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Krimtataren
Die Exilanten in der Türkei und die Krim-Krise

Mehrere Millionen Exil-Krimtataren leben heute in der Türkei. Auf die Russen sind sie nicht gut zu sprechen. Sie glauben, dass Moskau die Krise bewusst verschärft, um eine militärische Intervention auf der Krim zu rechtfertigen und fürchten eine Abspaltung der Halbinsel.

Von Luise Sammann | 03.03.2014
    Es gibt nicht viele außenpolitische Themen, die es in diesen Tagen auf die Agenda türkischer Politiker schaffen. Heimliche Telefonmitschnitte, Korruptionsvorwürfe und die anstehenden Kommunalwahlen – die Türkei hat genug mit sich selbst zu tun.
    Und doch fand Außenminister Ahmet Davutoglu Zeit für die Ukraine:
    "Wie beobachten sehr genau, was in der Ukraine geschieht. Die territoriale Integrität, Frieden und Stabilität der Ukraine sind der Türkei äußerst wichtig. Gerade die Krim bedeutet uns viel, weil sie das Tor zur Ukraine darstellt, aber auch wegen der dortigen Krimtataren und dem türkischen Erbe."
    Celal Icten ist dankbar für diese Worte seines Außenministers. "Die Türkei kann und muss in diesem Konflikt eine aktive Rolle spielen", meint der Vorsitzende der Istanbuler Vereinigung der Krimtataren:
    "Seit Beginn des Konflikts betonen wir gegenüber dem Premier, dem Außenminister und dem Präsidenten, dass die Krimtataren ein muslimisches Turkvolk sind. Sie brauchen Hilfe. Wir hier fürchten um das Leben unserer Verwandten dort."
    45 Vereine erhalten ihr Erbe aufrecht, organisieren Schüleraustausche zwischen Krim und Istanbul, veranstalten wie heute Kulturabende und sehen sich nicht zuletzt als Interessenvertreter und Beschützer ihrer Verwandten auf der Krim. Auf die Russen sind Exilanten wie Celal Icten gar nicht gut zu sprechen. Wie viele andere Krimtataren glaubt er, dass Putin die aktuelle Krise bewusst verschärft, um eine militärische Intervention auf der Krim zu rechtfertigen:
    "Warum sollten wir diese Typen mögen? 1944 starben 15 Prozent der Krimtataren, als Stalin sie nach Sibirien und Zentralasien verschickte. Keiner von ihnen bekam auch nur ein Grab oder eine Beerdigung. Wir sind heute eine Nation weit weg von ihrer Heimat. Warum wurde mein Vater im Exil in Rumänien geboren und ich hier? Die Krim ist unser Land!"
    Celal Icten nimmt ein Einmachglas aus einer Vitrine. Krimsche Erde hat er darin gesammelt. Mehrmals im Jahr pendelt er zwischen Istanbul und der Heimat seiner Vorfahren hin und her. Deren Sprache spricht er selbstverständlich fließend, ihre Geschichte kennt er besser als die türkische.
    Ein Abfallen der Krim von der Ukraine und stattdessen eine Annäherung an Russland, wie sie in diesen Tagen droht, wäre "das Ende der Krimtataren", verkündete ein Vertreter vergangene Woche in Ankara. Celal Icten stimmt ihm voll und ganz zu. Wir Krimtataren sind Europäer, betont er ein ums andere Mal:
    "Schauen sie doch noch Russland, sehen sie, wie die Wolga-Tataren dort leben. Sie bekommen keine Bildung in ihrer eigenen Sprache, ihr Spracheninstitut an der Uni wurde geschlossen, sie sollen sich assimilieren! Oder gucken sie, was in Tschetschenien passiert ist. Wir wollen keine Russen auf der Krim, wir wollen nicht mit denen leben, sondern mit den Ukrainern."
    Celal Icten könnte noch lange weiterschimpfen. Den Hass auf die Russen bekommen Krimtataren in der Türkei schon mit der Muttermilch eingeimpft – und auch die Angst. Doch nun muss er Gäste Willkommen heißen. Sein Verein hat zu einem Vortrag geladen. Thema: die militärische Rolle der Krimtataren im Osmanischen Reich. Etwa 50 Zuhörer sind gekommen, einige ältere Männer tragen die traditionelle Kopfbedeckung, den Kalpak, Frauen haben krimsches Gebäck mitgebracht.
    Es könnte ein fröhlicher Abend werden. Doch Pförtner Necmettin Özak, mit 71 Jahren ein Urgestein der Istanbuler Krimtataren, begrüßt die Gäste mit einem Klagelied. Seine Mutter beweinte damit vor gut 60 Jahren die unzähligen Opfer der Russen. In diesen Tagen, murmelt der Alte, geht ihm die Weise nicht mehr aus dem Kopf.