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Krise in der Ukraine
"Eine abstoßende Machtdemonstration"

Die öffentliche Zurschaustellung der Geiseln im Beisein der prorussischen Aktivisten sei eine "abstoßende Machtdemonstration", sagte Norbert Röttgen (CDU) im Deutschlandfunk. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag gab Russlands Präsident Putin eine Mitverantwortung für die Entführung.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag
    Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag (dpa/picture alliance/Rolf Vennenbernd)
    Die prorussischen Rebellen in der Ostukraine missbrauchten die Ängste und Sorgen der Angehörigen der verschleppten Militärbeobachter; so Röttgen. Die Entführung sei ein Signal für die sich weiter zuspitzende Situation in der Ostukraine und Ausdruck davon, dass Putin "erwartungsgemäß nichts unternommen hat".
    Der russische Präsident Wladimir Putin sei "eindeutig" mitverantwortlich für die Entführung. Denn diese sei Folge der Propaganda und Einflussnahme Putins. Das sei "ein Zeichen, ein Phänomen einer konsequenten Destabilisierung", die dieser in der Ostukraine vorgenommen habe, sagte Röttgen.
    Man könne natürlich darüber diskutieren, ob der Schutz der Militärbeobachter ausreichend gewesen sei. Es sei jedenfalls "enorm wichtig und entscheidend", dass die internationale Gemeinschaft nicht wegschaue, sondern das internationale Recht "auch operativ zur Anwendung bringt". Deshalb müssten Organisationen wie die OSZE vor Ort sein.
    "Klare Botschaft" an Putin senden
    Die bisherige Zurückhaltung der Bundesregierung bei der Verhängung von Sanktionen sei durchaus richtig gewesen. Jetzt müsse eine "klare Botschaft" in Richtung Kreml geschickt werden. Putins Handlungen seien eindeutig und konsequent und offenbarten das strategische Interesse, seinen Machtanspruch auf die gesamte Ukraine auszudehnen. Deshalb seien "fühlbare Maßnahmen" des Westens nun wichtig.
    Zur genauen Art der Sanktionen wollte sich Röttgen nicht äußern, technisch müssten diese allerdings auf die "dritte Stufe" gestellt werden, sagte er. Es gehe nun um Maßnahmen in einer wirtschaftlichen Dimension, die fühlbare Auswirkungen hätten. Es müsse Putin klar gemacht werden, dass der Westen es ernst meine und sich einig sei in seinem Vorgehen.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wir haben es in der Presseschau schon gehört: Der Konflikt in der Ukraine hat für viele Beobachter mit der Entführung von vier Deutschen eine neue Dimension erreicht. Das Auswärtige Amt hat übers Wochenende einen Krisenstab eingerichtet. Und diese Entführung – auch mehrere andere europäische OSZE-Beobachter sind mit in dieser Gruppe – könnte auch eine deutliche Verschärfung der Sanktionen gegen Moskau beschleunigen. Schon heute könnte es dazu innerhalb der EU eine Einigung geben.
    Mitgehört hat Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Röttgen.
    Norbert Röttgen: Einen guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Röttgen, es gab – wir haben darüber gesprochen – gestern den Auftritt dieser entführten OSZE-Militärbeobachter, die dort sozusagen unter den Augen ihrer Entführer eine Pressekonferenz geben mussten. Was geht Ihnen bei solchen Bildern und bei solchen erzwungenen Äußerungen durch den Kopf?
    Röttgen: Eigentlich genau das, was Frau Adler auch schon geschildert hat. Es ist eine abstoßende Machtdemonstration, die ja nicht davor zurückschreckt, auch die menschliche Situation von Geiseln, auch die Sorgen und Ängste von Verwandten zu gebrauchen, zu missbrauchen, um auf eine auch bizarre, irrationale Weise Macht zu demonstrieren. Das ist, weil es um Geiselnahme geht, zu allererst auch ein menschliches Mitfühlen. Gleichzeitig ist es auch ein Signal für die sich weiter politisch zuspitzende Situation, die eben doch am Ende Ausfluss der Tatsache ist, dass Putin überhaupt nichts unternommen hat, übrigens nach meiner Einschätzung erwartungsgemäß nichts unternommen hat, um die Situation zu stabilisieren. Ganz im Gegenteil: Destabilisierung in der Ostukraine und übrigens dann darüber hinausgehend ist sein Instrument, um die Ukraine insgesamt zu chaotisieren, um dadurch Einfluss, russischen Putin-Einfluss zu gewinnen.
    Armbrüster: Das heißt, müssen wir Putin und die russische Seite auch mitverantwortlich machen für diese Entführung?
    Röttgen: Eindeutig ja, denn sie ist Ausdruck, dass sich in der Ostukraine Macht privatisiert. Sie ist Ausdruck der Propaganda, die auf Putin zurückgeht, der Ausstattung mit Material, mit Personenkoordinierung. Es ist ein Zeichen und ein Phänomen seiner konsequenten Destabilisierung, die er in der Ostukraine anwendet.
    Armbrüster: Zeigt sich dann hier, so wie das die Kollegin Sabine Adler ja eben auch angesprochen hat, dass Deutschland hier bislang vielleicht etwas zu sanft aufgetreten ist und künftig anders auftreten Muss?
    Fühlbare Sanktionen gegen Putin erforderlich
    Röttgen: Russland gegenüber nicht – da würde ich keine Kritik üben – zu sanft, denn man Muss ja alles ausschöpfen, was an Möglichkeit denkbar ist und noch nicht widerlegt worden ist durch die Wirklichkeit. Aber ich finde, wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Taten von Putin eine ganz klare Sprache sprechen, dass er sich verbal, rhetorisch immer wieder auch am Verhandlungstisch, der ja selten von Russland bereichert wird, dass er sich anders äußert. Aber seine Taten seit der Annexion und dem Vorlauf zur Annexion der Krim sind eindeutig konsequent.
    Ich finde, man kann keinen Zweifel daran haben, dass sie sich strategisch in der Interessenlage auf die ganze Ukraine ausdehnen im Machtanspruch, und darum, glaube ich, müssen wir zur Kenntnis nehmen, wir können doch nicht immer nur reaktiv hinterherlaufen, sondern wir müssen nun auch Maßnahmen beschließen, die erstmalig fühlbar sind auf der Sanktionsebene gegen Putin und die auf der anderen Seite auch ebenso fühlbar sind in der Stabilisierung, der Unterstützung politisch und wirtschaftlich zugunsten der Ukraine.
    Armbrüster: Heißt das, Herr Röttgen, das ist jetzt ein richtiger Zeitpunkt, um wirklich harte wirtschaftliche Sanktionen gegen Moskau zu beschließen und nicht länger nur die gegen einzelne Personen oder Institutionen?
    Röttgen: Ich möchte mich nicht zu der genauen Art der Sanktionen äußern.
    Armbrüster: Aber darauf kommt es ja an!
    Röttgen: Es kommt, glaube ich, auf die Qualität an. Ich glaube, dass wir, um es technisch zu sagen, auf die dritte Stufe der Sanktionen nunmehr gehen müssen und dass es um fühlbare geht. Ich glaube, die bisherigen waren noch nicht wirklich fühlbar für Putin und für Moskau, was ich nicht kritisiere, aber feststelle, und dass es nun darum geht, dass fühlbare Sanktionen, die eine Auswirkung auch haben für das System, für Systemträger, also eine politisch-wirtschaftliche Dimension haben, dass die nun ergriffen werden, um deutlich zu machen, dass wir eine angemessene Antwort geben auf das, was Putin tut.
    Armbrüster: Das heißt eine deutliche Verschärfung der Sanktionen, wie wir sie bisher hatten?
    Röttgen: Klare Botschaft an Putin senden
    Röttgen: Ja, eine deutliche Verschärfung. Das ist ja die dritte Stufe. Das ist die Stufe, die höchste Stufe der Sanktionen, die in unserer Stufenfolge vorgesehen ist. Wie gesagt, ich will nicht zu technisch werden. Ich glaube, dass damit auch der Zugang zum Finanzmarkt etwa erfasst sein Muss, weil er der fühlbarste Bereich der Sanktionen ist. Meiner Einschätzung nach ist das notwendig, um politisch deutlich zu machen, dass der Westen einig ist, dass er geschlossen und entschlossen ist, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Das ist eine präventive Maßnahme, die ergriffen werden Muss. Ansonsten kann Putin möglicherweise nicht den Eindruck gewinnen, dass wir es wirklich ernst meinen, dass auch wir der Auffassung sind, dass Taten folgen müssen. Unsere Einschätzung ist, dass es um eine Verletzung der europäischen Friedensordnung geht, die nun weiter stattfindet und sich territorial immer weiter nach vorne vorrückt in Richtung der EU-Grenzen, der NATO-Grenzen, und darum müssen wir jetzt diese klare Botschaft an Putin senden. Der andere Teil der Botschaft ist eine klare Unterstützung der Ukraine. Putin will destabilisieren. Wir müssen und wir können politisch und wirtschaftlich stabilisieren.
    Armbrüster: Herr Röttgen, ich will noch mal ganz kurz zurückkommen auf die vier entführten Deutschen. Da gibt es ja einige Verwirrung. Diese vier Männer, ein Dolmetscher ist darunter, drei Bundeswehrangehörige, sind nicht etwa Teil der internationalen OSZE-Beobachtermission, über die wir immer reden, sondern es sind Bundeswehrsoldaten, die sich sozusagen neben der OSZE im Land aufhalten. Müssen wir nach dieser Entführung festhalten, die Entsendung dieser Männer und die entsprechende Vereinbarung zwischen Deutschland und der Ukraine, die war ein Fehler?
    Röttgen: Beobachter-Entsendung kein Fehler
    Röttgen: Nein, sie war kein Fehler. Sie sind ja nach internationalem Recht dort anwesend, um unangekündigte Beobachtungen zu machen über die militärische Situation. Sie sind mit internationalem Recht dort anwesend und die Anwesenheit von internationalen Beobachtern ist ein ganz wichtiger Beitrag dafür, dass auch diese Situation international bleibt.
    Armbrüster: Aber anders als die offizielle OSZE-Mission hat zu dieser Entsendung Russland nicht das Okay gegeben.
    Röttgen: Aber sie sind nach internationalem Recht dort. Sie waren an dieser Delegation nicht beteiligt. Bei den acht Leuten war kein Russe. Aber es war eine internationale oder ist eine internationale Delegation, die nach internationalem Recht Beobachtungen macht über die militärische Lage. Und dass wir die haben, das ist natürlich elementar. Es ist wichtig, dass ein internationales Engagement vor Ort dort stattfindet. Darum ist denjenigen, die dies tun, größter persönlicher Respekt zu zollen. Aber es ist auch die Pflicht der internationalen Gemeinschaft, das internationale Recht zur Anwendung zu bringen.
    Armbrüster: Und hätte man diese Männer stärker schützen müssen?
    Internationale Gemeinschaft darf nicht wegschauen
    Röttgen: Jetzt kann man immer "hätte, hätte" sagen. Ich habe auch nach dem Schutz gefragt. Nach meinen Informationen hat es Polizeischutz gegeben. Nun kann man sagen, war der Schutz ausreichend. Ich will jetzt hier nicht aus der Distanz Kritik üben über die technische Ausführung und Ausstattung. Das will ich mir nicht anmaßen. Jedenfalls finde ich es enorm wichtig und entscheidend, dass die internationale Gemeinschaft nicht weg schaut, sondern das internationale Recht auch operativ zur Anwendung bringt. Das ist es ja, wenn wir sagen, wir bringen Diplomatie und Außenpolitik zur Anwendung. Dann heißt das auch, dass in der Form solcher Delegationen, die über die militärische Lage sich ein Bild verschaffen, solche auch vor Ort sein müssen. Wenn wir das nicht täten, gerieten wir wirklich in eine Handlungsschwäche und in ein strategisches Vakuum, das wir nicht zulassen dürfen.
    Armbrüster: ... , sagt hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr Röttgen, für dieses Interview.
    Röttgen: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.