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Krise der Demokratie
Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung

Kritik am politischen Establishment, Wahlverdrossenheit, Populismus: Das demokratische System und der Politikbetrieb scheinen viele Menschen nicht mehr zu erreichen. Die Journalistin Ursula Weidenfeld ergründet in ihrem Buch "Regierung ohne Volk" die Ursachen dieser Krise - die nicht nur auf die politischen Parteien zurückzuführen ist.

Von Martin Hubert |
    Ursula Weidenfeld: "Regierung ohne Volk: Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert"
    Ursula Weidenfeld: "Regierung ohne Volk: Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert" (dpa / Maurizio Gambarini / Rowohlt)
    Regierung ohne Volk. Nicht nur im Titel dieses Buches geht es dramatisch zu. Die Journalistin Ursula Weidenfeld versteht ihr Handwerk und spitzt gekonnt mit pointierten Sätzen und Metaphern zu. Da geht das "Gespenst des Populismus" um, da "metastasiert" das Misstrauen in den Kernbereich der Demokratie hinein und auf dem Weg in die Zukunft warten "stachlige Disteln".
    Eine derart dramatische Situation ruft geradezu nach einer tiefgehenden, ja radikalen Analyse. Wenn Ursula Weidenfeld allerdings das Programm Ihres Buches zusammenfasst, klingt das bescheidener.
    "Die jüngsten Entwicklungen der deutschen Demokratie sollen in diesem Buch skizziert werden. Nicht alle Probleme werden genannt, nicht alle Themen werden in großer Ausführlichkeit behandelt. Das Buch ist eine Momentaufnahme, mit allen Stärken und Schwächen eines solchen Vorgehens. Es enthält keine politische Botschaft zugunsten oder zu Lasten einer Partei oder einer Person."
    Breiter Problemaufriss
    Ursula Weidenfeld hat damit ihr eigenes Buch sehr gut umrissen. Wobei sie gerade bei der Problembeschreibung vielfältige Gründe der Entfremdung zwischen Politik und Volk nennt. Weidenfeld schildert, wie spätestens mit Angela Merkel das Durchregieren zur Methode geworden sei. Man verfolge inzwischen kein Programm mehr, sondern reagiere nur noch auf Krisen und unterminiere die innerparteiliche Demokratie.
    Die Ära der Expertenkommissionen und der Exekutive habe begonnen, die Verfassungsgerichte hätten ihre Macht genauso ausgedehnt wie die Nichtregierungsorganisationen. So sachlich angemessen diese oft auch handelten - sie alle seien nicht direkt demokratisch legitimiert.
    Auch die Medien hätten durch bisweilen selektive Berichterstattung - Stichwort Flüchtlingskrise - zu einer Stimmung beigetragen, in der sich weite Teil der Bevölkerung nicht mehr repräsentiert sähen. Und die sozialen Medien würden durch Fake News dazu beitragen, dass Stimmungen die sachliche Auseinandersetzung verdrängen. Weidenfeld registriert auch, wie nationalstaatliches Handeln durch die neoliberale Globalisierung begrenzt wurde:
    "Dem Staat raubt die Globalisierung Freiheitsgrade. Den Unternehmen schenkt sie neue. Im Wettbewerb der Standortorte entscheiden die Konzerne sich bei der Steuererklärung für das Land mit den niedrigsten Steuern. Der Gerichtsstand wird im Land mit der höchsten Rechtssicherheit angesiedelt. Geforscht und entwickelt wird da, wo die innovativste Gründerszene sitzt und die beste Bildung angeboten wird. Geliefert schließlich wird aus dem Land mit der perfekten Infrastruktur. Die Staaten müssen diese Grundlagen herstellen. Sonst werden sie abgewählt. Demokratisch ist daran nichts. Die Betriebswirtschaft zählt."
    Die Frage nach den Ursachen
    Weidenfeld kommentiert diese Entwicklungen manchmal in einer Weise, die zum Widerspruch reizt. Haben die NGOs wirklich schon - wie sei meint - eine Art Nebendemokratie errichtet? Sind es tatsächlich primär die Regierungen, die das politische System schwächen oder nicht doch die globalen Unternehmen? Das alles sind Fragen, die schon seit geraumer Zeit diskutiert werden. Aber gerade deshalb springen die Mängel von Weidenfelds Momentaufnahme hier besonders ins Auge.
    Das Buch präsentiert zu wenige Fakten und Belege, um die Diskussion wirklich neu zu befruchten. Und seine Autorin listet die Probleme nur auf, statt genauer nachzufragen. Was ist die Hauptursache der politischen Legitimationskrise, was nur Nebeneffekt? Ist es eher der Verdruss über Sachentscheidungen, wie etwa bei der Flüchtlingsfrage oder der Energiewende? Oder ist es eher das Gefühl zunehmender Ungerechtigkeit und Ohnmacht? Dann ginge es nicht nur um Probleme innerhalb des politischen Systems, sondern um die Verfassung der Gesellschaft insgesamt und die Beziehung zwischen Demokratie und Kapitalismus.
    In diesem Fall ist der Krise nicht allein durch Verbesserungen im Bereich demokratischer Willensbildung beizukommen. Genau dafür aber plädiert Ursula Weidenfeld im Schlusskapitel ihres Buches, das den verheißungsvollen Titel "Die Lösung" trägt. Wobei sie dort zunächst dem Konzept der "direkten Demokratie" eine Absage erteilt.
    "Es würde die Wähler öfter um ihre Meinung fragen. Aber es würde diese Entscheidungen wahrscheinlich nicht auf eine breitere demokratische Basis stellen. Denn die Teilnahme an Volksentscheiden ist in den meisten Fällen sozial noch selektiver als Bundestags- oder Landtagswahlen. An Volksabstimmungen nehmen dieselben Leute teil, die auch sonst regelmäßig zur Bundestagswahl gehen. An der Ohnmacht der anderen - zum Beispiel der rund dreißig Prozent Nichtwähler auf Bundesebene - ändern auch Direktwahlen nichts."
    Auf dem Weg zu einer besseren Demokratie?
    Weidenfeld diskutiert nicht, inwieweit eine direkte Demokratie nicht auch zu einer stärkeren politischen Aktivität der Bürger führen könnte. Stattdessen setzt sie voll und ganz auf eine "bessere" repräsentative Demokratie. Diese müsse mehr Sicherheit und mehr Volksnähe garantieren. "Volksnähe" heißt: Stärkung der Demokratie auf der Ebene der Städte und Gemeinden und mehr Bürgerbefragungen bei konkreten Vorhaben.
    "Der Staat wird bis heute von oben gedacht und gemacht. Doch das Denken von oben ist überholt. Die Eltern wollen gefragt werden, wenn Schulen fusioniert, Schulreformen durchgesetzt und neue Konzepte wie das der Inklusion verordnet werden. Bürger erwarten effiziente und funktionsfähige Verwaltungen. Sie wollen mitentscheiden können, wie diese aussieht. Zu Anhörungen über die Suche nach einem Atommüllendlager oder über Start-und Landerouten für Flughäfen werden Hunderte Experten eingeladen, warum aber werden nicht auch Hunderte Bürger gefragt?"
    Weidenfeld bringt auch eine Wahlrechtsreform ins Spiel, die Direktmandate bevorzugt und den Abgeordneten mehr Unabhängigkeit verschaffen soll. Das sind durchaus sinnvolle Vorschläge und Ideen. Aber auch hier listet Weidenfeld nur auf, anstatt ein durchdachtes Gesamtkonzept zu entwerfen. Sie beschwört beispielsweise einen starken Staat, der den Finanzkapitalismus kontrollieren müsse, sagt aber nicht, wie das zu schaffen wäre. Ihre Momentaufnahme ist daher zwar recht informativ: sie zählt die Fäden auf, aus denen das Problemknäuel namens "Krise des politischen Systems" besteht. Aber sie seziert dieses Knäuel nicht wirklich und löst es nicht auf.
    Ursula Weidenfeld: "Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert"
    Rowohlt Berlin Verlag, 304 Seiten, 19,95 Euro.