Carsten Schroeder: Das Interesse der Deutschen für Geschichte ist weitaus größer, als mancher vermutet. Das zeigen nicht nur die langen Schlangen am Wochenende vor den Museen, wenn dort besonders interessante Ausstellungen zu sehen sind, sondern das zeigt sich auch am Erfolg der verschiedensten Fernsehformate zu Geschichtsthemen. Ein besonders großer Erfolg gerade jetzt scheint die Krimiserie "Babylon Berlin" zu sein, die am Ende der 20er-Jahre spielt und auf Kriminalromane von Volker Kutscher zurückgeht.
Am Telefon ist jetzt Doktor Hanno Hochmuth vom Zentrum für Zeithistorische Forschung, der sich intensiv mit Filmgeschichte und Stadtgeschichte beschäftigt hat. Guten Abend, Herr Doktor Hochmuth!
Hanno Hochmuth: Guten Abend!
Schroeder: Der Erfolg dieser Serie hat vermutlich viele Facetten. Worauf führen Sie den Erfolg von "Babylon Berlin" zurück?
Hochmuth: Ich glaube, man kann den Erfolg nicht auf einen Punkt zurückführen. Ich glaube, es ist ein ganzes Bündel von Gründen, die wir dafür anführen können. Das Erste ist, glaube ich, dass die Weimarer Republik lange Zeit so ein Schattendasein in unserer Erinnerungskultur gefristet hat und jetzt irgendwie wiederkommt. Einen zweiten Grund würde ich darin sehen, dass solche historischen Formate, nicht nur historische Filme im Kino, sondern auch gerade historische Serien eigentlich schon seit geraumer Zeit ein sehr großes Publikumsinteresse auf sich ziehen.
Es ist eigentlich ein Teil des großen Geschichtsbooms, den wir eigentlich in den letzten drei, vier Jahrzehnten haben. Aber dann kommt drittens noch was ganz Neues hinzu, nämlich die neue Sehgewohnheit über amerikanische Serien wie "Homeland" und "Fargo" und "Mad Man", wo eine neue Erzählform über die heutigen Streamingdienste hier in Deutschland populär geworden ist, und wo jetzt Produktionsgesellschaften auch in Deutschland auf den Trichter gekommen sind, dieses Format anzuwenden, und zwar mit dem, was wir haben – das ist die deutsche Geschichte, die also auf diese Art und Weise erzählt wird.
Berlin als Unique Selling Point
Schroeder: Gilt die Aufmerksamkeit der Zuschauer und auch das Interesse der Zuschauer speziell auch der Stadt Berlin?
Hochmuth: Ich glaube, es ist gar kein Zufall, dass "Babylon Berlin" im Titel ist. Die Romanvorlage von Volker Kutscher heißt ja "Der nasse Fisch", und ich würde mal keck behaupten, dass, wenn die Serie "Der nasse Fisch" auch hieße, nicht halb so viele Leute einschalten würden. Ich glaube, die Marke Berlin als globale Marke im Stadttourismus und weit darüber hinaus, ist so etwas – Marketing-Sprech – wie ein Unique Selling Point. Das ist ganz wichtig. Und die Serie "Babylon Berlin" spielt sehr stark mit verschiedenen Mythen von Berlin. Einmal mit dem Mythos von Berlin als der Hauptstadt der Goldenen Zwanziger Jahre, als der Hauptstadt der Roaring Twenties in der Weimarer Republik, zum anderen aber auch mit dem gegenwärtigen Berlin, was keine wichtige Finanzmetropole ist, dafür aber eine kulturelle Hauptstadt und eine Hauptstadt, die ganz viele Menschen an sich zieht, auch gerade wegen des Partylebens. Ich glaube, die Serie "Babylon Berlin" schlägt einen ganz klugen Weg ein, eine Brücke zwischen den Goldenen Zwanziger Jahren und dem "Berghain" heute.
Schroeder: Es ist ja eine Kriminalgeschichte, eine fiktive Geschichte, auch wenn darin reale Figuren von damals vorkommen. Spiegelt der Film die Lebensumstände der Menschen jener Zeit realistisch wider?
Hochmuth: Ich glaube, das ist die große Qualität der Serie, dass eben nicht nur die Partystadt Berlin gestern und heute inszeniert wird, sondern dass die Serie sich die Zeit nimmt und es auch wagt, ein ganz großes gesellschaftliches Panorama zu entwerfen. Da kann man als Historiker immer mal wieder Detailkritik üben. Grundsätzlich, würde ich sagen, ist das sehr gut gelungen, dass dort ein großes gesellschaftliches Panorama entwickelt wird, was einerseits die vielen Freiheiten und Freizügigkeiten dieser Zeit, dieser Zeit der Entfesselung zeigt, aber auf der anderen Seite auch die Schattenseite dieser Freiheit. Dass die Menschen nicht mehr in diesen starren Sozialbeziehungen waren, dass sie auch unter die Räder kommen konnten ganz leicht, vor allen Dingen in der Großstadt Berlin. Und wir sehen es ja an der Hauptdarstellerin, die aus einem ganz fürchterlichen, armen proletarischen Milieu kommt, sich da auch prostituieren muss und trotzdem diesen Aufstiegswillen hat und dieses Nachtleben gleichzeitig genießt. Und wir sehen drittens, und das finde ich ganz wichtig, die politische Zerrissenheit der Weimarer Republik, also dieser Demokratie ohne Demokraten. Obwohl, es gibt ein paar Demokraten dort, und wir sehen aber, wie diese Demokratie von rechts bedroht wird, wie die schwarze Reichswehr dort versucht, die Demokratie abzuwürgen. Und das macht eigentlich die Serie, und das hatten die Macher vielleicht nicht mal richtig im Sinn, aber das macht die Serie heute extrem aktuell, dass es eigentlich um eine Demokratie geht, die von rechts herausgefordert wird.
Geschichte in die Öffentlichkeit
Schroeder: Das Gebiet, mit dem Sie sich besonders beschäftigen, oder eines der Gebiete, mit denen Sie sich beschäftigen, nennt sich "Public History". Das lässt sich schwer übersetzen, am besten noch mit "Geschichte in der Öffentlichkeit". Sind solche Fernsehserien geeignet, Geschichte in die Öffentlichkeit zu tragen?
Hochmuth: Ja, sie sind auf jeden Fall geeignet, Geschichte in die Öffentlichkeit zu tragen. Und was wir mit diesem Studiengang an der Freien Universität Berlin machen, ist ja gar nicht so sehr, dass wir da sozusagen die besten Rezepte für Geschichte in der Öffentlichkeit und Geschichte für die Öffentlichkeit entwickeln, sondern dass wir versuchen zu verstehen, warum eigentlich Geschichte heutzutage so wahnsinnig boomt. Und eine unserer zentralen Antworten ist immer, noch vor 40, 50 Jahren schauten die Menschen, auch in der Bundesrepublik und sonst in der westlichen Welt, auch in der DDR, sie schauten in die Zukunft und hatten einen ganz großen Fortschrittsoptimismus. Der ist uns aber spätestens in den 70er-Jahren irgendwo verloren gegangen, und stattdessen schauen wir viel mehr in die Vergangenheit. Wir haben eine große Faszination an der Vergangenheit, und dazu gehören auch solche Serien wie "Babylon Berlin".
Schroeder: Vielen Dank! Das war Doktor Hanno Hochmuth vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
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