Dirk-Oliver Heckmann: Der selbst ernannte Übergangspräsident Guaidó in Venezuela, er hatte alles auf eine Karte gesetzt. Nachdem sich sein Lager und das des amtierenden Präsidenten Maduro wochenlang gegenseitig zu blockieren schien, ging der Oppositionsführer jetzt in die Offensive und behauptete, das Militär sei zu ihm übergelaufen. Der Oppositionspolitiker Lopez, der seit Jahren im Hausarrest sitzt, ist nach eigenen Angaben von Militärs befreit worden und befindet sich jetzt mit seiner Familie in der spanischen Botschaft. Guaidó selbst hat jetzt zu einer Serie von Streiks aufgerufen.
Maduro spricht von einem Putschversuch einer kleinen Gruppe von Militärs, der gescheitert sei. Hat sich Guaidó verspekuliert? Das habe ich Jürgen Hardt gefragt von der CDU. Er ist außenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion.
Maduro spricht von einem Putschversuch einer kleinen Gruppe von Militärs, der gescheitert sei. Hat sich Guaidó verspekuliert? Das habe ich Jürgen Hardt gefragt von der CDU. Er ist außenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion.
Jürgen Hardt: Wir haben ja in den letzten Wochen gesehen, dass das Volk auf den Straßen ganz klar hinter dem Parlamentspräsidenten steht, der nach meiner Auffassung auch der legitime, rechtmäßige Interimspräsident des Landes ist. Es gibt in der Verfassung des Landes eine entsprechende Vorschrift, auf die sich Juan Guaidó berufen kann. Maduro bietet diesem Land keine Perspektive und keine Zukunft und insbesondere auch nicht für das Militär, denn die Angehörigen der Streitkräfte leiden ja genauso unter der unzureichenden Versorgungslage im Lande, unter der mangelnden medizinischen Versorgung, wie das übrige Volk, sodass ich glaube, dass zwar der Durchbruch für Guaidó noch nicht gelungen ist, dass aber letzten Endes der lange Atem der Proteste und auch der jetzt wieder vorgesehenen Proteste dazu führt, dass Guaidó am Ende den Weg für freie Wahlen freimacht.
"Maduro hat das Land heruntergewirtschaftet"
Heckmann: Aber ist das nicht eine viel zu optimistische Prognose? Denn Guaidó behauptet ja, das Militär stünde auf seiner Seite. Aber der Oppositionspolitiker Lopez, der nach eigenen Angaben von Soldaten aus dem Hausarrest befreit wurde, der befindet sich mittlerweile in der spanischen Botschaft. Das sieht nicht danach aus, als hätte die Opposition das Militär auf ihrer Seite.
Hardt: Die Machtverhältnisse im Lande sind ganz klar noch so, dass Diktator Maduro das Militär kontrolliert und damit auch die Macht im Lande ausübt. Allerdings werden sich seine Unterstützer im Militär – und das sind viele Generale, die von dem korrupten System enorm profitieren, die von den Öleinnahmen profitieren -, diese Generale werden sich fragen müssen, ob das eine Zukunftsperspektive für sie ist. Denn Maduro hat das Land ja nicht nur mit eiserner Faust als Diktator regiert, sondern er hat es auch heruntergewirtschaftet und hat die Ressourcen des Landes, das eines der reichsten Länder der Erde sein könnte aufgrund seines Ölvorkommens, die Infrastruktur des Landes total runtergewirtschaftet.
Deswegen fehlt, glaube ich, der Glanz, den ein Diktator braucht, um sich dauerhaft an der Macht zu halten. Wir haben in den letzten Wochen immer wieder vermutet, dass Maduro sich gegen Guaidó durchsetzt und dass das Militär Schluss macht mit diesen Protesten und mit diesem Aufstand. In Wirklichkeit haben wir in den letzten Wochen doch gesehen, dass die Basis Guaidós auf der Straße stabil ist und auch im Parlament. Die Befreiung von Herrn Lopez, einem Oppositionspolitiker, ist sicherlich auch ein Signal an die Oppositionskräfte im Parlament, dass Guaidó entschlossen ist, diese geschlossen beieinander zu halten und sich nicht auseinanderdividieren lässt. Die Opposition steht geschlossen gegen Maduro. Das ist das große Verdienst von Guaidó.
"Die Chancen von Guaidó steigen"
Heckmann: Sie sagen, die Bevölkerung steht aufseiten Guaidós. Man muss vielleicht dazu sagen, ein Teil der Bevölkerung, nicht das ganze Land ist auf der Straße. Und was das Militär angeht – ich komme noch mal darauf zurück -, da ist Guaidó keinen Meter weitergekommen. Das Militär steht weiterhin fest an der Seite Maduros und es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Seiten gewechselt würden. Im Gegenteil!
Hardt: Ich sehe schon auch Erosionsprozesse beim Militär. Richtig ist natürlich: Solange das Militär nicht die Waffen gegenüber den Demonstranten auf der Straße streckt und sich an die Seite des Volkes stellt, wird Maduro und seine Machtklicke sich auch weiter an der Macht halten können. Es gibt ja massive Unterstützung leider aus Russland. Die einzigen fremden Truppen, von denen wir wissen, die sich im Lande befinden, sind russische Soldaten, die mit zwei Flugzeugen schon vor einiger Zeit ins Land geschafft wurden. Das sind natürlich alles beunruhigende Signale.
Aber ich füge noch mal hinzu: Es gibt letztlich auch für die Unterstützer Maduros große Fragezeichen dahinter, ob Maduro in der Art und Weise, wie er das Land geführt hat, überhaupt eine Zukunft für das Land bietet. Auch eine Diktatur, auch ein solcher Machtapparat braucht eine wirtschaftliche, eine ökonomische Basis zum Überleben, und die ist erodiert im Lande aufgrund von massiver Misswirtschaft und Korruption. Insofern fehlt die Perspektive auch für die Anhänger Maduros, dass Maduro das Land in eine gute Zukunft führen könnte, und das lässt meines Erachtens schon von Tag zu Tag die Chancen Guaidós steigen. Wir werden es abwarten und ich setze vor allem darauf, dass wir möglichst keine Gewalt sehen, weder bei den Demonstranten, noch auf der Seite der Polizei und der Militärkräfte. Das ist das wichtigste, dass der Protest friedlich bleibt und dass wir keine gewaltsame Entwicklung im Lande erleben.
Hardt verurteilt russische Einmischung vor Ort
Heckmann: Wobei die Gewalt jetzt jeden Tag zu sehen ist. Es gibt jetzt auch Berichte über eine Tote in Caracas. – Herr Hardt, es wird immer wieder vor diesem Hintergrund von einer Militärintervention der USA spekuliert. Der amerikanische Außenminister Pompeo hat gerade gestern noch mal gesagt, militärisches Handeln sei möglich, wenn es notwendig wird, werden wir das tun. Allerdings werde man alles tun, um Gewalt zu vermeiden. – Wie groß ist die Gefahr, dass das Ganze doch noch in einer militärischen Auseinandersetzung mündet, gerade vor dem Hintergrund, dass auch Russland, wie Sie gerade schon sagten, involviert ist?
Hardt: Ich glaube, das wäre Munition auf die Mühlen der Gegner Guaidós, wenn militärische Hilfe von außen, insbesondere nicht aus der Nachbarschaft, sondern von weiter wegkäme. Ich glaube, dass die Kraft im Land groß genug ist, dieses Maduro-Regime aus eigener Kraft abzuschütteln. Ich sehe allerdings schon, dass die Nachbarländer Venezuelas, die ja unter massiven Flüchtlingszahlen leiden und deren Wirtschaft sich ganz anders entfalten könnte, wenn Venezuela sich ökonomisch positiv entwickeln würde, dass man dort natürlich ein Interesse auch hat, einen Beitrag zu liefern. Deswegen die humanitäre Hilfe, die über diese Länder nach Venezuela hineingeht. Ich würde mir aber auf jeden Fall wünschen, dass wir dem Volk in Venezuela die Chance und das Gefühl geben, dieses Maduro-Regime aus eigener Kraft abzuschütteln, und ich verurteile die russische Einmischung auch durch Personen vor Ort und ich würde mir wünschen, wenn auch andere sich entsprechend zurückhalten.
"Sanktionen gegen Maduro-Regime und die Elite verschärfen"
Heckmann: Das heißt, Sie halten das schon für eine reale Gefahr, dass die USA wirklich über eine Militärintervention nachdenken?
Hardt: Was heißt reale Gefahr? Wenn solche Äußerungen entweder aus dem Weißen Haus oder aus dem Pentagon kommen, so wie Sie ja gerade Pompeo zitiert haben, dann muss man das schon ernst nehmen. Allerdings glaube ich, dass im Augenblick natürlich auch viel hinter den Kulissen gearbeitet wird, um dem Prozess Guaidó zum Erfolg zu verhelfen, und dass vielleicht das, was in der Öffentlichkeit gesagt wird, sich gar nicht in realen Überlegungen widerspiegelt. Ich glaube, es wäre schon gut, wenn wir auf den Prozess im Land setzen, wenn wir die Sanktionen gegen das Maduro-Regime und gegen die Elite, die dort mit illegalen Ölgeschäften Geld verdienen, wenn wir die Sanktionen weiter verschärfen. Auch die Europäische Union sollte darüber nachdenken. Der deutsche Bundesaußenminister hat das gestern auch gefordert. Das ist die Form des Druckes, die wir ausüben sollten. Militärisches Eingreifen von außen würde neue Karten ins Spiel bringen, von denen wir nicht wissen, wie sie am Ende sich in den Händen der Akteure auswirken.
Audio-Beitrag zur Krise in Venezuela:
Venezuela - Neue Antiregierungsproteste am Tag der Arbeit (03:22 )
Venezuela - Neue Antiregierungsproteste am Tag der Arbeit (03:22 )
Heckmann: Sie haben recht: Auch Heiko Maas bringt neue Sanktionen ins Spiel. Darüber müsse man beraten, auf europäischer Ebene auch. Die Frage ist bloß: Bisher haben ja die bisherigen Sanktionen auch nichts gebracht. Weshalb sollte das in Zukunft anders sein?
Hardt: Es geht natürlich darum, dass die Sanktionen nicht die Bevölkerung treffen im Lande, sondern dass wir ganz konkret diejenigen in den Blick nehmen, die vom Maduro-Regime auf korrupte Weise profitieren. Das sind diejenigen, auf deren Konten das Geld der Ölerlöse des Landes landet. Das geht nicht in die Staatskasse und nicht in Schulen und Krankenhäuser, sondern das geht ganz konkret in die Taschen, man sagt, von 3.000 korrupten Generalen und anderen hohen Bediensteten des Regimes. Wenn wir deren Konten wirksam stilllegen und wenn wir deren Zugang zu internationalen Finanzmärkten blockieren, sodass sie wissen, dass sie dieses Geld außerhalb Venezuelas nicht einsetzen können, dass sie mit diesen Kreditkarten keine Käufe tätigen können in Amerika oder in Europa oder anderswo, dann, glaube ich, haben wir schon ein massives Druckmittel in der Hand. Und da glaube ich, dass man noch stärker genau dahin gucken muss, wo ist das Geld, wo liegt das Geld, bei welchen Banken liegt das Geld, welche Konten kann man sperren, welchen Zugang kann man sperren. Das sind in erster Linie sogenannte Personensanktionen, die da, glaube ich, wirksam sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.