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Krimtataren
Die großen Verlierer der Ukraine-Krise

Erst Ende der 80er-Jahre kehrten die von Stalin deportierten Krimtataren allmählich in ihre angestammte Heimat zurück. Doch seit der russischen Annexion der Krim haben Zehntausende die Halbinsel erneut verlassen. Nicht wenige leisten nun vom ukrainischen Kernland aus Widerstand.

Von Florian Kellermann |
    Lemberg in der Ukraine
    Geflohen von der Krim: Tataren im westukrainischen Lviv (imago/Ukrinform)
    Im ersten Stock der kleinen Villa hat sich eine illustre Herrenrunde eingefunden: Abmedschit Sulejmanow hat Gäste. Der kleine, etwas füllige Mann ist Mitglied im Medschlis, der Vertretung der Krimtataren.
    Sulejmanow lebt seit Kurzem nicht mehr auf der Krim, er hat die Gäste in seine Wohnung in Cherson eingeladen, eine Stadt ganz im Süden der Ukraine. Schuld sei die russische Annexion der Halbinsel, sagt er.
    "Ich bin einer von drei Organisatoren des Komitees, das die Rechte der krimtatarischen Nation verteidigen soll. Gegen uns läuft in Russland ein Strafverfahren, unter anderem, weil wir angeblich die staatliche Einheit der Russischen Föderation angreifen. Wenn wir auf die Krim zurückkehren, landen wir im Gefängnis.
    Die allermeisten Krimtataren wollten nicht, dass die Krim zu Russland kommt - wegen ihrer historischen Erfahrungen mit der von Russland dominierten Sowjetunion. Nach Schätzungen etwa 10.000 von ihnen haben deshalb ihre historische Heimat in den vergangenen beiden Jahren verlassen. Dabei waren die Krimtataren erst ab Ende der 1980er-Jahre auf die Halbinsel zurückgekehrt, mehr als vier Jahrzehnte nach der Deportation durch die Sowjetunion.
    Mit dabei bei der Krim-Blockade
    Bei Abmedschit Sulejmanow gibt es Rindfleisch und Kartoffeln. Und als besondere Delikatesse: geräucherter Speck vom Rind. Etwa ein Drittel der Flüchtlinge sei wie er im südukrainischen Bezirk Cherson untergekommen, erzählt Sulejmanow, bei Verwandten und Bekannten.
    Im Bezirk Cherson ließen sich die Krimtataren schon in der Sowjetzeit nieder, in der Hoffnung, auf die nahe Halbinsel übersiedeln zu können. So auch Ruslan, einer der Gäste von Sulejmanow, der 1974 hierher kam, aber mehrmals an der Übersiedlung scheiterte.
    "Dann haben wir uns gesagt: Wir bleiben hier, wenn Gott es so will. Unsere Kinder sind hier geboren und aufgewachsen, und wir kommen gut mit den ukrainischen Nachbarn aus."
    Von Cherson aus unterstützen Ruslan und Gastgeber Sulejmanow nun die sogenannte Krim-Blockade. Krimtataren und ukrainische Nationalisten haben sich organisiert und lassen seit Oktober keine Laster mehr auf die Halbinsel fahren. Die Ukraine soll keine Lebensmittel dorthin liefern. Zeitweise verhinderten sie auch, dass beschädigte Stromleitungen auf die Krim wiederhergestellt wurden.
    "Ich denke, die Ukraine ist nicht verpflichtet, die Okkupanten zu ernähren. Sie muss auch keinen Strom liefern. Russland kämpft gegen die Ukraine. Da den Handel einzustellen, ist das mindeste, was die Ukraine da tun sollte."
    Prorussische Propaganda gegen die Tataren
    Die Krimtataren werden heute also wieder in alle Winde zerstreut. Neben Cherson und der ukrainischen Hauptstadt Kiew steuern die Flüchtlinge vor allem das westukrainische Lemberg an. Dort wie in auch anderen Städten hilft ihnen die Gruppe KrimSOS, denn die staatliche Unterstützung reicht nicht, um ein neues Leben beginnen. Ein Mitglied von KrimSOS in Lemberg ist Alim Aliew, der schon vor sieben Jahren von der Krim nach Lemberg gezogen ist, um dort zu studieren.
    "Als die Okkupation der Krim begann, haben die Lemberger Flüchtlinge sehr warm empfangen. Leute haben angerufen und gesagt: Wir haben eine Drei-Zimmer-Wohnung und geben gerne zwei Zimmer ab, die Flüchtlinge können ruhig ihre Hunde und Katzen mitbringen."
    Die Stimmung kühlte merklich ab, als auch Flüchtlinge aus dem im Osten gelegenen Donezbecken kamen - und gleichzeitig junge Lemberger im Kampf in der Ostukraine starben.
    Auch Propaganda gegen die Krimtataren trübt das Verhältnis mit den Einheimischen, vor allem auf prorussischen Internetseiten. Die Krimtataren wollten im Bezirk Cherson eine Autonomie für ihre Nation erwirken, schrieben diese vor Kurzem. Eine Lüge, sagt Abmedschit Sulejmanow.
    "Wir haben nur empfohlen, dass ein Teil von fünf Regionen im Bezirk vorübergehend wie ein Teil der Krim behandelt wird. So können wir dort schon heute ukrainische Strukturen für die Halbinsel schaffen. Wenn die Krim zur Ukraine zurückkehrt, haben wir dann schon fertiges Personal und müssen nicht übereilt handeln."
    Wenn die Krim zur Ukraine zurückkehrt? Aliem Aliev von KrimSOS in Lemberg kann daran nicht mehr Recht glauben. Die Menschen auf der Halbinsel gewöhnten sich langsam an die russischen Flaggen und die neue Realität, meint er.