Bernd Lechler: Der "New Musical Express", letztes verbliebenes britisches Music Weekly - also: wöchentliches Pop-Magazin - wird morgen zum letzten Mal auf Papier erscheinen, danach: nur noch digital. Das Blatt wurde 1952 gegründet, hat die Beatlemania begleitet, dann Punk oder Britpop und galt als Institution, die den Erfolg oder das Scheitern junger Bands ganz entscheidend beeinflussen konnte. Spätestens seit der letzten Indierock-Blüte in den Nuller-Jahren bröckelt der Ruhm allerdings. Klaus Walter, Musikjournalist und Kritiker in Frankfurt, war es ein selbstgemachter Niedergang, war’s das Internet – warum muss der "NME" seine Printausgabe einstellen?
Klaus Walter: Na, man sollte nicht immer das Internet für alles verantwortlich machen, was verschwindet. Es war schon ein sehr selbstgemachter Untergang. Sie haben ja gerade die Großen des "NME" beschrieben, und der wann dann immer groß, wenn er Kulturkämpfe mitgeführt hat und sich für eine Bewegung eingesetzt hat. Also was Sie genannt haben, die Station, die Beatlemania. In den 70ern vor allem, das war vielleicht die Hochzeit, wo der "NME" sozusagen Punk stark gemacht hat gegen die etwas müde und letztendlich lethargisch gewordenen Hippies. Später dann Post-Punk, New-Wave. Und so Bands wie Joy Division oder The Smiths wären nie so groß geworden ohne den "NME".
"Immer wieder bei weißer Rockmusik geblieben"
Und davon sind sie doch in den letzten Jahren sehr abgekommen. Sie haben einfach den Paradigmenwechsel verpasst, sind immer wieder bei weißer Rockmusik geblieben, und da haben sie einfach den Turaround verpasst hin zu Hip-Hop, hin zu R'n'B. Es war ja kaum mal ein schwarzes Gesicht auf dem Cover zu sehen, und Frauen ebenfalls. Also vielleicht ein mal im Jahr eine Frau und ein mal im Jahr ein nicht-weißes Gesicht. Insofern haben sie da einiges verpasst.
Lechler: Mit welchem Anspruch gingen die denn ans Werk beim "NME", denn manchen gilt der ja auch als die "Bild"-Zeitung des Pop?
Walter: Ja, das trifft bestimmt für die letzten zehn Jahre zu. Die Texte wurden immer kürzer, das Blatt wurde immer bunter und die literarische Qualität, die die Texte wirklich einmal hatten - also gerade in den 70er- und 80er-Jahren, da war ja ein Text so lang, wie am Ende das ganze Blatt - und das war orientiert am amerikansichen New Journalism, am Gonzo-Journalismus, wie man das so nennt. Es waren grandiose Autoren - und Autorinnen auch: Julie Burchill, Chrissie Hynde hat da angefangen, bevor sie Sängerin der Pretenders wurde.
Alles löst sich irgendwann im Internet auf
Lechler: Nun ist die Liste der Print-Erzeugnisse, die kämpfen - auch im Pop-Bereich - ja lang. Letztes Jahr erst stand in den USA der legendäre "Rolling Stone" zum Verkauf, bei uns stellte zum Beispiel die "Spex" vor einigen Jahren auf nur noch sechs Ausgaben pro Jahr um. Jetzt der "NME". Wie steht's um die pop-journalistische Branche?
Walter: Ja, Gott, die geht den Weg alles Irdischen und löst sich irgendwann im Internet auf. Also wir haben ja jetzt schon etablierte Magazine, die die ausschließlich im Netz zu finden sind, "Pitchfork" oder "The Quietus", wie sie alle heißen. Und diesen Weg werden wahrscheinlich auch früher oder später alle anderen ambitionierten Blätter gehen, weil der Markt es einfach nicht mehr hergibt.
Lechler: Sagt der Musikjournalist Klaus Walter zum Ende des "New Musical Express" auf Papier, in "Corso - Kunst & Pop".