"Gegen was demonstrieren Sie denn? - Es geht zum Beispiel darum, dass nicht eine Minderheit von Leuten sich immer mehr bereichert."
Die kapitalismuskritische Occupy-Bewegung 2012 in der Finanzmetropole Frankfurt. Die Finanzkrise 2007/2008 hat massiv am Image von Aktien, Börsen und Finanzmärkten gekratzt. Lässt sich eine Brücke schlagen zwischen Kritikern und den Institutionen des Finanzsystems? Ja, sagt der Ökonomie-Professor an der Freien Universität Berlin, Giacomo Corneo. Der schmächtige, große Italiener mit feinem Akzent war Berater beim französischen Finanzministerium und gehörte zu den ersten, die vorrechneten, wie die rot-grüne Steuerreform 1998 die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern würde. Neoliberaler Tendenzen ist der 52-Jährige also unverdächtig. Der Volkswirt ist überzeugt, dass Aktienmärkte für Gerechtigkeit bei der Einkommensverteilung und für soziale Teilhabe stehen könnten – mit folgendem Konzept:
"Der Aktienmarktsozialismus würde diese Wirtschaftselite sozusagen demokratisieren und die Gewinne würden gleichmäßiger an die Bürger zufließen und dadurch käme es auch im politischen Bereich zu einer gleichmäßigeren Teilhabe."
Im Aktienmarktsozialismus, wie Corneo sich ihn vorstellt, ist der Staat Haupteigentümer jedes börsennotierten Unternehmens mit mindestens 51 Prozent der Anteile. Der Rest kann von Unternehmen, Banken, Stiftungen und Pensionsfonds frei gehandelt werden.
Politisch unabhängiger Bundesaktionär
Unternehmen im Staatsbesitz? Ist das überzeugend? Auch Corneo ist skeptisch und plädiert für die Schaffung einer neuen Institution, eines politisch unabhängigen Bundesaktionärs – dem Gemeinwohl verpflichtet, aber auch dem Gewinn:
"Die Vertreter des Bundesaktionärs haben dafür zu sorgen, dass diese Manager wiederum das ihnen anvertraute Geld so rentabel wie möglich investieren - Warum? - Weil die Gewinne dem öffentlichen Haushalt zufließen und zweckgebunden für eine soziale Dividende zu verwenden sind."
Könnte über eine Sozialdividende also der Reichtum der Aktienmärkte in den Geldbeutel des kleinen Mannes gespült werden? Klingt links, doch Giacomo Corneo, der sich selbst als Neoklassiker bezeichnet, lehnt dieses Etikett ab. Der Aktienmarktsozialismus sei ideologiefrei und deshalb attraktiv, meint der Wissenschaftler.
Skepsis gegenüber Aktiensozialismus als Reformweg
Aber nicht für jeden. Die Theorie besteht den Praxistest nicht, findet das Deutsche Aktieninstitut in Frankfurt am Main, das die Interessen von Banken, Börsen und Investoren vertritt. Das Finanzsystem also. Bislang mit mäßigen Erfolg - nur sieben Prozent der Deutschen sind Aktionäre –, wirbt das Aktieninstitut für die Aktie als Anlage. Aktiensozialismus als Reformweg überzeugt aber den Vize-Chef des Lobbyverbands nicht, denn schuld an ungleicher Einkommensverteilung sei nicht der Aktienmarkt, argumentiert Franz-Josef Leven:
"Ich wage, zu behaupten, dass der durchschnittliche Aktionär einer Aktiengesellschaft in Deutschland nicht so reich ist wie der durchschnittliche Besitzer eines größeren, mittelständischen, nicht börsennotierten Unternehmens."
Mit Skepsis sieht Aktien-Lobbyist Leven auch Corneos Idee vom Staat als Mehrheitsaktionär. Was, wenn das Staatsunternehmen strauchelt?
"Da wird der Bundesaktionär sehr schnell am Pranger stehen. Da kann ich mir eine echte Unabhängigkeit beim besten Willen nicht vorstellen."
Ökonom Corneo aber plädiert fürs Experiment, für einen Prozess der kleinen Schritte:
"Es ist unmöglich, auf dem Tisch ein Wirtschaftssystem in allen Details zu beschreiben. Vielmehr braucht man es eines pragmatischen Ansatzes mit einem Willen zum Lernen und zum Experimentieren."
Das Aktien-Institut hat das Experiment für sich schon zu Ende gebracht – Vize-Chef Leven ist kurz und bündig:
"Ein sehr sympathisches Ziel, ein origineller Ansatz, schade, dass es nicht funktioniert."