert unterstützt worden war, sie hatten uns dann plötzlich, ausgehend von der Erzdiözese München und Freising, Vorschläge zugeleitet, dass der Vertrag geändert werden sollte, und sie verlangten eindeutig, dass alle Texte ihnen zur Genehmigung vorzulegen sind, und sie machten uns in diesem Vertragstext klar, dass sie dann auch das Recht haben, die Veröffentlichung von Texten zu verbieten.

    Müller: Wie haben Sie dann reagiert?

    Pfeiffer: Wir haben gesagt, dass das auf keinen Fall geht, mit Wissenschaftsfreiheit nicht vereinbar sei, und haben den Gegenvorschlag unterbreitet, wir könnten ja in unseren Untersuchungsbericht nach jedem Kapitel der Kirche einräumen, ihre eigene Sicht der Dinge darzustellen, kursiv gedruckt, sodass es erkennbar ist, und dann müsste doch ihren Wünschen ausreichend entsprochen sein, aber das hat nicht gereicht. Sie haben trotzdem darauf beharrt, haben das sogar noch erweitert, dass sie auch bei der Anstellung von Mitarbeitern des KFN ein Mitspracherecht haben möchten, haben uns unangemessene Schadenersatzforderungen auferlegen wollen. Das alles führte dazu, dass ich mich dann in einem Schreiben im Oktober letzten Jahres an alle Bischöfe gewandt habe und gesagt habe, wir wollen dieses Projekt, bitte akzeptieren sie doch, dass wir einen gültigen nutzbaren Vertrag haben, wir haben uns zum Datenschutz in allen Punkten geeinigt, es gibt keinen Grund aus unserer Sicht, nicht fortzufahren. Aber es gab keine Resonanz.

    Müller: Haben Sie, Herr Pfeiffer, die Kündigung schon auf dem Tisch?

    Pfeiffer: Nein, aber sie wird sicher in den nächsten Tagen eingehen. Das war angekündigt worden.

    Müller: Angekündigt in welcher Form? Haben Sie telefonieren können mit jemandem aus der katholischen Kirche?

    Pfeiffer: Nein. Im direkten Gespräch wurde mir das angekündigt, wenn wir nicht bereit sind, eine Schweigevereinbarung über all das, was hier gelaufen ist, zu unterzeichnen, dann würde es eben zur Kündigung kommen.

    Müller: Ich muss jetzt dazu sagen, es gibt ja noch kein offizielles Statement zu diesem Vorfall von der Deutschen Bischofskonferenz, von der katholischen Kirche. Nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" und Nachfragen der "Süddeutschen Zeitung" hat die katholische Kirche aber jetzt argumentiert, wir haben uns vertragstreu verhalten mit den Forderungen. Stand das im Vertrag, was Sie jetzt gerade beschrieben haben?

    Pfeiffer: Eindeutig nein. Im Vertrag steht wie üblich, dass wir acht Wochen nach Abgabe des Forschungsberichts völlig frei darin sind, in Doktorarbeiten, Habilitationen und anderen Texten das zu veröffentlichen, was wir erforscht haben. Im Vertrag war alles vernünftig geregelt, und dann kam aber, ausgehend von den Widerständen einzelner süddeutscher Diözesen, plötzlich der Versuch unseres Vertragspartners, den ganzen Vertrag grundlegend in Richtung Zensur zu verändern, in Richtung stärkere Kontrollrechte der Kirche. Da konnten wir nicht mitmachen. Zwei Mitarbeiterinnen von uns haben nach 18 beziehungsweise neun Monaten engagierter Mitarbeit dann das Handtuch geworfen und entnervt aufgegeben und ihre Forschungspläne begraben müssen für eine Doktorarbeit und eine Habilitation.

    Müller: Hat es so etwas, Herr Pfeiffer, gegeben wie Zwischenberichte, sodass die Bischöfe sich schon so eine Art Bild machen konnten?

    Pfeiffer: Nein. Wir hatten ja nur sogenannte Prätests durchführen können. Das heißt, in einzelnen Diözesen hatte man uns an die Akten herangelassen und wir waren in der Lage, dort zu erfassen, wie das Ganze aufgebaut ist, haben unsere Fragebögen entwickeln können. Aber Ergebnisse, belastbare Ergebnisse konnten wir bisher nicht ermitteln.

    Müller: Angeblich hegen Sie ja auch den Verdacht, dass Akten mutmaßlich vernichtet worden sind in den Diözesen.

    Pfeiffer: Ja es gibt da eine Vorschrift, wonach man zehn Jahre nach der Verurteilung eines Priesters die Akten zu vernichten hat. Darüber hatte man uns im Unklaren gelassen, dass es das gibt. Auch die Öffentlichkeit war darüber nicht informiert worden, denn vereinbart ist im Vertrag eine Aktenanalyse bis zum Jahr 1945 rückgehend. Das ist ja gar nicht machbar, wenn alle zehn Jahre die Akten vernichtet werden. Diese Vorschrift war offenbar früher nicht angewendet worden. Und dann erhielten wir Hinweise aus der Kirche: Ja, es sind aber in einigen Diözesen die Akten jetzt vernichtet worden. Das habe ich in einem Schreiben an die Bischöfe dargestellt und gesagt, ich weiß nicht, ob das stimmt, bitte legen sie offen, in welchen Diözesen wurden wie viele Akten vernichtet. Nur dann können wir mit unserer Forschung beginnen, wenn wir das Ausmaß der Lücken auch einschätzen können. Dieses Schreiben aus dem Oktober letzten Jahres wurde nicht beantwortet.

    Müller: Der Auftraggeber, also die Deutsche Bischofskonferenz, ist ja derjenige, der entscheidet. Er ist derjenige, der bezahlt und auch die Vorgaben machen kann. Haben Sie sich an bestimmte Vorgaben nicht gehalten?

    Pfeiffer: Nein, ich habe alle Vorgaben erfüllt. Ich habe nur mit allem Nachdruck und aller Deutlichkeit klar gemacht, dass wir uns nicht zensieren lassen werden. Darüber hat es natürlich Unmut gegeben, wenn ich das sehr deutlich zum Ausdruck gebracht habe und auch klar gesagt habe, diese Kontrollwünsche können wir nicht akzeptieren. Aber die vertraglichen Pflichten haben wir alle erfüllt und es gab auch nie Kritik an irgendwelchen, von uns nicht ausreichend wahrgenommenen Forschungspflichten.

    Müller: Welche Erklärung haben Sie denn für diese Kehrtwende, die Sie der Kirche jetzt unterstellen?

    Pfeiffer: Ängste der Kirche vor dem, was dann im Einzelnen ermittelt wird. Es fehlte plötzlich das Vertrauen, dass die Dinge dann öffentlich auch präsentabel sind. Man ist ja dann schon bei den Vorarbeiten sich klar geworden, wie gründlich wir vorgehen werden, als wir probeweise Aktenanalysen gemacht haben, als wir die detaillierten Datenerfassungsbögen der Kirche vorgestellt haben, und da wurde dann in den Beratungssitzungen des Beirats klar, als der Vertreter der Münchener Diözese dann sagte, es reicht nicht aus, dass wir hier nur beraten dürfen, das muss ein Entscheidungsgremium werden, wir müssen die Kontrolle über alles haben, nur dann sind wir bereit, weiterhin mitzumachen, da hat die Kirche den Kurs verlassen, der klar und gut vereinbart worden war, und ab da war es für uns nicht mehr machbar mitzuspielen.

    Müller: Sie gehen, Herr Pfeiffer, wenn ich Sie richtig verstanden habe, fest davon aus in Ihrer Einschätzung, dass die Diözesen in München und Freising diesen Anlass gegeben haben beziehungsweise Initialzündung gespielt haben?

    Pfeiffer: Ja. Uns wurde mitgeteilt, dass die Diözese München und Freising einen neuen Vertragsentwurf über eine Rechtsanwaltskanzlei hat entwickeln lassen, und dieser Entwurf wurde uns von unserem Vertragspartner, dem VDD, überreicht als ein Text, mit dem sie sich nun im Mai 2012 auch identifizieren, weil sie die Hoffnung haben, dass dadurch auch zweifelnde Bischöfe wieder zurückgewonnen werden können und insbesondere die kritischen Priester, die es auch gibt, dann akzeptieren können, dass die Forschung gut läuft, wenn die Kirche alles kontrollieren kann, und da mussten wir sagen, das ist mit uns ganz sicher nicht machbar. Wir versuchen jetzt zu retten, was zu retten ist, indem wir bundesweit alle Opfer bitten, die wir sonst über die Kirche gebeten hätten. Wir bitten sie jetzt, freiwillig auf uns zuzukommen, damit wir ihnen den anonymen Fragebogen zuleiten können, den sie uns bitte zurückleiten. Auf diese Weise wäre auf freiwilliger Basis das Projekt noch zu retten im Hinblick auf das, was die Opfer erlebt haben.

    Müller: Sie setzen jetzt freiwillig diese Arbeit fort?

    Pfeiffer: Natürlich! Wir sind ja am Thema dran. Wir haben im Auftrag der Bundesregierung 11.500 Menschen im vorletzten Jahr befragen dürfen, ob sie Opfer gewesen sind. Dadurch haben wir Informationen zu 500 Opfern, die Opfer von Lehrern, Eltern und Familienangehörigen und sonst wem geworden sind, und das möchten wir jetzt gerne vergleichen mit den Angaben derer, die Opfer von Priestern geworden sind, und hoffen, dass sich möglichst viele an dieser freiwilligen Untersuchung beteiligen, uns also schreiben und wir ihnen dann den Fragebogen zusenden können, natürlich unter garantierter Anonymität.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Pfeiffer: Danke, Herr Müller.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.




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