Gerwald Herter: Zugegeben: Jetzt wird es ein wenig kompliziert, weil es um die Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus geht. So der offizielle Titel. Das Kabinett wird diese Änderung heute auf den Weg bringen. Doch zum Glück lässt sich die Sache einfach auf den Punkt bringen: Es geht um die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms. Und zweitens lohnt sich die Beschäftigung damit, denn es geht um enorme Summen.
Jetzt sind wir mit dem SPD-Politiker Martin Schulz verbunden, dem Chef der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Schulz.
Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Herter!
Herter: Herr Schulz, seit Wochen streitet Deutschland darüber, wie der Bundestag mitentscheiden soll, wenn es um den Euro-Rettungsschirm geht. Die Bundesregierung hat es da auch mit Widerstand aus den eigenen Reihen zu tun. Über das Europaparlament und dessen Rechte redet in diesem Zusammenhang fast niemand. Sie sind dort Abgeordneter. Herr Schulz, fühlen Sie sich ignoriert, oder gar diskriminiert?
Schulz: Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass wenn eine Machtverlagerung stattfindet, eine Kompetenzverlagerung von den nationalen Hauptstädten nach Brüssel, wenn es mehr Kompetenzen für Institutionen der EU gibt, dann wird die parlamentarische Instanz, die diese Kompetenzen parlamentarisch legitimiert, kontrolliert und gegebenenfalls auch mit Gesetzen ausstattet, das Europaparlament sein und auch sein müssen. Ich habe Verständnis für die Kollegen des Deutschen Bundestages. Solange noch auf der nationalen Ebene diskutiert wird, solange wir heute noch darüber diskutieren, welche Mittel der Bundeshaushalt gegebenenfalls genehmigen muss, um den europäischen Stabilitätsmechanismen – es sind ja mehrere – das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen, solange muss der Bundestag beteiligt werden. Wenn diese Mechanismen einmal in Kraft gesetzt sind, wenn die Gesetze, die dazugehören, einmal wirksam werden, zum Beispiel Interventionsrechte der Kommission gegen die Haushaltsentwürfe, dann muss das Europaparlament die Kommission kontrollieren. Also da wird überhaupt kein Weg daran vorbei führen, dass das Europaparlament dort gestärkt werden muss.
Herter: Aber der Bundestag will dann auch mitreden mit einem erweiterten Ausschuss. Ist das der falsche Weg also?
Schulz: Nein! Ich bin der Meinung, dass wir als Parlamentarier auf der nationalen und auf der europäischen Ebene Partner sind. Die Anteile, die der jeweilige Mitgliedsstaat gesetzgeberisch, oder auch finanzpolitisch zu leisten hat in der Gesamtheit der Europäischen Union, seinen Beitrag, den muss er vor dem nationalen Parlament in Form der Regierungsbeteiligung, also der Regierungspolitiker, die das Parlament zu informieren haben, die gegebenenfalls auch vom Parlament Weisungen mitnehmen, das muss auf der nationalen Ebene erfolgen. Was dann europäisch geschieht, wenn das Ganze in Brüssel angekommen ist, das muss dann in Straßburg parlamentarisch legitimiert werden. Insofern sind wir Partner, denn diese europäischen Strukturen haben immer ein doppeltes Gesicht: Einmal ein nationales, weil es nationale souveräne Staaten sind, die dort handeln, die aber eine neue Form des gemeinschaftlichen Handelns in Brüssel entwickeln, und dann muss dieser Souveränitätsverzicht, wie man das nennt, also die Übertragung eigenständiger Rechte aus der nationalen Ebene auf die europäische Ebene, auch einhergehen mit einem Transfer der parlamentarischen Rechte von der nationalen auf die europäische Ebene. Insofern sind wir Partner.
Wir müssen, wenn ich dieses Bild mal gebrauchen darf, die Regierungen einrahmen. Wenn sie in der nationalen Hauptstadt handeln, ist das nationale Parlament ihr Kontrollorgan. Auf der europäischen Ebene handeln sie in Gemeinschaft, dann ist es das Europäische Parlament.
Herter: Aber in der Finanzkrise muss man schnell und flexibel handeln. Stört da diese Kontrolle der Parlamente nicht doch irgendwie, gerade wenn die Zuständigkeiten in zwei Parlamenten liegen?
Schulz: Man kann ja die Krise, die wir haben, nicht als Legitimation für die Entparlamentarisierung Europas benutzen. Deshalb gibt es überhaupt dieses Argument, in der notwendigen Schnelligkeit des Handelns sind die Parlamente störend, das darf man vom Grundsatz nicht akzeptieren. Im Übrigen: Wenn diese Mechanismen in Kraft treten, wenn der europäische Stabilitätsmechanismus in Kraft tritt, dann tritt er als europäisches Organ in Kraft, und dann ist das Europaparlament – da garantieren wir sicher für; ich kandidiere als Präsident dieses Parlaments, da gebe ich jetzt hier eine offizielle Garantie für ab -, dann sind wir schnell genug, um zu helfen, auch schnelle Entscheidungen, parlamentarisch legitimiert, zu ermöglichen.
Herter: Glauben Sie, dass die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms den Euro tatsächlich retten kann?
Schulz: Ich bin ganz sicher, dass die Signale, die da schon in der Vergangenheit durchaus positiv (auch in den letzten Wochen) ausgesendet worden sind, nämlich die Euro-Staaten, die großen, Deutschland und Frankreich vorne weg, sind nicht bereit, der Spekulation nachzugeben, die gegen diese Währung läuft – die Währung ist stark; sie ist geschwächt worden durch Entscheidungsschwächen in den Regierungszentralen -, die Signale der letzten Wochen waren, diese Entscheidungsschwächen können nicht dazu führen, dass die Spekulanten siegen werden. Wir werden den Euro notfalls mit einer Aufstockung der notwendigen Mittel verteidigen, das hat ganz eindeutig gewirkt, die Spekulationen haben nachgelassen. Deshalb glaube ich in der Beantwortung Ihrer Frage ja, je entschlossener die Regierungen handeln, je stärker sie parlamentarisch legitimiert handeln, das heißt je stärker ausgedrückt wird, die Volksvertretungen stehen auch hinter dem Handeln der Regierung, desto mehr wird klar: Es ist sinnlos, gegen den Euro zu spekulieren. Deshalb glaube ich, dass diese Maßnahmen den Euro weiter stabilisieren.
Herter: Aber gibt es da nicht eine strukturelle Lücke? Wir haben den Euro, auf der anderen Seite haben wir bestimmte institutionelle Vorkehrungen nicht, zum Beispiel eben diese europäische Wirtschaftsregierung, zu wenig oder wenig gemeinsame Industriepolitik, wenig gemeinsame Politik. Vielleicht zu wenig gemeinsame Politik für eine gemeinsame Währung?
Schulz: Natürlich, ganz klar! Der Geburtsfehler des Euros war immer, dass dieser Währungsunion nicht die entsprechende politische Union als Rahmen gegeben wurde. Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, dass seit eineinhalb Jahren mit aus meiner Sicht zu langsamen Schritten, aber immerhin immer stärker diese Wirtschaftsregierung sichtbar wird. Die notwendige Koordinierung der Finanz-, der Steuer-, der Wirtschaftspolitik, die ist zwingend erforderlich, und immer mehr Leute – ich lese Meinungen von Frau von der Leyen zum Beispiel in den letzten Tagen, oder Norbert Röttgen, oder Wolfgang Schäuble seit je her -, also Regierungspolitiker, selbst FDP-Politiker, die einsehen, das muss jetzt kommen, dieser finanzpolitische, steuerpolitische, wirtschaftspolitische Rahmen muss gegeben werden, dann entstehen neue Institutionen. Und um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Die Wirtschaftsregierung wird auf Dauer die Kommission der europäischen Gemeinschaften werden, denn Europa lässt sich nicht dadurch regieren, dass 17 Euro-Staaten-Regierungschefs alle sechs Monate mal unter dem Vorsitz von Herman van Rompuy tagen. Die richtig effektive praktische alltägliche Politik wird in der Kommission angesiedelt sein und dann wird auch das Europaparlament auf der europäischen Ebene der für diese Bereiche zuständige Hauptgesetzgeber werden. Dann bekommen wir tatsächlich auf der europäischen Ebene einen Integrationsschub, den diese Krise tatsächlich auch ausgelöst hat.
Herter: Das war der SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz über die Europäische Union und den Euro-Rettungsschirm. Vielen Dank für das Gespräch.
Schulz: Ich danke Ihnen, Herr Herter.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jetzt sind wir mit dem SPD-Politiker Martin Schulz verbunden, dem Chef der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Schulz.
Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Herter!
Herter: Herr Schulz, seit Wochen streitet Deutschland darüber, wie der Bundestag mitentscheiden soll, wenn es um den Euro-Rettungsschirm geht. Die Bundesregierung hat es da auch mit Widerstand aus den eigenen Reihen zu tun. Über das Europaparlament und dessen Rechte redet in diesem Zusammenhang fast niemand. Sie sind dort Abgeordneter. Herr Schulz, fühlen Sie sich ignoriert, oder gar diskriminiert?
Schulz: Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass wenn eine Machtverlagerung stattfindet, eine Kompetenzverlagerung von den nationalen Hauptstädten nach Brüssel, wenn es mehr Kompetenzen für Institutionen der EU gibt, dann wird die parlamentarische Instanz, die diese Kompetenzen parlamentarisch legitimiert, kontrolliert und gegebenenfalls auch mit Gesetzen ausstattet, das Europaparlament sein und auch sein müssen. Ich habe Verständnis für die Kollegen des Deutschen Bundestages. Solange noch auf der nationalen Ebene diskutiert wird, solange wir heute noch darüber diskutieren, welche Mittel der Bundeshaushalt gegebenenfalls genehmigen muss, um den europäischen Stabilitätsmechanismen – es sind ja mehrere – das notwendige Geld zur Verfügung zu stellen, solange muss der Bundestag beteiligt werden. Wenn diese Mechanismen einmal in Kraft gesetzt sind, wenn die Gesetze, die dazugehören, einmal wirksam werden, zum Beispiel Interventionsrechte der Kommission gegen die Haushaltsentwürfe, dann muss das Europaparlament die Kommission kontrollieren. Also da wird überhaupt kein Weg daran vorbei führen, dass das Europaparlament dort gestärkt werden muss.
Herter: Aber der Bundestag will dann auch mitreden mit einem erweiterten Ausschuss. Ist das der falsche Weg also?
Schulz: Nein! Ich bin der Meinung, dass wir als Parlamentarier auf der nationalen und auf der europäischen Ebene Partner sind. Die Anteile, die der jeweilige Mitgliedsstaat gesetzgeberisch, oder auch finanzpolitisch zu leisten hat in der Gesamtheit der Europäischen Union, seinen Beitrag, den muss er vor dem nationalen Parlament in Form der Regierungsbeteiligung, also der Regierungspolitiker, die das Parlament zu informieren haben, die gegebenenfalls auch vom Parlament Weisungen mitnehmen, das muss auf der nationalen Ebene erfolgen. Was dann europäisch geschieht, wenn das Ganze in Brüssel angekommen ist, das muss dann in Straßburg parlamentarisch legitimiert werden. Insofern sind wir Partner, denn diese europäischen Strukturen haben immer ein doppeltes Gesicht: Einmal ein nationales, weil es nationale souveräne Staaten sind, die dort handeln, die aber eine neue Form des gemeinschaftlichen Handelns in Brüssel entwickeln, und dann muss dieser Souveränitätsverzicht, wie man das nennt, also die Übertragung eigenständiger Rechte aus der nationalen Ebene auf die europäische Ebene, auch einhergehen mit einem Transfer der parlamentarischen Rechte von der nationalen auf die europäische Ebene. Insofern sind wir Partner.
Wir müssen, wenn ich dieses Bild mal gebrauchen darf, die Regierungen einrahmen. Wenn sie in der nationalen Hauptstadt handeln, ist das nationale Parlament ihr Kontrollorgan. Auf der europäischen Ebene handeln sie in Gemeinschaft, dann ist es das Europäische Parlament.
Herter: Aber in der Finanzkrise muss man schnell und flexibel handeln. Stört da diese Kontrolle der Parlamente nicht doch irgendwie, gerade wenn die Zuständigkeiten in zwei Parlamenten liegen?
Schulz: Man kann ja die Krise, die wir haben, nicht als Legitimation für die Entparlamentarisierung Europas benutzen. Deshalb gibt es überhaupt dieses Argument, in der notwendigen Schnelligkeit des Handelns sind die Parlamente störend, das darf man vom Grundsatz nicht akzeptieren. Im Übrigen: Wenn diese Mechanismen in Kraft treten, wenn der europäische Stabilitätsmechanismus in Kraft tritt, dann tritt er als europäisches Organ in Kraft, und dann ist das Europaparlament – da garantieren wir sicher für; ich kandidiere als Präsident dieses Parlaments, da gebe ich jetzt hier eine offizielle Garantie für ab -, dann sind wir schnell genug, um zu helfen, auch schnelle Entscheidungen, parlamentarisch legitimiert, zu ermöglichen.
Herter: Glauben Sie, dass die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms den Euro tatsächlich retten kann?
Schulz: Ich bin ganz sicher, dass die Signale, die da schon in der Vergangenheit durchaus positiv (auch in den letzten Wochen) ausgesendet worden sind, nämlich die Euro-Staaten, die großen, Deutschland und Frankreich vorne weg, sind nicht bereit, der Spekulation nachzugeben, die gegen diese Währung läuft – die Währung ist stark; sie ist geschwächt worden durch Entscheidungsschwächen in den Regierungszentralen -, die Signale der letzten Wochen waren, diese Entscheidungsschwächen können nicht dazu führen, dass die Spekulanten siegen werden. Wir werden den Euro notfalls mit einer Aufstockung der notwendigen Mittel verteidigen, das hat ganz eindeutig gewirkt, die Spekulationen haben nachgelassen. Deshalb glaube ich in der Beantwortung Ihrer Frage ja, je entschlossener die Regierungen handeln, je stärker sie parlamentarisch legitimiert handeln, das heißt je stärker ausgedrückt wird, die Volksvertretungen stehen auch hinter dem Handeln der Regierung, desto mehr wird klar: Es ist sinnlos, gegen den Euro zu spekulieren. Deshalb glaube ich, dass diese Maßnahmen den Euro weiter stabilisieren.
Herter: Aber gibt es da nicht eine strukturelle Lücke? Wir haben den Euro, auf der anderen Seite haben wir bestimmte institutionelle Vorkehrungen nicht, zum Beispiel eben diese europäische Wirtschaftsregierung, zu wenig oder wenig gemeinsame Industriepolitik, wenig gemeinsame Politik. Vielleicht zu wenig gemeinsame Politik für eine gemeinsame Währung?
Schulz: Natürlich, ganz klar! Der Geburtsfehler des Euros war immer, dass dieser Währungsunion nicht die entsprechende politische Union als Rahmen gegeben wurde. Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, dass seit eineinhalb Jahren mit aus meiner Sicht zu langsamen Schritten, aber immerhin immer stärker diese Wirtschaftsregierung sichtbar wird. Die notwendige Koordinierung der Finanz-, der Steuer-, der Wirtschaftspolitik, die ist zwingend erforderlich, und immer mehr Leute – ich lese Meinungen von Frau von der Leyen zum Beispiel in den letzten Tagen, oder Norbert Röttgen, oder Wolfgang Schäuble seit je her -, also Regierungspolitiker, selbst FDP-Politiker, die einsehen, das muss jetzt kommen, dieser finanzpolitische, steuerpolitische, wirtschaftspolitische Rahmen muss gegeben werden, dann entstehen neue Institutionen. Und um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Die Wirtschaftsregierung wird auf Dauer die Kommission der europäischen Gemeinschaften werden, denn Europa lässt sich nicht dadurch regieren, dass 17 Euro-Staaten-Regierungschefs alle sechs Monate mal unter dem Vorsitz von Herman van Rompuy tagen. Die richtig effektive praktische alltägliche Politik wird in der Kommission angesiedelt sein und dann wird auch das Europaparlament auf der europäischen Ebene der für diese Bereiche zuständige Hauptgesetzgeber werden. Dann bekommen wir tatsächlich auf der europäischen Ebene einen Integrationsschub, den diese Krise tatsächlich auch ausgelöst hat.
Herter: Das war der SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz über die Europäische Union und den Euro-Rettungsschirm. Vielen Dank für das Gespräch.
Schulz: Ich danke Ihnen, Herr Herter.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.