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Kritik am Dieselgipfel
"Marionettenshow von Bund, Ländern und Autoindustrie"

Die deutschen Autobauer haben beim Dieselgipfel neue Abgas-Software für mehr als 5 Millionen Autos zugesagt - zusätzliche Umbauten an den Fahrzeugen lehnten sie ab. Der Leiter der Umwelthilfe spricht von einer Showveranstaltung. Bundesumweltministerin Hendricks will das Thema Nachrüstungen noch nicht ad acta legen.

    "Aktenzeichen ungelöst - NOX" steht am 03.08.2017 in Berlin als Lichtprojektion auf der Fassade des Bundeskanzleramtes. Aktivisten der Umweltschutz-Organisation Greenpeace haben den Schriftzug samt Scherenschnitt von Bundeskanzlerin Merkel am frühen Morgen mit Hilfe eines Beamers auf die Wand projiziert.
    Greenpeace-Protest nach Diesel-Gipfel. (picture alliance/dpa - Paul Zinken)
    Dass beim Dieselgipfel die deutschen Hersteller neue Abgas-Software für 5,3 Millionen Autos zugesagt haben, um den Ausstoß des Atemgiftes Stickoxid zu verringern, geht vielen Entscheidungsträgern nicht weit genug. Die Hersteller wollen zwar den Kauf neuer, sauberer Autos mit Prämien ankurbeln. Umbauten an den Motoren, um die manipulierten Fahrzeuge nachzurüsten, lehnen sie jedoch ab. Sie wären wesentlich teurer als die nun zugesicherten Software-Updates.
    Bundesumweltministerin Hendricks (SPD) sagte im DLF, es sei zwar falsch zu behaupten, das von der Autoindustrie zugesagte Software-Update bei mehr als fünf Millionen Fahrzeugen bringe gar nichts. Die Ergebnisse des Dieselgipfels seien ein wichtiger erster Schritt. Dennoch müsse man in Arbeitsgruppen mit der Autoindustrie auch weiter über Nachrüstungen sprechen. Man könne dieses Thema nicht einfach so abräumen. Hendricks betonte, es werde scharfe Überprüfungen im realen Fahrbetrieb geben. Auch könne sie nicht ausschließen, dass es nun doch zu gerichtlichen Fahrverboten komme.
    Heute sollen die Obleute mehrerer Bundestagsausschüsse von der Bundesregierung über die Gipfel-Ergebnisse informiert werden.
    Die Automobilbranche müsse von ihrem "hohen Ross" herunter und wieder mehr ihrer Verantwortung für die Gesellschaft und für ihre Kunden gerecht werden, sagte Unionsfraktionschef Kauder (CDU) der "Passauer Neuen Presse".
    Vorwürfe, die Regierung habe sich abspeisen lassen
    Grünen-Chef Özdemir hält die Software-Updates für unzureichend. Özdemir griff VW-Chef Müller, der solche Maßnahmen weiterhin ausschließt, im DLF scharf an. Dessen Aussagen seien unverfroren und zeigten außerdem, dass Teile der Branche immer noch glaubten, sie kämen im Diesel-Skandal davon. Politik brauche in dieser Frage einen klaren Ordnungsrahmen, damit die Konzerne die notwendigen Innovationen in Angriff nähmen. Langfristiges Ziel müssten emissionsfreie Autos sein, die in Deutschland hergestellt würden, betonte Özdemir.
    Der Linken-Chef Riexinger nannte den Gipfel eine Farce. Statt klare Kante zu zeigen, habe man sich mit der freiwilligen Zusage von Softwareupdates abspeisen lassen.
    Greenpeace demonstrierte am frühen Morgen vor dem Kanzleramt. Die Umweltschützer strahlten die Fassade des Gebäudes am Donnerstag für wenige Minuten mit einem Beamer an. Neben einer Silhouette von Bundeskanzlerin Angela Merkel war dort "Aktenzeichen NOx ungelöst" zu lesen. Nox ist die Kurzform für Stickoxide. Der Gipfel habe kein einziges Problem gelöst, kritisierte Greenpeace.
    Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Müller, sagte, Bund und Autobranche hätten den Gipfel "vor die Wand gefahren". Die Chance sei vertan worden, Kunden mit Entschädigungen, verbindlichen Garantien und klaren Informationen entgegenzukommen. Britta Schön von von Finanztip riet im Deutschlandfunk Autokäufern zu einer Klage.
    Die Infografik zeigt den Bestand an Diesel-PKW in Deutschland, Gliederung nach Euro-Norm.
    Als "Marionettenshow von Bund, Ländern und Autoindustrie" kritisierte Jürgen Resch, der Leiter der Deutschen Umwelthilfe, den Diesel-Gipfel in der "Passauer Neuen Presse". Diesel-Gipfel sei eine reine Showveranstaltung gewesen. Es gehe nur darum, sich über die Bundestagswahl am 24. September zu retten. Er kritisierte zudem, dass das Gipfel-Ergebnis bereits im Vorfeld bekannt gewesen sei - dieses hätten die Autokonzerne der Politik diktiert.
    Nur Oettinger ist zufrieden
    Ganz anders sieht es EU-Kommissar Oettinger. Er hält die gestern beschlossenen Maßnahmen beim Diesel-Gipfel für ausreichend. Durch die vereinbarten Software-Updates zur Reduzierung der Schadstoff-Emissionen könnten Fahrverbote grundsätzlich vermieden werden, sagte Oettinger im SWR. Wenn nicht, werde man in ein oder zwei Jahren nachbessern müssen, meinte der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
    (vic/gwi)