Antje Allroggen: In Wuppertal hatte man neun Jahre nach dem Tod der großen Choreographin Pina Bausch einen Neuanfang gewagt. So ganz gelungen ist der nicht. Dabei hatte die neue Intendantin des Tanztheaters, Adolphe Binder, eine gewisse Loslösung von Pina Bausch versprochen. Doch das "Wunder von Wuppertal" blieb leider aus. Und nicht nur das, nun muss Binder nach nur kurzer Zeit womöglich aus der Leitung der Wuppertaler Kompanie aussteigen. Wie es dazu gekommen ist, das habe ich Wiebke Hüster kurz vor der Sendung gefragt:
Wiebke Hüster: Heute wurde auf einer Beiratssitzung des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch die Frage diskutiert, muss man nicht Adolphe Binder, die Intendantin und künstlerische Direktorin dieses Ensembles, fristlos kündigen. Das ist natürlich eine sehr einschneidende Maßnahme, die ist auch heute nicht gleich beschlossen worden. Der Beirat hat sich mehr Zeit ausbedungen, sich mit den Unterlagen auseinanderzusetzen und es ist so, dass in der kommenden Woche eine neue Beiratssitzung sich zusammenfinden wird und man erwartet sehr stark aus den Kreisen, die da informiert sind, dass dann diese fristlose Kündigung ausgesprochen werden wird.
Vergiftete Arbeitsatmosphäre
Allroggen: Das klingt danach, als hätte man schon länger mit dieser Entscheidung gerungen, können Sie uns vielleicht die Vorgeschichte erzählen? In die Öffentlichkeit geraten ist ja durchaus ihr umstrittener Führungsstil. Hat das was damit zu tun?
Hüster: Absolut hat das etwas damit zu tun. Es gibt zwei Punkte, die zu dieser Situation geführt haben. Das eine ist, dass offensichtlich auf der Führungsebene das Tanztheater Wuppertal wirklich ein zerrüttetes Verhältnis zu Adolphe Binder hat inzwischen. Man kritisiert ihren Führungsstil, die Tänzer sind teilweise entsetzt darüber, wie sie mit ihnen kommuniziert. Man fühlt sich dort diskriminiert, hat den Eindruck, dass es sich um Mobbing handelt, von sexueller Diskriminierung wurde hier gesprochen - das ist so, was informierte Kreise weitererzählen. Da ist natürlich dann niemand außerhalb des Tanztheaters wirklich dabei, aber es scheint so zu sein, dass die Arbeitsatmosphäre, sowohl auf der Leitungsebene als auch mit den Tänzern, wirklich vergiftet ist und es nicht mehr funktioniert. Das ist das eine. Das andere ist: Eine Intendantin hat gemäß ihrem Arbeitsvertrag gewisse Pflichten und wie Sie sich vorstellen können, ist eine der wirklich härtesten, wichtigsten, termingerecht abzuliefernden Aufgaben, ist es einen neuen Spielplan zu verabschieden. Selbst, wenn man keines von diesen Gerüchten je gehört hätte, könnte man darauf kommen, dass da wirklich der Laden denen gerade um die Ohren fliegt, wenn man nämlich sieht, dass auf der Webseite noch keine neue Spielzeit annonciert ist. Und dass auch anders als in allen anderen voraufgegangenen Jahren, das war eigentlich ein Ereignis nachdem man eine Uhr stellen konnte, immer Anfang Juni eine Spielzeitkonferenz abgehalten wurde, auf der bekanntgegeben wurde, was in der nächsten Spielzeit gezeigt wird.
Allroggen: Das war in diesem Jahr nicht der Fall, und also schon ein Hinweis darauf dass, sagen wir es mal so, irgendetwas nicht in Ordnung ist.
Hüster: Absolut! Und zwar richtig nicht in Ordnung ist, weil da hängt ganz viel dran. Sie können es vergleichen mit den anderen Sparten, da hat natürlich der Kauf der Karten begonnen, ab 7. September wird da gespielt - da müssten Sie natürlich kurz erklären, was sie da spielen wollen!
Wesentliche Aufgaben nicht erfüllt
Allroggen: Und können Sie uns erklären, Sie haben es gerade so als Gerüchte formuliert, es gab schon vor ihrer Zeit in Wuppertal Gerüchte, dass es zu Mobbing gekommen sein könnte zu ihrer Zeit in Göteborg. Warum hat man das nicht weiter verfolgt in Wuppertal?
Hüster: Das kann ich Ihnen nicht erklären. Ich glaube auch, dass das ein Fehler war. Vielleicht liegt es auch daran, dass damals dieses ganze #MeToo noch gar nicht existierte. Man hat, glaube ich, die schwedischen Zeitungen nicht gründlich genug gelesen. Man hätte das vielleicht wissen können. Aber was ich so schlimm finde ist, dass sie natürlich, abgesehen von diesem Führungsstil, der in Schweden als massiv autoritär und abwertend, undemokratisch empfunden wurde, und da sind die Schweden viel weniger tolerant als wir Deutschen… - abgesehen davon muss es bei der Zukunft des Tanztheaters Wuppertal doch um zwei Dinge gehen: Man muss das Erbe von Pina Bausch retten und bewahren, nämlich vor dem Vergessen, vor dem "Kann nicht mehr gespielt werden", vor dem "Das können die Tänzer heute nicht mehr". Man muss natürlich international attraktiv bleiben und immer wieder andere Stücke anbieten, um damit in London, New York oder Paris zu gastieren.
Allroggen: Wer wäre denn neun Jahre nach dem Tod von Pina Bausch ein geeigneter Nachfolger, eine geeignete Nachfolgerin?
Hüster: Das ist eine sehr schwierige Frage, aber nur um nochmal zu dieser Aufgabe zu kommen: Der zweite Teil besteht darin, dass man guckt nach Personen, nach künstlerischen Persönlichkeiten, die die Gattung Tanztheater, so wie Pina Bausch sie erfunden hat, denn das war wirklich eine Theaterrevolution, die das in die Zukunft führen können. Die neue Werke machen, die beweisen, dass das nicht nur Pina Bausch war, sondern dass das wirklich eine Theaterrevolution war, die nachhaltig wirkt, ist und war. Nach diesen Leuten muss dringend gesucht werden und darin liegt das hauptsächliche Versagen Frau Binders, denn die hat für die neue Spielzeit keinen einzigen neuen Choreografen vorgeschlagen.
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