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Kriterien für die Impfstoffverteilung
"Das Alter allein wird nicht reichen"

Bei der Frage danach, welche Personengruppen als erste gegen COVID-19 geimpft werden, sei vor allem eine klare Kommunikation wichtig, sagte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, im Dlf. Hausärzte könnten diese Priorisierung nicht vornehmen.

Ulrich Weigeldt im Gespräch mit Friedbert Meurer |
Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt (26.5.2014).
"Wenn die Zulassung da ist, würde ich den Risikopersonen auf jeden Fall raten, sich impfen zu lassen", sagte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, im Dlf. (dpa / picture alliance / Marius Becker)
Noch gibt es bei uns keinen zugelassenen Impfstoff gegen den COVID-19-Erreger, doch letzte Meldungen über das Zwischenergebnis der Studie von Biontech und Pfizer klingen vielversprechend. Allerdings: Selbst wenn bald ein Impfstoff da sein sollte, werde dieser in den ersten Wochen und Monaten nicht für alle, die geimpft werden wollen, ausreichen, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Deswegen müsse priorisiert werden. Hochrisikopatienten und ältere Menschen sollen demnach zuerst drankommen.
Wichtig seien vor allem "klare staatliche und gut kommunizierte Regelungen" darüber, wer den Impfstoff wann bekommen werde, sagte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzte-Verbandes, im Dlf. Diese Aufgabe könnten er und seine Kolleginnen und Kollegen nicht in ihren Praxen übernehmen. Wenn die Zulassung für einen Impfstoff da ist, würde er den Risikopersonen auf jeden Fall raten, sich impfen zu lassen. "Sie schützen ja nicht nur sich selbst; sie schützen ja auch die anderen."
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Friedbert Meurer: Haben Sie den Eindruck, die Hausärzte werden schon gestürmt von ihren Patienten mit Fragen, wann es endlich losgeht?
Ulrich Weigeldt: Das wird jetzt kommen. Ich glaube, dazu ist die Nachricht noch ein bisschen frisch. Aber gestürmt werden die Praxen sowieso und das liegt im Wesentlichen daran, dass wir relativ schnell sich ändernde und in der Regel unklare und nicht gut kommunizierte Regelungen haben. Deswegen haben wir jetzt erst mal die Debatten über die Tests gehabt, wer kriegt wann welchen Test, was gerade für unsere Mitarbeiter*innen im Moment einen enormen Stress auslöst.
Meurer: Es gibt im Moment einen riesen Andrang in den Arztpraxen, weil alle irgendwie wissen wollen, was kann ich machen, wie geht es mir, kann ich mich bei Ihnen testen?
Weigeldt: Richtig. Diesen Andrang gibt es. Der andere Andrang ist leider weniger, dass wir die Sorge haben, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen sich doch jetzt wieder scheuen, in die Praxis zu kommen, und wir uns darum kümmern müssen, dass sich diese Krankheiten nicht verschlechtern, die häufig ja nicht weh tun. Man merkt es nicht direkt und dann sagt man, ach, dann spare ich mir den Arztbesuch. Das ist auch nicht ungefährlich. Das darf man vielleicht nie außer Acht lassen, dass alle anderen Patienten ja nicht deswegen gesund sind und die Krankheiten verschwunden sind. Aber in der Tat sind diese Diskussionen teilweise ermüdend, weil die Menschen es auch nicht immer verstehen. Deswegen fordern wir langfristigere Strategien und eine bessere und klarere Kommunikation und nicht so ein wirres Hoppladihopp.
"Das muss klar geregelt sein"
Meurer: Wenn das schon jetzt so kompliziert ist oder hoppladihopp, wie Sie das beschreiben, wäre es den Hausärzten am liebsten, sie hätten mit dem Impfen in den nächsten Monaten überhaupt nichts zu tun?
Weigeldt: Na ja, das glaube ich nicht. Da werden wir schon damit zu tun haben. Aber was auch da von uns gefordert wird, passt zu dem, was ich sagte: Wir brauchen da klare staatliche und gut kommunizierte Regelungen, wer bekommt eine Impfung in der ersten Phase – es sind jetzt ja drei Phasen dargestellt worden -, wer bekommt sie nicht. Diese Aufgabe können wir nicht in der Praxis übernehmen, die sogenannte Priorisierung in der Praxis durchzuführen, wo dann die Menschen Schlange stehen und sagen, ich möchte gerne eine Impfung haben, und wir beziehungsweise auch die Mitarbeiter*innen müssen dann sagen, Sie kriegen eine, Sie keine. Das ist, glaube ich, etwas, was wir nicht aushalten können. Das muss klar geregelt sein.
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Meurer: Wenn die Definition das Alter wäre, ist das ja eine ziemlich einfache Sache: Sie sind über 60, 70, 80, und dann ergibt sich das von selbst, wer jetzt geimpft werden darf.
Weigeldt: Wenn das dann so ist. Aber Sie können sich auch gut vorstellen, dass es natürlich wie immer im Leben auch Ausnahmen gibt und jemand sagt, ich bin zwar jetzt nicht in der Altersgruppe, aber ich habe die und die Krankheiten und ich müsste doch und meine Tante hat und mein Onkel auch. Das sind Diskussionen, die dennoch sich ergeben, auch wenn man sagt, das Alter ist maßgeblich. Das Alter allein wird nicht reichen, sondern man muss, glaube ich, da klar kommunizieren, wer das bekommt, und die Frage ist, ob immer dieser Weg gegangen werden muss. Was gar nicht geht, dass wir dann anfangen müssen, Bescheinigungen auszustellen für die Menschen, die sich vorher in der Termin-Service-Stelle einen Termin beim Hausarzt suchen, um dann irgendwann ins Impfzentrum zu gehen. Wenn ich klare Regeln habe, kann ich natürlich auch im Impfzentrum feststellen – da kann man direkt hingehen und sagen, ich bin 65; nehmen wir das mal an, das wird die Altersgrenze sein. Dann gehe ich ins Impfzentrum, zeige meinen Ausweis, bin 65, werde geimpft und fertig. Da brauche ich nicht irgendwo noch andere Termine wahrnehmen. Das kann man einfach regeln.
"Erstens würde ich grundsätzlich zur Impfung raten"
Meurer: Würden Sie denjenigen, die zu keiner Risikogruppe gehören, die auch deutlich jünger als 60 oder 50 sind, raten, haltet ihr mal den Ball flach und haltet euch unbedingt zurück am Anfang?
Weigeldt: Jein, weil wir müssen natürlich berücksichtigen: Wir haben einmal die Frage des Alters. Das ist ja relativ eindeutig, auch nach den Zahlen der Risikosituation, weswegen ich es gut fände, wenn jetzt zum Beispiel wie in Bremen oder in Tübingen FFP2-Masken über 65-Jährige vom Staat bekommen in einer bestimmten Kontingentierung, weil sie damit sicherer herumlaufen. Aber Sie haben natürlich auch Menschen, die Feuerwehr, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern, die Kollegen, aber auch die Pflege, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Alten- und Pflegeheimen, die dort sonst den Virus reintragen könnten. Das, glaube ich, sind Personen, die unabhängig vom Alter auch in dieser ersten Phase geimpft werden müssen. Aber auch das lässt sich ja leicht feststellen. Das kann man ja nachweisen, was für einen Beruf man ausübt.
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Meurer: Wir haben ja in den letzten Jahren, Herr Weigeldt, eine Entwicklung gehabt, dass es Bedenken gegen das Impfen grundsätzlich gibt, und auch jetzt zeigen Umfragen, dass es doch eine beträchtliche Anzahl von Deutschen gibt, 30, 40 Prozent, die sagen, das will ich lieber erst mal noch abwarten. Raten Sie Ihren Patienten zur Impfung, oder was machen Sie, wenn jemand Bedenken hat?
Weigeldt: Erstens würde ich grundsätzlich zur Impfung raten. Wir raten ja auch auf jeden Fall zur Grippe-Impfung. Wir raten auch zur Masern-Impfung, weil das hätten wir längst ausrotten können. Ich würde jetzt mich noch zurückhalten. Ich will schon, dass der Impfstoff oder einer dieser drei Impfstoffe zugelassen ist, um dann raten zu können, ja, das kann man machen. Wir wissen, dass die Phase III, die letzte Erprobungsphase, relativ kurz war. Vielleicht ist das auch gerechtfertigt, weil die Impffabriken oder die Impffirmen stärker zusammengearbeitet haben, weil die Finanzierung von vornherein klar war. Deswegen ging vielleicht der Prozess schneller. Aber natürlich muss die Zulassung da sein.
Wenn die Zulassung da ist, würde ich den Risikopersonen auf jeden Fall raten, sich impfen zu lassen, weil sie schützen ja nicht nur sich selbst; sie schützen ja auch die anderen. Weil wer geimpft ist und nicht krank wird, kann die anderen nicht anstecken. Deswegen ist mir das, glaube ich, noch wichtiger, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflegeheim zu impfen. Denen würde ich auf jeden Fall empfehlen, sich impfen zu lassen, weil manchmal kann man vielleicht sich überlegen, dass man jemand, der mit 90 dort ist und das vielleicht nicht so gerne möchte, nicht impft, der aber dann durch die Umgebung, die geimpft ist, geschützt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.