So konnte nur eine Cello spielen: Die früh verstorbene Ausnahme-Musikerin Jacqueline du Pré. Sie ist das Vorbild von Isabell, der Hauptfigur in Kristine Bilkaus Roman "Die Glücklichen". Isabell ist als Cellistin in einem Hamburger Musical-Orchester beschäftigt, fürchtet sich aber zunehmend vor den abendlichen Auftritten. Umso strahlender und entrückter erscheint ihr da Jacqueline du Pré, wie die Autorin erklärt:
"Die ist eben einerseits ein Ideal auch in dem Sinne, dass sie, wenn man sie beobachtet, so natürlich und intuitiv spielt und das ist ja das, was meine Figur sich wünschen würde, während sie halt eher sehr verkopft ist und sich davon gerne freimachen würde. Ich hatte eigentlich ziemlich schnell so dieses Bild im Kopf von einer Frau, die ein Streichinstrument spielt, aber eben ein Instrument wie das Cello, was ihr so rein physisch schon gesehen ebenbürtig ist. Also ein Instrument, was ihr Verbündeter sein kann oder eben halt auch ihr Feind, und da war für mich das Cello von Anfang an einfach im Kopf, und dann habe ich mich damit beschäftigt, warum Cello, was bedeutet das Cello eben auch für ein Orchester oder für ein Quartett, und dann habe ich das so nach und nach herausgefunden."
Überall lauern Gefahren
Seit Kurzem zittern Isabells Hände beim Musizieren im Ensemble. Das einst so geliebte Cello scheint sich unmerklich in ihren Feind zu verwandeln. Also bemüht sich Isabell, nicht an ihre Hände zu denken, was genau das Gegenteil bewirkt: Nun achtet sie akribisch auf jeden ihrer Handgriffe, als würde sie eine Fremde beobachten. Es sind solche kleinen Akte der Depersonalisierung, die in Kristine Bilkaus Debütroman für eindrückliche Irritationen sorgen. Denn eigentlich müsste Isabell zu den titelgebenden Glücklichen gehören: Wie ihr Mann Georg, ein Zeitungsredakteur, hat sie ihren Wunschberuf ergriffen. Das Paar lebt mit dem kleinen Sohn Matti in einer schönen, weitläufigen Altbauwohnung in einem guten Viertel Hamburgs. Doch durch die Mutterschaft ist Isabell dünnhäutiger und ängstlicher geworden. Überall wittert sie Gefahren für ihr Kind: Wehe, wenn Schwiegermutter Erika es wagen sollte, in einer Schwade von Kölnischwasser den Enkel mit ungesunden Süßigkeiten zu füttern.
"Sie hat so einen selbstgerechten Blick darauf und sie hat halt auch Angst vor dem Alter, weil sie sich das Alter nicht vorstellen kann. Sie lebt ja mit dem Gefühl, und Georg auch, dass ihre aktuelle Jobsituation vielleicht gerade noch so funktioniert, aber bald auch schon nicht mehr. Also bei ihr ist es die Digitalisierung, sie erlebt, wie Orchester schrumpfen, weil Musikerstimmen eben auch digital abgespielt werden können, bei ihm ist es die Medienkrise. Das heißt, sie leben mit dem Selbstverständnis, dass das alles Vorläufigkeit nur noch hat und sie nicht genau wissen, wie wird es denn in zwanzig Jahren sein. Und wenn man nicht genau weiß, wie es in zwanzig Jahren sein wird, schafft das Unsicherheit, und das lebt dann Erika in einer Art und Weise vor, wie Isabell das jetzt gerade für ihr Gefühl nicht gebrauchen kann", so Kristine Bilkau.
Lebensmodell der Elterngeneration ist ungültig geworden
Aus Isabells negativen Vorahnungen wird allmählich Gewissheit: Durch ihr Handzittern wird sie für das Orchester untragbar und damit freigestellt, und auch Georg verliert seine Stelle. Das Lebensmodell der Elterngeneration ist für Menschen um die dreißig ungültig geworden, die altbekannten Sicherheiten gibt es nicht mehr. Vielleicht rührt daher Isabells untergründiger Groll gegen ihre sparsame Schwiegermutter, die ihr Leben lang ein Elektrogeschäft geführt hat.
"Da ist zum Beispiel auch der Geruch von Erika, also in Erikas Laden riecht es immer eigenartig, findet Isabell, und am Ende kann sie diesen Geruch akzeptieren, das steht zum Beispiel dafür, dass sie sich dem [...] halt dann auch so stellt und dann plötzlich was ganz anderes darin sehen kann", sagt Kristine Bilkau.
Während Isabell immer reizbarer wird, zieht sich ihr Mann Georg in das Schweigen und an den Computer zurück, wo er manisch Immobilienangebote studiert. Die beiden streiten nie um Grundsätzliches, sondern um klitzekleine Konsumgüter wie handgefertigte Zitronentörtchen, die sie sich als Arbeitslose nicht mehr leisten können. Ging es Kristine Bilkau darum, das seismografische Porträt einer ängstlichen Generation zu entwerfen?
"Würde ich schon sagen", sagt Kristine Bilkau. "Ich bin wirklich eher intuitiv an das Thema gegangen. Also ich hatte das Gefühl, 2010 hat sich das für mich verdichtet, also auch in meinem Umfeld. Ich komme ja aus der Großstadt, ich habe 2010 ein kleines Kind gehabt, ich habe mich in diesem Milieu bewegt und ich hatte das Gefühl, dass das so ein Thema wurde, also Job, aber auch Wohnen, Immobilien, zusammenbrechende Kapitalmärkte, dass das nicht mehr einfach nur so sachliche politische Themen waren, die so besprochen wurden, sondern dass die Leute das alles eben plötzlich so ganz direkt auf sich bezogen haben und dass das eine ängstliche Generation ist, das hätte ich da jetzt noch gar nicht so gesagt, aber interessanterweise gab es jetzt ja dieses Buch von Heinz Bude, dem Soziologen, der genau das so analysiert hat und der das im Prinzip ja parallel zu mir wahrscheinlich geschrieben hat."
Zwei neurotische Materialisten fürchten sich vor der Welt
Es ist bedauerlich, dass dieser so detailreiche, exakt gearbeitete Text mit geradezu hanseatischer Distanziertheit bei eben diesen Details verharrt. "Die Glücklichen" handelt von zwei sensiblen bis neurotischen Materialisten, die in ihrer mit Bauplanen verhängten, längst zu teuren Wohnung sitzen und sich vor der Welt fürchten. Aber machen sie durch die Erosion ihrer wirtschaftlichen Lage tatsächlich eine Wandlung durch, hin zu etwas weniger Selbstgerechtigkeit? Die Autorin jedenfalls gönnt ihren Protagonisten einen versöhnlichen Schluss.
"Deswegen habe ich auch den Titel gewählt "Die Glücklichen", weil das war für mich so ein bisschen wie ein Dach über der Geschichte, das ich selber als Autorin setze, dass ich sage, das ist ambivalent, also man kann sich natürlich als Leser selber fragen, sind das wirklich die Glücklichen, aber man kann es auch ebenso nehmen, dass sie die Glücklichen sind und eine Weile brauchten, um es wenigstens für einen Moment mal zu erkennen."
Kristine Bilkau: Die Glücklichen. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2015. 304 Seiten, 19,99 Euro.