Neue Sanktionen, aber kein militärischer Gegenangriff nach dem iranischen Vergeltungsanschlag auf zwei Militärstützpunkte im Irak: US-Präsident Donald Trump setzt nach Tagen des Anheizens des Konflikts auf Deeskalation. Doch die Situation in der Region bleibt weiter angespannt.
Welches Ereignis löste den aktuellen Konflikt aus?
Am 3. Januar 2020 tötete das US-Militär den iranischen General Ghassem Soleimani gezielt durch einen Drohnenangriff. Er war seit 1997 Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigaden. Diese Militäreinheit agiert vor allem im Ausland und im Geheimen. Als Reaktion auf den Tod Soleimanis kündigte die iranische Regierung den USA schwere Vergeltung an.
Diese Drohung setzte die Regierung in Teheran in der Nacht vom 7. auf den 8. Januar 2020 mit einem Raketenangriff auf zwei US-Militärbasen im Irak in die Tat um. Bei der Attacke kam allerdings kein US-Soldat ums Leben. Laut Einschätzung des Politiologen Peter Rough wollte der Iran mit diesem Schritt zwar imponieren - die USA aber nicht ernsthaft herausfordern.
Gefragt nach den Motiven, die den US-Präsidenten bewogen hätten, General Soleimani zu töten, sagte der Publizist Jürgen Todenhöfer im Dlf: "Es ist schwer, bei Trump von klugen, deutlichen und klaren Strategien zu sprechen." Den zweitwichtigsten Mann im zweitwichtigsten Land des Nahen Ostens mit einem Drohnenangriff zu Staub und Asche zu verbrennen, könne keine Strategie sein.
Der Iran habe an dieser Stelle sehr klug reagiert. Todenhöfer: "Ich finde es gut, dass Iran keine Soldaten getötet hat. Es gab Trump die Chance, seine Drohung, 52 bedeutende Ziele im Iran anzugreifen, zurückzunehmen."
Für den Iran wäre ein offener Krieg mit den USA und deren Verbündeten nicht aussichtsreich. Denn das Land ist militärisch hoffnungslos unterlegen. Seit 1979 lastet ein internationales Waffenembargo auf der Islamischen Republik. Die Luftwaffe ist völlig veraltet. Panzer und Schiffe sind Eigenbau und nicht auf der Höhe der Zeit. Die iranischen Militärausgaben belaufen sich auf 15 Milliarden Dollar pro Jahr. Das Verteidigungsbudget der USA und ihrer Verbündeten im Nahen Osten liegt bei rund 850 Milliarden Dollar.
Wer war Ghassem Soleimani?
Ghassem Soleimani galt als wichtigster Vertreter des iranischen Militärs. Als Kommandeur der iranischen Al-Kuds-Brigaden war Soleimani Teil der iranischen Revolutionsgarden. Diese wiederum nehmen laut dem Politikwissenschaftler Markus Kaim Einfluss auf Länder wie Libanon, das Nachbarland Irak und Syrien - durch Waffenlieferungen und anderweitige Unterstützung von terroristischen Aktivitäten.
Soleimani stand "für das, was die USA als destabilisierende Aktivitäten des Iran in den letzten Jahren immer wieder kritisiert haben", so Kaim im Deutschlandfunk. Sein Tod war ein schwerer Schlag für das iranische Regime. Bei einem Trauerzug für den getöteten General kam es zu einer Massenpanik mit vielen Toten.
Abschuss von Flug PS752 - Absicht oder Irrtum?
In Teheran und anderen iranischen Städten hat es Proteste gegen die politische und religiöse Führung des Landes gegeben. Hintergrund ist das Eingeständnis der Islamischen Republik, eine ukrainische Passagiermaschine mit 176 Menschen an Bord am 8. Januar 2020 abgeschossen zu haben – nach Darstellung der Revolutionsgarde "versehentlich". Zuvor hatten die Behörden einen Abschuss tagelang bestritten. Der Flugzeugabsturz nahe Teheran erinnere an den Abschuss einer malaysischen Verkehrsmaschine über der Ostukraine, kommentiert Florian Kellermann im Dlf. Kurz vor dem Flugzeugsabsturz hatte der Iran mehrere Raketenangriffe auf zwei von den US-Streitkräften genutzte Militärstützpunkte im Irak geflogen.
Wie verhält sich die EU?
Mit der Lage in der Region beschäftigten sich am Freitag (10.01.20) auch die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Brüssel. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte im Vorfeld, es sei jetzt an der Zeit, miteinander zu sprechen. "Jeder sollte seinen Beitrag dazu leisten, dass jetzt Zurückhaltung geübt wird, dass sich die Lage beruhigt", so Maas Mitte der Woche in Brüssel.
Der Grünen-Politiker Omid Nouripour hätte sich ein solches Treffen früher gewünscht. Man müsse die "Krisendiplomatie jetzt hochfahren" und "mit den Saudis sprechen", sagte Nouripour im Dlf. Diese wären von einer "Eskalation der Gewalt als erstes betroffen und zeigten sich seit Tagen "extrem konstruktiv".
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte vor dem Sondertreffen im Deutschlandfunk, Europa setze in dem Konflikt vor allem auf Vermittlung und diplomatische Mittel.
Welche Rolle spielt das Atomabkommen?
In dem 2015 geschlossenen Wiener Abkommen hatte der Iran mit den fünf UNO-Vetomächten und Deutschland vereinbart, sein Nuklearprogramm so zu ändern, dass er keine Atombomben bauen kann. Im Gegenzug sollten Sanktionen aufgehoben werden. Die USA zogen sich aber 2018 aus dem Vertrag zurück und verhängten neue Strafmaßnahmen. Daraufhin setzte der Iran zwar wichtige Klauseln des Abkommens außer Kraft, betonte jedoch, dass der Vertrag grundsätzlich weiter gelte.
Nach der Tötung des Generals Ghassem Soleimani hatte der Iran am 5. Januar 2020 angekündigt, sich endgültig vom Atomabkommen verabschieden zu wollen. Das Land will Uran künftig unbegrenzt anreichern. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte im Deutschlandfunk, dass Europa die Ankündigung des Iran "nicht einfach so achselzuckend hinnehmen" würde. Nach Gesprächen mit dem Iran werde man entsprechend reagieren.
Rolf Mützenich, Chef der SPD-Bundestagsfraktion, sprach sich im Deutschlandfunk dafür aus, am Atomabkommen "so gut wie möglich" festzuhalten. Großbritannien, Deutschland, Frankreich und China sollten der Aufforderung von US-Präsident Donald Trump, das Atomabkommen mit dem Iran aufzugeben, nicht nachkommen.
Die EU-Außenminister wollen am Atomabkommen festhalten - unter anderem weil es die letzten bestehenden Gesprächskanäle nach Teheran garantiere, erklärt Dlf-Brüssel-Korrespondent Peter Kapern. So wollten die Minister den EU-Außenbeaufragten Josep Borrell nach Teheran schicken, um die eigenständige Rolle der EU beim Atomabkommen zu unterstreichen. Ob der Deal zu retten sei, hänge aber jetzt vom Iran ab, sagt Kapern.
Was geschieht mit den deutschen Bundeswehrsoldaten im Irak?
Nach den iranischen Raketenangriffen auf Militärstützpunkte im Irak prüft die Bundesregierung den Abzug weiterer Soldaten aus dem Land. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte in Berlin, konkret gehe es um einen Teilabzug aus Erbil im Nordirak. Dort sind noch etwa 100 Soldatinnen und Soldaten stationiert.
Der FDP-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Bijan Djir-Sarai, hat sich am Donnerstag (09.01.20) im Deutschlandfunk für die Fortführung der Bundeswehr-Mission im Irak ausgesprochen. Ein deutscher Beitrag vor Ort sei richtig.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte sich zur Frage der deutschen Truppen am Mittwoch (08.01.20) im "ARD-Morgenmagazin": "Von unseren Soldatinnen und Soldaten ist niemand verletzt. Das heißt, die erhöhten Schutzmaßnahmen, die wir auch schon angeordnet haben, haben gegriffen. Wir haben mit der internationalen Koalition sowieso vereinbart, dass alle Kräfte, die nicht benötigt werden, keinem unnötigen Risiko ausgesetzt werden. Deswegen haben wir Soldaten aus Tadschi abgezogen und sind in der Planung auch über mögliche Teilrückverlegungen auch von Soldaten in Erbil."
Die EU-Außenminister bekennen sich bei ihrem Sondertreffen am Freitag (10.01.20) zur Fortsetzung der Ausbildungsmissionen im Irak. Sie abzubrechen, würde dem IS neue Spielräume öffnen, sagte Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) in Brüssel. Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg sprach sich für eine Fortsetzung aus.
Allerdings fordert die irakische Regierung inzwischen einen Abzug ausländischer Truppen. Die EU-Außenminister haben sich auf die Position geeinigt: Wir akzeptieren jede Entscheidung der Regierung in Bagdad.