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"Krise darf nicht ungenutzt bleiben"

Die Lockerung des Luxemburger Bankgeheimnisses wäre ein Fortschritt, sagt der Europa-Abgeordnete Sven Giegold (Bündnis 90/Die Grünen). Da dies jedoch vor allem die Vermögen von Privatpersonen betreffe, fordert er darüber hinaus die Umsetzung einer Steuer-Transparenzrichtlinie für Unternehmen.

Sven Giegold im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Auf 400 Milliarden Euro schätzt die Deutsche Steuergewerkschaft die Summe, die Deutschlands Millionäre und Vermögende im Ausland in Sicherheit gebracht haben. Viele davon wohl, um Steuern zu hinterziehen. Mancher könnte jetzt langsam kalte Füße bekommen. Auf Zypern werden Geldbeträge oberhalb von 100.000 Euro rasiert und dann präsentierten auch noch letzte Woche internationale Medien zweieinhalb Millionen Datensätze mit belastendem Material über die Steueroasen in dieser Welt. Luxemburg, das ebenfalls im Verruf steht, ein attraktives Ziel deutscher Steuerflüchtlinge zu sein, will jetzt offenbar einlenken. Finanzminister Luc Frieden kündigte gestern jedenfalls in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" eine Kehrtwende an.
    Also: Luxemburg will jetzt in Sachen Steuerflucht mit ausländischen Steuerbehörden, zum Beispiel deutschen Steuerbehörden, besser kooperieren und das Bankgeheimnis lockern. – Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen, Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Währung und Parlamentsberichterstatter für die Eurozone. Guten Morgen, Herr Giegold.

    Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Bekommt Luxemburg kalte Füße?

    Giegold: Ja, schon vor einigen Wochen hat Herr Juncker das bei uns im Ausschuss angedeutet, dass Luxemburg sich wohl bewegen wird. Das ist erst mal erfreulich. Man muss sagen, dass Luxemburg nicht nur im eigenen Interesse da gehandelt hat, sondern außerdem damit verhindert, dass Europa gemeinsam Kooperationsabkommen zum Informationsaustausch mit Drittstaaten eröffnet, und das ist eigentlich das Entscheidende an dieser Stelle. Man muss aber sagen, in der ganzen Diskussion gehen zwei Sachen ständig durcheinander. Das eine ist die Steuerflucht von Privatpersonen. Darum geht es bei diesem Austausch, von dem Herr Frieden gesprochen hat. Und das andere sind die Steuergestaltungen im Unternehmensbereich, die Deutschland auch große Milliardenbeträge kosten, und da hat Luxemburg auch seine Finger im Spiel und bisher noch kein Entgegenkommen gezeigt.

    Meurer: In welcher Relation stehen diese beiden Bereiche privat und Unternehmen etwa vom Volumen her? Wissen Sie das?

    Giegold: Das Problem ist, dass das eigentlich keiner so genau weiß. Die 400 Milliarden, von denen die Steuergewerkschaft redet, das ist wirklich privates Kapital, das ins Ausland gebracht wurde, zum Teil dann aber wiederum in Unternehmen steckt. Daher überschneiden sich die Dinge auch. Das andere ist, was praktisch alle Großunternehmen betreiben: Sie haben Tochterfirmen im Ausland und rechnen damit ihre Steuerpflicht klein. Kleinere, mittlere Unternehmen können das nicht machen, das ist auch unfairer Wettbewerb. Wie viel das genau ausmacht? – Es gab mal eine Schätzung des Bundesrechnungshofes, die kamen auf 60 Milliarden Euro pro Jahr - das ist eigentlich schon einige Jahre her – an Steuerschäden für Deutschland jährlich.

    Meurer: Hat Ministerpräsident Jean-Claude Juncker bei Ihnen im Ausschuss angedeutet, dass er auch an diese Unternehmensgeschichte, an diese Stiftungsmodelle heran will?

    Giegold: Leider nicht. Da geht es nicht nur um Stiftungsmodelle, sondern um sehr technische Fragen: Wo werden Zinsen und Gewinne verrechnet? Ich möchte damit die Hörer hier nicht länger langweilen. Aber es gäbe etwas sehr Einfaches, was Deutschland tun könnte, um dort die Sache zu beschleunigen. Diese Woche wird in Brüssel die Transparenzrichtlinie und Buchhaltungsrichtlinie abschlussverhandelt, und dort gab es vom Europaparlament fraktionsübergreifend den Vorschlag, dass Unternehmen offenlegen müssen, wie viel Steuern sie in welchem Land zahlen und wie viel Gewinne sie dort jeweils machen. Und raten Sie mal, wer das bisher blockiert hat? – Allen zuvorderst Herr Rösler und das Bundeswirtschaftsministerium war strikt gegen diese länderbezogene Offenlegung. Wenn der Rat auf Druck Deutschlands jetzt seine Position ändern würde, dann könnten wir das sofort beschließen und dann wüsste jeder, dann brauchte man nicht mehr die Journalisten, wie viel an Geld wo eigentlich gezahlt worden ist. Die Journalisten können dann sich mit anderen Fragen dieses großen Feldes befassen.

    Meurer: Also Transparenzrichtlinie hieße, die Unternehmen müssen komplett alles offenlegen, wo sie wie viele Steuern bezahlen?

    Giegold: Genau! Das wäre einfach so: Ein Unternehmen müsste in seiner Bilanz, das was es selbst sogar schon weiß, offenlegen, wie viel, welche Tochterfirmen hat es, wie viel Gewinne hat es wo gemacht, und wie viel Steuern darauf bezahlt. Und dann könnten Journalisten, die Zivilgesellschaft gucken, steht das in einem vernünftigen Verhältnis, und damit würde diese ganze Steuerschieberei transparent und es gäbe Druck. Und der Witz dabei ist, diese Transparenzvorschriften kann man im Mehrheitsverfahren in der EU beschließen, während alle Steuerfragen sonst einstimmig sind, und deshalb ist dieses Nein der Bundesregierung so schädlich und verhindert so viel, weil man dort wirklich etwas schnell erreichen könnte.

    Meurer: Nur auf der anderen Seite, sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Privatpersonen: Was hilft es uns, wenn diejenigen, die ihr Geld nach Luxemburg transferieren, sich dann eben eine schöne andere Steueroase in dieser Welt aussuchen?

    Giegold: Ja, da haben Sie völlig recht, und deshalb ist so effektiv, was die Amerikaner derzeit machen. Die Amerikaner betteln nicht bei Journalisten um Daten, sondern die sagen einfach, alle Banken, die in den USA Geschäfte machen wollen, und auch alle Banken, die Anleihen aus den USA halten wollen und daher Zahlungen aus den USA erhalten, müssen in Zukunft eine Strafsteuer hinnehmen, wenn sie nicht sämtliche steuerrelevanten Daten im Ausland von Amerikanern an die heimischen Finanzbehörden weitergeben. Das sogenannte FATCA-Abkommen könnte Deutschland auch machen, da braucht man nicht sich beklagen, wie mühselig das alles ist, wie Herr Schäuble das gemacht hat, sondern das kann man machen mit anderen Partnern zusammen, …

    Meurer: Das klingt so einfach, Herr Giegold. Aber werden da die Caymaninseln einfach mitmachen und sagen, ja, wir folgen euch jetzt brav?

    Giegold: Die werden mitmachen, weil eben wir die Amerikaner an unserer Seite haben. Das Ärgerliche der letzten zwei Jahre – in Brüssel hat das fast alle geärgert im Übrigen – ist, dass Deutschland versucht hat, mit der Schweiz und anderen auf Anonymität basierende Abkommen zu schließen. Das ist nun glücklicherweise gescheitert. Stattdessen wollen die Amerikaner eine Transparenz. Sie wollen nicht hinnehmen, dass Amerikaner ihr Geld ins Ausland bringen. Hätte man sich den Amerikanern angeschlossen, statt in den Rücken zu fallen, könnten wir solche Abkommen jetzt mit anderen Staaten verhandeln. Die Chance besteht und da brauchen wir eben wiederum nicht die Einstimmigkeit der EU, sondern können das mit europäischen Staaten und den Amerikanern gemeinsam vorantreiben.

    Meurer: Um trotzdem noch mal über Luxemburg zu reden. Luxemburg will jetzt offensichtlich am automatischen Informationsaustausch teilnehmen. Also: Die Konten werden gemeldet mit Namen an die deutschen Steuerbehörden. Ist das nicht ein gewaltiger Vorteil oder Fortschritt?

    Giegold: Doch! Das habe ich ja gleich am Anfang auch gesagt. Das ist ein großer Fortschritt, weil seit jetzt über zehn Jahren blockiert Luxemburg und Österreich und vorher auch noch Belgien den Fortschritt in dem Bereich. Und insbesondere ermöglicht uns das eben danach zu sagen, wenn wir in der EU erst mal den automatischen Informationsaustausch vollständig haben, mit der Schweiz, mit den Cayman Islands und so weiter ähnliche Abkommen zu verhandeln, und man ist in einer ungleich stärkeren Position, das ist ein großer Fortschritt, natürlich!

    Meurer: Im Moment wird eine Quellensteuer in Luxemburg erhoben von 35 Prozent. Dieses Geld wird dann abgeführt, auch nach Deutschland. Hier gibt es eine Kapitalertragssteuer von 25 Prozent plus Soli und Kirchensteuer, wenn ich das richtig zusammenzähle. Macht Deutschland dabei überhaupt dann ein Geschäft?

    Giegold: Ja schon, weil diese Richtlinie gilt leider, so wie sie bisher ist, nur für Zinseinkommen von Privatpersonen. Es genügt schon, das Geld – ich will ja jetzt hier keine Steuerberatung machen – aber schon in eine Firma zu verlagern, und wenn ich das klug mache, dann habe ich entsprechend niedrigere Steuersätze. Das gleiche gilt für viele andere Unternehmensgestaltungen. Das heißt, das Problem war, dass bisher diese Richtlinie wirklich nur für den engen Bereich der privaten Zinseinkünfte galt.

    Meurer: Noch kurz: Luxemburg beschwert sich ja oder hat sich beschwert durch den Außenminister Asselborn, es wird erwürgt. Wird Luxemburg von Deutschland in den Würgegriff genommen?

    Giegold: Nein. Deutschland hat bisher in dieser Frage überhaupt niemand in den Würgegriff genommen, sondern Deutschland hat 20 Jahre lang, muss man sagen, nichts effektiv gegen Steueroasen unternommen. Das ging jetzt selbst in der Finanzkrise so weiter. Man hat diesen Skandal des Geldverlustes hingenommen und jetzt versucht die Bundesregierung abzulenken und sagt, wir können nur international etwas tun und es ist alles so schwierig. Nein, jetzt unter dem Druck dieser Krise muss Deutschland sich Partner weltweit suchen und mit denen gemeinsam auch gegen den Widerstand von Ländern wie Luxemburg oder Österreich, und wie sie alle heißen, Maßnahmen voranbringen. Diese Krise darf nicht ungenutzt bleiben.

    Meurer: Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk zum sich abzeichnenden Einlenken der Luxemburger beim Steuergeheimnis. Danke schön, Herr Giegold, auf Wiederhören!

    Giegold: Gerne, Herr Meurer.


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