Birgid Becker: Zum Start der Sendung aber der Konflikt zwischen spanischer Zentralregierung und Katalonien. Es gibt weiter keine Signale der Entspannung. Im Gegenteil: Am Samstag könnte Madrid die Region unter Zwangsverwaltung stellen.
Warten also bis Samstag, warten auf die womöglich nächste Etappe des Konflikts. – Mitgehört hat der Chef der Außenhandelsabteilung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Guten Tag, Volker Treier.
Volker Treier: Guten Tag, Frau Becker.
Becker: Samstag womöglich die Grundlage für ein Verfahren, an dessen Ende eine Art Zwangsverwaltung für Katalonien stehen könnte. Größte Sorge der deutschen Unternehmen war ja bislang vor allem, dass es tatsächlich zur Abspaltung des Landesteils kommt. Ist Zwangsverwaltung jetzt die bessere Lösung?
Treier: Hoffentlich ist es der nächste Schritt, um wieder Normalität zu bekommen. Die deutschen Unternehmen haben ja in Katalonien viele wirtschaftliche Beziehungen und Katalonien ist wirtschaftsstark und ist für viele Unternehmen in ihren Wertschöpfungsketten ein Tor zu anderen Regionen und Ländern Europas und natürlich auch zu anderen Regionen Spaniens, das heißt integraler Bestandteil der Europäischen Union. Deswegen stellt die ganze Diskussion jetzt ein Fragezeichen unter dem Thema: Wie rechtssicher ist das? Kann man darauf vertrauen, dass Katalonien als Standort weiterhin die Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes behält? Bleibt es in Spanien und damit in der Europäischen Union? – Ob der nächste Schritt zu einer Zwangsverwaltung hier diese Rechtssicherheit erhöht, das mag ich bezweifeln.
"Katalonien hat eine große wirtschaftliche Bedeutung"
Becker: Katalonien ist, Sie haben es umrissen, in Spanien die wirtschaftlich wichtigste Region für Deutschland. Knapp 1.000 deutsche Firmen haben eine Niederlassung dort. Können Sie das ein bisschen umreißen? Um wen geht es? Einen kann ich selber beisteuern. Gerade heute hat Trumpf, der Maschinenbauer aus Ditzingen bei Stuttgart, als er übers Geschäft berichtet hat, auch gesagt, dass Katalonien zu den Bereichen gehört, die als Risiko fürs Unternehmen benannt wurden. Um wen geht’s da?
Treier: Die Risikoeinschätzung bei den Unternehmen, die steigt. Und Sie sagen es: Es sind rund 1.000 deutsche Tochtergesellschaften dort tätig. Die haben annähernd 100.000 Beschäftigte in der Region. Und das aus dem Grund, weil Katalonien selbst auch für spanische Verhältnisse, aber auch im europäischen Maßstab wirtschaftsstark ist, dort auch Kunden sitzen, aber von da aus auch logistisch andere Standorte gut zu erreichen sind, wenn man nur mal die Häfen sieht.
Insofern sind dort Handelsunternehmen, dort sind Logistikbetriebe, dort sind aber auch Industriebetriebe oder Tochtergesellschaften bekannter deutscher Industrieunternehmen, die in signifikantem Ausmaß investiert haben, aus der chemischen Industrie, der Pharmazie, der Medizintechnik oder auch aus dem Kfz-Bau. Fast die Breite der deutschen Industrie ist auch in Katalonien mit vielen ausländischen Direktinvestitionen engagiert. Und, um mal eine Zahl zu nennen, mit einem Handelsvolumen von 22 Milliarden Euro, das Deutschland mit Katalonien hat, bewegt sich das Land immerhin in der Rangliste zwischen Norwegen und Südkorea. Katalonien hat eine große wirtschaftliche Bedeutung.
"Die kurzfristigen Wirkungen sind schon schwerwiegend"
Becker: Nun scheint Madrid ja einiges, wenn nicht alles daran zu liegen, dass es bei der Einheit des Landes bleibt. Aber auch das hat ja einen hohen Preis. Direkt nach dem Referendum wurde zum Generalstreik aufgerufen, der das Land dann ja auch weitgehend lahmgelegt hat – bis zum Samstag, wir haben es eben gehört. Da wird es auch Proteste geben. Wie sehr ist Kataloniens Wirtschaftsstandort beeinträchtigt oder auch schon jetzt beeinträchtigt, wenn es dort zu anhaltenden Unruhen kommt?
Treier: Wir müssen unterscheiden zwischen den kurzfristigen Wirkungen und den befürchteten längerfristigen Wirkungen. Die kurzfristigen Wirkungen sind schon schwerwiegend, weil wir ja in Gesamtspanien eine wirtschaftliche Erholung hatten, die dort dringend notwendig war, nachdem man nach der Finanzmarktkrise selbst ja eine Immobilienkrise erlebt hat und Spanien ja eines der Euro-Krisenländer geworden ist. Dabei hat Katalonien immer eher auch eine stabilisierende Rolle gespielt, wenn es jetzt galt, aus der Krise herauszuwachsen. Insofern haben Generalstreiks und mögliche Unruhen jetzt das Zeug dazu, diesen Aufschwung, den Spanien erlebt, mindestens abzuflachen, wenn nicht auch abzuwürgen. Das wäre schon schlimm genug.
Aber die längerfristigen Wirkungen, die sind noch schlimmer, die wirken sich noch nicht kurzfristig aus. Kurzfristig bedeutet im Moment, dass die Verunsicherung darüber, ob Katalonien weiterhin ein Wirtschaftsraum innerhalb der Europäischen Union bleibt, dass die Unternehmen sagen, es gibt bekannte Beispiele, die jetzt schon ihren Firmensitz verlegt haben. Das sind spanische Unternehmen, die das getan haben. Deutsche Unternehmen sind mir da nicht bekannt. Aber Investitionen, da werden die Unternehmen zurückhaltender, jetzt eine neue Investition zu machen, zu modernisieren oder gar neue Investitionspläne für den Standort Katalonien neu aufzustellen.
Das wiederum hängt damit zusammen, dass die Befürchtung längerfristig ist, dass Katalonien aus diesem Streit unabhängig rausgeht, aber nicht mehr als Teil der Europäischen Union und dann aus wirtschaftlicher Sicht Binnenmarkt ist, und das wäre dann ganz schlecht, weil dadurch nicht nur ein wichtiger Baustein aus dem Binnenmarkt rausfallen würde, sondern möglicherweise ein negatives Beispiel für andere Länder oder Regionen folgen könnte. Das will man sich nicht vorstellen, aber das steht natürlich jetzt so als Teufel an die Wand gemalt.
Blick auf Bestrebungen in der Lombardei und Venetien
Becker: Stellen wir es uns trotzdem kurz zum Schluss noch vor. Katalonien ist ja im Moment die konfliktreichste, aber nicht die einzige Region in Europa mit Abspaltungstendenzen. Die italienischen Regionen Lombardei und Venetien rufen am Sonntag zu Referenden auf, um mehr Autonomie von Rom zu bekommen. Die Lombardei, reichste Region in Italien, will, dass fast alle wichtigen Themen künftig regional entschieden werden, von der Technologie über die Umwelt bis zur Arbeitsmarktpolitik. Was für Konsequenzen müssen denn deutsche Unternehmen für ihre Standortentscheidungen ziehen, wenn es in Europa zu solchen Fliegkräften kommt?
Treier: Das Gute an der aktuellen Entwicklung ist, dass die Regionen alle sich zu Europa bekennen, also alle eine hohe Wertschätzung für auch die wirtschaftliche und natürlich die politische Bedeutung ihrer Rolle in Europa haben. Und das gilt ja auch für Katalonien. Gleichwohl geht das im Fall Kataloniens so nicht auf, weil da es laut Verfassung eine solche Bestrebung ohne die Zustimmung der Zentralregierung nicht geben kann und die Europäische Union sozusagen da wie das Kaninchen auf die Schlange schauen muss und nur zugucken kann.
In Italien halte ich die Diskussion für eine andere, weil da ist es eine Diskussion, die zwischen Regionalregionen und Zentralregierung in einem vergleichsweise vernünftigen Maße geführt wird und nicht darüber spekuliert werden muss, ob Venetien oder die Lombardei aus der Europäischen Union beziehungsweise erst mal aus dem italienischen Staatsverbund rausbrechen wollen. Es geht um eine Neuverteilung von Kompetenzen.
Becker: Danke! – Volker Treier war das, der Chef der Außenhandelssparte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Einen schönen Tag!
Treier: Gerne! Ihnen auch!
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