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Krise in Venezuela
Gesundheitssystem ohne Seife und Klopapier

Das kostenlose Gesundheitssystem Venezuelas war einmal vorbildlich. Doch heute mangelt es in den Krankenhäusern des politisch unruhigen Ölexportlands an allem, sogar an der Hygiene. Die Regierung um Nicolás Maduro leugnet das Problem - und lehnt internationale Hilfe ab.

Von Burkhard Birke |
    Medizinisches Gerät steht ungenutzt im Hospital de Ninos J.M. de los Rios.
    Steht ungenutzt herum: Brutkästen für Frühchen und anderes medizinisches Gerät im Hospital de Ninos J.M. de los Rios. Das venezolanische Gesundheitssystem ist in einem erbarmungswürdigen Zustand. (Deutschlandradio / Burkhard Birke)
    Einst war es ein Aushängeschild für medizinischen Fortschritt in Venezuela: Jetzt ist das Hospital de Ninos J.M. de los Rios zum Paradebeispiel für Krise und Zerfall geworden.
    Die Bettenzahl ist auf ein Drittel der ursprünglichen Kapazität geschrumpft, erzählt einer der dort tätigen Ärzte, auch wenn ihn die Kritik den Job kosten könnte. Aber die Angst ist der Verzweiflung gewichen. Wie bei vielen Venezolanern. Wie ein Wasserfall sprudelt es aus ihm heraus. Es mangelt förmlich an allem, sagt er:
    Desinfektionsmittel, Seife, Klopapier - nicht immer da
    "Der Personalmangel sowohl bei Ärzten als auch bei Pflegern ist ein Riesenproblem, genau wie die Ausstattung. Unser medizinisches Gerät, alles, was wir für die Behandlung benötigen, sollte regelmäßig, in ausreichender Menge und guter Qualität bereitgestellt werden: Aber weder hier noch in irgendeinem Krankenhaus Venezuelas ist das der Fall."
    Auf den Toiletten gibt es nur selten Klopapier oder Seife, Desinfektionsmittel stehen selbst Ärzten nicht immer zur Verfügung, teilweise müssen die Patienten ihr eigenes Essen mitbringen. Ganze Räume sind gefüllt mit ungenutzten Brutkästen, Betten, medizinischen Geräten. Der gerade laufende Umbau, der zweite binnen vier Jahre nach Austritt von Abwasser durch die Wände, ist da nur Teil der Erklärung. Auf der Notaufnahme finden maximal acht Patienten Platz – früher waren es doppelt so viele. Nur zwei Brutkästen auf der Neugeborenen-Station funktionieren, einer in einem Raum ohne Klimatisierung. Einst konnten hier 18 Frühgeborene behandelt werden.
    Kleinkinder- und Müttersterblichkeit ist drastisch gestiegen
    Offizielle Statistiken zu den Folgen der Missstände gibt es nur spärlich. Immerhin veröffentlichte das Gesundheitsministerium für 2016 die Zahl von 11.466 verstorbenen Kleinkindern unter einem Jahr in Venezuela: Ein Anstieg um fast ein Drittel. Die Müttersterblichkeit stieg sogar um zwei Drittel. Genaue Vergleichszahlen werden nicht geliefert.
    Das Hospital de Ninos in Caracas ist das einzige im Land, das Dialyse für Kinder mit weniger als 20 Kilo Körpergewicht anbietet. "Viele Kinder werden allerdings bei der Dialyse durch einen resistenten Keim infiziert", sagt der Arzt. "Das wurde in Untersuchungen nachgewiesen. Zuletzt sind vier Kinder daran gestorben."
    Unsaubere Dialysegeräte: Nierenversagen oder Keiminfektion
    Zwar wurden die Dialysegeräte unlängst endlich einmal wieder gereinigt, so der Arzt weiter, aber die Desinfektion der Tanks fand nicht statt. Entweder an Nierenversagen oder an tödlichen Keimen sterben? Zahlreiche kleine – und auch große Patienten in anderen Krankenhäusern sterben an Medikamentenmangel oder Unterernährung.
    "Etwa 60 Prozent der Lebensmittel fehlen und die Medikamente für Patienten mit chronischen Erkrankungen teilweise zu 90 Prozent. Präparate für Nierenkranke, Personen mit Bluthochdruck oder Herzerkrankungen sind so gut wie gar nicht aufzutreiben", schätzt der Soziologe Trino Márquez von der Universidad Central.
    Gratis-Gesundheitssystem durch Ölreichtum, doch Ölpreis fällt
    Grundsätzlich ist die Gesundheitsversorgung in Venezuela gratis. Ein gigantischer Fortschritt im Verhältnis zu den Nachbarländern. Zu verdanken haben das die Venezulaner vor allem ihrem Ölreichtum. Aber die dramatische Devisenknappheit im Zuge des Ölpreisverfalls hat gerade im Gesundheitssektor verheerende Spuren hinterlassen.
    Krankheiten wie Diphterie, die man vor 24 Jahren ausgerottet hatte, tauchen plötzlich wieder auf. 324 Fälle wurden letztes Jahr registriert. Auch Malaria grassiert in einigen Gebieten Venezuelas wieder enorm.
    "Unsere Regierung hat viel in Gesundheit investiert"
    All diese Symptome des Verfalls wollen Verteidiger der bolivarischen Revolution allerdings nicht wahrhaben. Elisabeth García gehört dem obersten Frauengremium im Land an:
    "Ich verstehe nicht, weshalb immer wieder behauptet wird, es gäbe eine humanitäre Krise in Venezuela. Das ist die Meinung, die gerne im Ausland verbreitet wird. Unsere revolutionäre Regierung hat viel in Gesundheit investiert, nicht nur in Krankenhäuser, sondern ganz generell. Wir haben viele Ärzte ausgebildet. Die Patienten werden gratis behandelt. Sie müssen weder für Gesundheit noch Bildung bezahlen."
    Humanitäre Lieferungen - abgelehnt
    Alles fake news, Medienkampagnen gegen Venezuela? Mit diesem Argument wird auch von höchster offizieller Stelle immer wieder die Öffnung des Landes für humanitäre Lieferungen abgeschmettert.