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Krise der Deutsche Bank
"Jahrelang in die falsche Richtung gelaufen"

Die Deutsche Bank kommt nicht aus der Krise - ihr Ex-Chefökonom Thomas Mayer meint: Das Geldhaus hätte nach der Finanzkrise viel härter umsteuern müssen und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren müssen. Er sagte im Dlf, Vorstandschef John Cryan habe zwar Einiges richtig gemacht, aber ihm scheine entscheidendes Charisma zu fehlen.

Thomas Mayer im Gespräch mit Dirk Müller |
    Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main am Abend. Viele Büros sind beleuchtet.
    Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main (picture alliance / Arne Dedert)
    Dirk Müller: "Das sind ja schon italienische Verhältnisse", unken Branchenkenner seit einigen Jahren. Dabei sind es ureigen deutsche Verhältnisse, denn wir reden von der Deutschen Bank, vom größten Geldinstitut in unserem Land, vom bedeutendsten, vom einflussreichsten. Doch der Finanzgigant mit globalem Anspruch strauchelt, wankt, ist in der Strukturkrise. "To big to change" vielleicht, sagen einige, also einfach viel zu groß und viel zu unbeweglich. Der Aktienkurs eingebrochen, seit Beginn des Jahres um 30 Prozent im Minus. Die Gewinne einfach weggebrochen, 700 Millionen Euro Verlust. Bei den Boni klappt es dennoch ganz gut: 2,3 Milliarden Euro für die Führungsetagen. Und nun soll laut Medienberichten der Chef gehen müssen. Der Brite John Cryan, vor drei Jahren der Reformer, als Erneuerer angetreten, weil der Aufsichtsratsvorsitzende Paul Achleitner das jetzt in dieser Situation offenbar so will. Die Deutsche Bank tief in der Strukturkrise - unser Thema mit dem Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Thomas Mayer, viele Jahre lang Chefökonom der Deutschen Bank. Guten Morgen!
    Thomas Mayer: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Mayer, war viel Hochmut vor dem Fall?
    Mayer: Das Problem war, dass die Deutsche Bank sich über Jahre hinweg falsch aufgestellt hat. Der Schwerpunkt war auf Handelsgeschäfte; dabei hätte die Deutsche Bank eigentlich zu ihrem Kernauftrag zurückkehren müssen. Der Kernauftrag ist, die deutsche Industrie zu begleiten, die deutsche Industrie mit Kapitalmarkt-Dienstleistungen zu versorgen. Das ist das Modell, zu dem sie kommen muss, aber der Weg dahin erweist sich als enorm schwierig.
    "Die Bank hat die grundlegende Orientierung vernachlässigt"
    Müller: Man kann ja kaum mehr verdienen, denn als Manager der Deutschen Bank. Warum ist das jahrelang denn in die falsche Richtung gelaufen?
    Mayer: Ich glaube, die Gründe dafür, die gehen weit zurück. Man hat sich schon in den 90er-Jahren dafür aufgestellt, dass man insbesondere das Kapitalmarkt-Geschäft am Rentenhandel und am Aktienhandel aufbaut, und hat eigentlich seine grundlegende Orientierung vernachlässigt. Die Deutsche Bank, darf man nicht vergessen, wurde 1870 gegründet als Dienstleistungsunternehmen für die deutsche Industrie. Sie sollte die deutsche Industrie begleiten in ihrer Internationalisierung. Das hat die Deutsche Bank lange Zeit als Kreditbank auch ganz gut getan. In den 90er-Jahren hat aber die deutsche Industrie sich verändert. Das System der Hausbank wurde abgelöst durch einen Partner. Die Industrie brauchte Partner, die auf den Kapitalmärkten unterwegs waren. Man holte nicht mehr Kredite, sondern man finanzierte sich auf dem Kapitalmarkt durch die Ausgabe von Unternehmensanleihen, oder man schaute nach Aktienemissionen und so weiter. Da hat die Deutsche Bank schon richtig erkannt, dass sie in das Investment-Banking hinein musste. Dann hat sie aber meines Erachtens viel zu stark den Schwerpunkt gelegt auf das Geschäft mit Handelsgeschäften, mit dem Aktienhandel, dem Rentenhandel.
    Und hier die Kurve wieder zu kriegen, erweist sich als viel, viel schwieriger als gedacht. Lange Zeit hingen natürlich auch noch die Altlasten dem neuen Management an, die Strafzahlungen. Da hat der Herr Cryan durchaus Fortschritte gemacht. Das meiste ist jetzt weg.
    "Nach der Finanzkrise hat man die Dinge nicht richtig erkannt"
    Müller: Jetzt sind wir schon in der Gegenwart, aber ich wollte vielleicht noch fragen, ohne jetzt zu sehr in die historische Perspektive noch einmal zu gehen. Wir haben ja diese Namen noch alle im Kopf: Hilmar Kopper, Paul Breuer, dann vor allem auch Josef Ackermann. Das heißt, die haben alle, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, nicht verstanden, dass der Hase irgendwo anders langläuft?
    Mayer: Im Rückblick ist natürlich so was immer sehr leicht zu sagen oder besser zu erkennen. Man hätte mindestens nach der Finanzkrise viel härter umsteuern müssen. Da gibt es auch Beispiele, nehmen Sie die Schweizer UBS. Die war in einer ähnlich schwierigen Situation in der Finanzkrise, hat dann aber die Kurve viel besser hinbekommen als die Deutsche Bank. Die UBS hat sich auf ihr Kerngeschäft zurückbesonnen, was Vermögensverwaltung ist, und die Investmentbank wurde sozusagen zum Dienstleister für dieses Kerngeschäft umgebaut. Die Deutsche Bank ist dann nach der Finanzkrise jahrelang noch in die falsche Richtung gegangen.
    Thomas Mayer, ehemaliger Chef-Volkswirt der Deutschen Bank
    Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank, heute bei der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch (imago stock & people)
    Müller: UBS war ja viel stärker angeschlagen, wenn ich da noch einmal reingehen darf, Herr Mayer.
    Mayer: Ja!
    Müller: Das heißt, das ist ein klares Versagen der Führung bei der Deutschen Bank?
    Mayer: Ich denke, nach der Finanzkrise hat man die Dinge nicht richtig erkannt, in welche Richtung man gehen sollte. Die ersten paar Jahre nach der Finanzkrise ist man stramm in die falsche Richtung gegangen und das rächt sich jetzt.
    "John Cryan hat auch einiges richtig gemacht"
    Müller: Das rächt sich jetzt vielleicht auch bei John Cryan. Wir hatten ja noch Jürgen Fitschen und Anshu Jain zwischendurch, die auch nicht lange gemacht haben, die auch dann Probleme hatten, auch mit Paul Achleitner, wenn ich das richtig gelesen und verstanden habe, mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, auch über das persönliche oder auch geschäftliche Auftreten, auch über das Konzept. Warum ist das so schwierig, dass beide Seiten an der Spitze des Unternehmens konstruktiv zusammenarbeiten?
    Mayer: Wenn Sie die alte Doppelspitze nehmen, da stand Anshu Jain für die Vergangenheit. Er war der Händler, er hatte die Orientierung der Deutschen Bank auf das Handelsgeschäft, das Geschäft im Renten- und Aktienbereich ausgerichtet. Jürgen Fitschen war eher die Deutsche Bank als Partner der Industrie und ich finde, da wurde eigentlich die Anpassung verpasst. Viel zu lange wurde das alte Geschäft weitergetrieben.
    Müller: Das heißt, der Fitschen war schon auf dem richtigen Weg, weil er wieder zurückging zur Finanzierung der deutschen Industrie oder zur Begleitung, wie Sie es genannt haben.
    Mayer: Ja, ja.
    Müller: Reden wir noch über Cryan, haben wir ganz vergessen, beziehungsweise ich habe Sie ja leider auch in diese Richtung gebracht. Wir haben noch zwei Minuten Zeit. Was hat John Cryan falsch gemacht?
    Mayer: John Cryan hat auch einiges richtig gemacht. Er hat die Strafzahlungen der Deutschen Bank hinter sich gebracht und ich denke, er geht in die Richtung, die wir jetzt gerade besprochen haben. Aber es erweist sich wohl als enorm schwer und ich glaube, was man da braucht, ist jemand, der die Leute auch mitreißt. Alle sagen, John Cryan ist ein guter, solider Banker, aber es scheint ihm das nötige Charisma zu fehlen, um die Leute auch in dieser Situation mitzunehmen. Denken Sie an den Ausbruch des Vorstandsmitglieds, die da sagte, die Deutsche Bank sei das schlechteste Unternehmen, für das sie je gearbeitet hat. Das kann man einfach nicht so bringen.
    "Die Zeit aufzuholen, ist unheimlich schwer jetzt"
    Müller: Das war Kim Hammonds, die IT-Chefin, die gesagt hat, disfunktionales System.
    Mayer: Richtig, und das ist einfach schlecht, wenn ein Vorstandsmitglied so was sagen kann. Da braucht es einen Vorstandsvorsitzenden, der die Leute mitreißt.
    Müller: Jetzt sagen viele aber auch, der Mann hat einfach viel zu wenig Zeit. Er hat einen Scherbenhaufen geerbt und muss jetzt konstruktiv arbeiten können.
    Mayer: Richtig. Wie gesagt, er hat ja einiges hinter sich gebracht. Aber es ist ein unheimlich großes Geschäft, das er vor sich hat, und da braucht er natürlich Mitstreiter, die mitziehen. Da legt zumindest dieser eine Ausspruch nahe, dass das vielleicht nicht ganz so ist, wie es sein soll.
    Müller: Und, Herr Mayer, der Paul Achleitner, der Aufsichtsratsvorsitzende, der hat jetzt inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt?
    Mayer: Ich hoffe! Meines Erachtens hat er viel zu lange an der alten Ausrichtung der Deutschen Bank festgehalten und die Doppelspitze viel zu lange unterstützt. Er hat die nicht selbst eingesetzt, er hat sie ja geerbt von seinem Vorgänger im Aufsichtsratsvorsitz, aber er hat wahrscheinlich zu lange daran festgehalten. Und die Zeit aufzuholen, ist unheimlich schwer jetzt.
    Müller: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.