Philipp May: Gerade eben haben wir über die Strategie-Diskussion bei der Union gesprochen. Kommen wir jetzt zur SPD. Auch die sucht ihren Kurs: Drin bleiben in der GroKo, oder doch so schnell wie möglich raus. Und überhaupt: In welche politische Richtung soll es in Zukunft gehen?
Die Stimmen derer werden lauter, die fordern, die SPD muss einen härteren Kurs in der Migrationspolitik einschlagen, gleichzeitig aber wirtschaftspolitisch weiter nach links rücken. Ex-Chef Sigmar Gabriel zum Beispiel: Das Vorbild Dänemark, wo die Sozialdemokraten gerade genau mit diesem Kurs die Parlamentswahlen gewonnen haben.
Nils Heisterhagen gilt in der SPD als Vordenker dieser, innerhalb der Partei sehr umstrittenen These. In seinem Buch "Die liberale Illusion" hat er sie ausführlich begründet. Er war Grundsatzreferent der SPD-Fraktion in Rheinland-Pfalz, bis man sich vor einigen Monaten einvernehmlich getrennt hat, wie es so schön heißt. Jetzt ist er am Telefon. Guten Morgen, Herr Heisterhagen.
Nils Heisterhagen: Guten Morgen.
May: Heißt von Dänemark lernen siegen lernen für die SPD?
Heisterhagen: Na ja, ich würde auf jeden Fall empfehlen, sich das genauer anzusehen, was dort passiert. Ich kenne natürlich nicht jede einzelne Aussage jedes einzelnen Politikers dort und mit Sicherheit gibt es auch Aussagen oder Ideen, die vielleicht etwas zu hart sind. Ich würde nur empfehlen, sich das genau anzusehen, was die dänischen Sozialdemokraten genau machen.
May: Dann frage ich mal ganz konkret. Was sind denn Positionen, die die SPD dringend überdenken müsste, in der Flüchtlingspolitik beispielsweise?
Heisterhagen: Fangen wir doch mal an, was wir letzte Woche im Bundestag erlebt haben. Es gab einige Gesetze zu Einwanderung und Asyl und im Großen und Ganzen war das sehr ordentlich. Im Grunde ist die SPD da schon etwas mitgegangen, was man durchaus als den dänischen Weg bezeichnen kann beziehungsweise dem dänischen Weg sehr nahe kommt.
Ich habe nicht sehr verstanden, warum man nicht sich stolz und selbstbewusst hinstellt und sagt, ja, das waren gute Gesetze. Stattdessen hat man sich auf Twitter eher moralisch kaputtreden lassen und hat dann wieder unterwürfig Asche auf sein Haupt geschüttet - im Sinne von "böse, böse CDU, aber wir konnten nicht anders".
Dabei hätte so jemand wie Helmut Schmidt, der ja als großer Sozialdemokrat galt, zu solchen Gesetzen gesagt, die SPD muss auch für Ordnung stehen und mit diesen Gesetzen haben wir das gezeigt.
"Weniger reden, mehr machen"
May: Aber Helmut Schmidt gilt ja unter anderem auch als Wegbereiter der Grünen, die ja im Prinzip auch einen Aderlass für die SPD dann bedeutet haben?
Heisterhagen: Ja! Aber die Sozialdemokratie ist eine Kraft linker Realpolitik, und ich würde sehr dringend dazu raten, dass wir moralische Diskussionen nicht ins Zentrum politischer Debatte stellen, sondern dass wir fragen, was ist ein Problem und was ist eine Lösung.
Moralische Diskussionen bringen uns beim Thema Migration nicht viel, sondern die Politik muss liefern. Sie muss Ergebnisse erzeugen, also weniger reden, mehr machen.
Ich würde auch mal sagen: Das Wort rechts ist in diesem Zusammenhang mit der Migrationspolitik falsch. Es geht nicht um einen Rechtsruck oder einen Rechtsschwenk, sondern es geht um Realismus. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Beim Thema Integration. Wir können sicherlich nachher auch noch über die Migration reden, aber reden wir einmal kurz über die Integration. Es gibt ja durchaus einen Unterschied bei den beiden.
Bei der Integration ist es so: Ich fordere zum Beispiel, mehr Geld in die Ausbildung von Flüchtlingen jetzt zu stecken, denn dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie später nicht in die sozialen Sicherungssysteme fallen, oder gar in Kriminalität abrutschen. Ich kann so rein gar nicht erkennen, was an dieser Forderung rechts sein soll. Das ist einfach nur Realismus, nämlich Herausforderungen zu identifizieren und dann anzupacken und nicht um den heißen Brei herumzureden. Das nenne ich Realismus und ich nenne es sogar linken Realismus, aber einen, der nichts beschönigt, aber auch nichts schlecht redet, sondern sagt, guckt euch die Probleme an und dann legt Lösungen auf den Tisch oder Vorschläge für Lösungen auf den Tisch.
Deswegen habe ich auch ein Problem damit, wenn jetzt dieser dänische Weg oder die Nachahmung des dänischen Weges so als Rechtsruck in der Migrations- und Integrationspolitik bezeichnet wird, sondern was die Dänen im Grunde vorgemacht haben ist, der Sozialdemokratie zu helfen, aus rein moralischen Diskussionen herauszukommen, um sich endlich wieder auf Lösungen zu orientieren.
"Wie kriegen wir Ökologie und Ökonomie in Einklang?"
May: Wo Sie Dänemark noch mal ansprechen. Wenn man da aufs Wahlergebnis schaut, dann fällt ja auf, dass das linke Lager gar nicht größer geworden ist, weil die Sozialdemokraten mit ihrem Kurs dazugewonnen haben - die sind im Prinzip gleich geblieben, haben sogar ein kleines bisschen verloren -, sondern die linksliberalen Parteien mit ihren grünen Themen sind stärker geworden. Ist das nicht ein Weg, den die SPD dann möglicherweise noch stärker einschlagen sollte?
Heisterhagen: Wenn ich das richtig verfolgt habe, dann war das Thema Klimapolitik auch sehr zentral in diesem Wahlkampf in Dänemark. Da hatten die Sozialdemokraten auch sehr gute Angebote. Sie haben auch damit reüssiert, bei dem Thema Kompetenzen zu haben. Das Problem ist, dass momentan in Deutschland bei dem Thema Klimapolitik einzig und allein ganz offensichtlich nur den Grünen Kompetenzen zugeschrieben werden und der Union oder der SPD nicht.
Ich würde auch fordern, dass die SPD sich stärker dem Thema Klimapolitik zuwendet, aber auch hier wieder eine linke Realpolitik vorschlägt, nämlich zu sagen, wie kriegen wir Ökologie und Ökonomie in Einklang gebracht, dass wir endlich dahin kommen zu fragen, wie kann für unsere Industrienation das Thema Klimapolitik eigentlich auch sinnvoll in eine Art grünes Wachstum überführt werden, dass wir das Projekt Klimawandelbekämpfung eher als technologisches Projekt sehen im Sinne von, wir versuchen bessere Umwelttechnologie zu entwickeln.
Da kann man ansetzen mit Forschungspolitik, mit aktiver Industriepolitik und kann eine Art grüne Industriepolitik entwickeln, und das wäre für die Sozialdemokratie eigentlich ein herausragender Weg, auch Kompetenzen in der Klimapolitik sich anzueignen und bei diesem Thema auch die Menschen wieder für sich zu begeistern.
"Die erfolgreichste Bürgermeisterpartei Deutschlands"
May: Herr Heisterhagen, Sie sagen, die SPD braucht linke Realisten an der Spitze.
Heisterhagen: Genau!
May: Jetzt sucht die SPD ihren Kurs und auch einen Vorsitzenden, der diesen Kurs dann auch glaubhaft verkörpert. Wer ist denn dieser linke Realist in Ihren Augen, der dann möglicherweise an der Spitze der SPD glaubhaft für so einen Kurs stehen könnte?
Heisterhagen: Na ja. Sagen wir so: Linke Realisten gibt es in der Sozialdemokratie schon. Sie sitzen meistens in den Rathäusern dieser Republik, die Bürgermeister. Die Sozialdemokratie ist die erfolgreichste Bürgermeisterpartei Deutschlands mit sehr vielen guten Leuten. Weiterhin gibt es Personen wie Sigmar Gabriel, der aus meiner Sicht einer der besten und größten linken Realisten dieses Landes ist, weil er viele Themen auf dem Schirm hat, insbesondere in der Wirtschaftspolitik.
May: Aber der war ja nun sieben Jahre am Ruder und hat den Bock auch nicht umgestoßen, zumindest bei den Wählerumfragen, und dann hat er sich gedrückt, als es um die Kanzlerfrage ging.
Heisterhagen: Na ja. Sie haben mich ja erst mal gefragt, gibt es linke Realisten. Und meine Antwort: Ja, es gibt linke Realisten. Mein Plädoyer ist, dass diese linken Realisten jetzt mehr sich zutrauen, mehr Verantwortung zu übernehmen, und da denke ich natürlich auch an Bürgermeister, wie ich das eben dargelegt habe, weil ich glaube, die SPD muss wieder verkörpern, dass sie sich mit den Alltagsproblemen der Menschen wirklich befasst.
Sie muss verkörpern, dass sie nicht nur redet, sondern dass sie was machen will, dass sie diesen Drang danach hat, die Welt wirklich besser zu machen, wirklich Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen, zu lösen.
May: Herr Heisterhagen, es kommt die Musik und gleich kommen die Nachrichten - unerbittlich. Schade eigentlich. Ich hätte gerne länger mit Ihnen geredet. Ich hätte Sie gerne auch noch zu Kevin Kühnert gefragt, aber das müssen wir dann aufs nächste Mal verschieben. Vielen Dank für das Gespräch, bis zum nächsten Mal.
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