Die Ergebnisse des sogenannten Milchgipfels seien keine Lösung, so Wolfschmidt im Deutschlandfunk. Ein ähnliches, bereits vor sieben Jahren beschlossenes Maßnahmenpaket, habe auch keine dauerhaften Veränderungen zur Folge gehabt. Es könne nicht die Lösung sein, "wenn der Staat das Geld mit der Gießkanne ausschüttet".
Wolfschmidt erwartet nicht, dass sich der Milchpreis nach dem Gipfel erhöhen wird: Die Landwirte hätten investiert, Molkereien weiterhin Kapazitäten und der Einzelhandel nutze Milch als "Schnelldreherprodukt, um die Menschen in die Läden zu locken". Zudem gebe es zu viel Milch auf dem Weltmarkt. Deshalb würden die Preise auf längere Sicht so niedrig bleiben.
Ruf nach Strukturwandel
Und der Verbraucher könne nichts tun, so der stellvertretende Foodwatch-Geschäftsführer. Mehr Geld für sogenannte Markenmilch auszugeben, wie von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt im Deutschlandfunk vorgeschlagen, bringe den Landwirten nur "minimale" Aufschläge. Diese genügten diesen nicht, um zu überleben.
Erforderlich sei ein Strukturwandel. Statt Förderungen mit der Gießkanne auszuschütten, müsse die Politik die Landwirte unterstützen, "die am besten mit den Kühen umgehen und die beste Qualität liefern".
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Seit Monaten bereits befindet sich der Milchpreis im Keller. Teils unter 20 Cent pro Liter können die Milchbauern derzeit nur erzielen. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, wären aber mindestens 35 Cent notwendig. Ein Grund: Nach Abschaffung der Milchquote haben große Betriebe ihre Produktion enorm gesteigert. Chinas Milchimporte brechen ein und Russland verbietet die Einfuhr. Dazu kommt der gnadenlose Preiskampf unter den Discountern.
Für gestern hatte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt deshalb zum Milchgipfel eingeladen. Ergebnis: Die Bauern bekommen mindestens 100 Millionen Euro an Unterstützung. Ist damit das Problem gelöst und welche Rolle spielt dabei eigentlich der Verbraucher? Darüber können wir jetzt sprechen mit Matthias Wolfschmidt. Er ist stellvertretender Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Schönen guten Morgen!
Matthias Wolfschmidt: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Wolfschmidt, Not leidende Milchbauern sollen mindestens 100 Millionen Euro an Unterstützung erhalten. Das sind Bürgschaften, steuerliche Entlastungen, knapp 80 Millionen sollen in die landwirtschaftliche Unfallversicherung fließen. Ist das aus Ihrer Sicht die Lösung oder zumindest eine Lösung auf Zeit?
Wolfschmidt: Mit Sicherheit ist es keine Lösung. Ein ähnliches Maßnahmenpaket gab es vor knapp sieben Jahren, damals noch unter Landwirtschaftsministerin Aigner. Da hat man, glaube ich, sogar insgesamt 300 Millionen Euro in die Hand genommen. Die Preise waren damals, Ende 2009 war das, ähnlich niedrig auf dem Weltmarkt und die Auszahlungspreise in Deutschland auch fast genauso niedrig wie heute. Wir sehen, dass wir sechseinhalb Jahre später wieder an dem Punkt sind. Das kann also nicht die Lösung sein, wenn der Staat hier Geld in die Hand nimmt und auf diese Weise mit der Gießkanne verteilt.
"Die Interessen sind zu verschieden"
Heckmann: Aber auch Christian Schmidt sagt ja selber, auch Strukturreformen seien notwendig, Molkereien und Bauern müssten sich in Zukunft besser abstimmen über die Produktionsmenge, die angeliefert werden soll, und dazu soll ein Branchendialog eingerichtet werden. Denken Sie, dass das was bringen kann, dass das wirklich den Milchpreis senken kann?
Wolfschmidt: Mit Sicherheit wird das den Milchpreis nicht stützen, nicht erhöhen, denn die Interessen sind so verschieden. Die Landwirte haben investiert und haben Tiere, die sie melken müssen. Sie haben ihre Verpflichtungen und da wird das, was jetzt gerade an Hilfen zusätzlich vereinbart worden ist, nicht dauerhaft helfen können.
Die Molkereien haben Kapazitäten, die sie auslasten müssen. Sie haben Beschäftigte, die sie bezahlen müssen. Und der Lebensmittel-Einzelhandel, der hat ja Milch als sogenanntes Schnelldreher-Produkt, mit dem er versucht, die Kunden in die Märkte zu locken, zumindest mit einigen besonderen Preisspitzen. Insofern sind die Interessen so verschieden auf der einen Seite und die Machtverhältnisse auf der anderen Seite so unterschiedlich, denn die fünf großen Handelskonzerne in Deutschland haben nun mal die Nachfragemacht und werden die immer wieder ausnutzen unter Verweis auf den Weltmarktpreis, und der ist nun mal so niedrig und wird auch auf längere Sicht aus unserer Sicht so niedrig bleiben.
Heckmann: Sie haben diese sogenannten Schnelldreher angesprochen. Welche Rolle spielen die Billigdiscounter in diesem ganzen Prozess?
Wolfschmidt: Die Discounter, namentlich Aldi, Lidl vor allen Dingen, sind diejenigen, die sich einen Preiskampf liefern und dabei bestimmte, wie soll ich sagen, symbolische Produkte herausgreifen, deren Preise sie häufig gezielt senken, um die sogenannte Preisführerschaft in diesem Wettbewerb übernehmen zu können, und die anderen ziehen üblicherweise nach, die anderen großen Handelskonzerne wie Edeka, Rewe oder auch die Metro-Gruppe.
Aber man muss sich eines klar machen: Diese Preise können überhaupt nur deswegen, wie soll ich sagen, aufgerufen werden in den Märkten als Endverbraucherpreise, weil so viel Milch im Markt ist, deutlich zu viel Milch, etwa 15 Prozent zu viel allein in der Europäischen Union, dass die Molkereien solche Preise mit den Handelskonzernen vereinbaren.
Das Entscheidende ist also, dass viel zu viel Milch im Markt ist und dass deswegen diejenigen, die am längeren Hebel sitzen, die Handelskonzerne diese Preisspirale entsprechend drehen können.
"Es ist ein Faktum, dass viel zu viel Milch im Weltmarkt ist"
Heckmann: Wer ist schuld an dieser Entwicklung aus Ihrer Sicht?
Wolfschmidt: Ich weiß gar nicht, ob es um Schuld geht. Aber es ist ein Faktum, dass viel zu viel Milch im Weltmarkt ist. Der Weltmarktpreis bestimmt erheblich die Preise, die auch in der Europäischen Union und in Deutschland gezahlt werden. Um das zu verdeutlichen: Auf dem Weltmarkt ist die überschüssige Menge an Milch in etwa das, was in Deutschland als fünftgrößtem Milchproduzenten jedes Jahr produziert wird. Wir reden hier von 30 Milliarden Litern Milch jedes Jahr, die zu viel da sind, für die es keine Abnehmer auf dem Weltmarkt gibt. Viele Produkte wie Milchpulver oder Butter werden weltweit gehandelt und insofern, wenn von all diesen Produkten viel zu viele da, für die es keine Nachfrage gibt, dann sinkt der Preis und damit können dann diejenigen spielen, die diese Produkte weiterverkaufen, also die Handelskonzerne.
Heckmann: Erst vor wenigen Jahren, Herr Wolfschmidt, da war in der Europäischen Union die sogenannte Milchquote abgeschafft worden, die die Produktion ja beschränkt hat. War das ein Fehler?
Wolfschmidt: Das weiß ich nicht. Wenn man sich anguckt, ich habe das eingangs erwähnt, dass auch vor sechs Jahren, als es die Milchquote noch gab, die Preise ähnlich niedrig waren und Frau Aigner damals diese Milchrettungsmaßnahmen ergriffen hat, und wenn man sich vor Augen führt, dass seit dem Wegfall der Milchquote im vergangenen April die Menge in der EU insgesamt um etwa vier Prozent gestiegen ist, wird deutlich, dass das alleine nicht die Erklärung dafür sein kann, dass insgesamt viel zu viel Milch im Markt ist und viel zu viel Milch produziert wird.
"Das ist ein Vorschlag, der mit Sicherheit nichts bringen kann"
Heckmann: Kommen wir mal zur Rolle des Verbrauchers. Das ist ja auch ein entscheidender Player in dem ganzen Spiel. Landwirtschaftsminister Schmidt hat gesagt, die Verbraucher sollten doch jetzt auch mal zu teurerer Milch greifen, um diesen Preissturz aufzuhalten. Ist das ein Vorschlag, der was bringen könnte?
Wolfschmidt: Das ist ein Vorschlag, der mit Sicherheit nichts bringen kann. Herr Schmidt hat ja gestern bei Ihnen im Interview gesagt, dass er selbst just gestern Milch getrunken habe, die so etwa 89 bis 99 Cent gekostet habe, und das sei konventionelle Milch gewesen. Wir können mit Sicherheit sagen, weil wir einen Marktcheck gerade gestern veröffentlicht haben, dass das dabei sich um eine Milch gehandelt haben muss, für die die Bauern im Grunde keinen Cent mehr bekommen haben als für die vorhin angesprochene Milch zum Kampfpreis von im Moment 46 Cent.
Ein Großteil der Molkereimarken oder der sogenannten Markenmilch, die im normalen Supermarkt verkauft wird, das ist Milch, für die die Landwirte genau den gleichen Auszahlungspreis bekommen wie für die Discount-Milch, vielleicht mal einen Cent oder zwei Cent mehr, aber in der Debatte haben wir gehört, im Moment liegen die Auszahlungspreise irgendwo zwischen 20 und vielleicht 25 Cent. Die Bauern sagen, sie brauchen 35 Cent. Das heißt, diese minimalen Aufschläge für irgendwelche Spezialitäten, zum Beispiel Weidemilch, Heumilch oder Milch, die ohne gentechnisch verändertes Soja gefüttert wurde, diese Aufschläge werden den Bauern nicht reichen, um zu überleben.
Heckmann: Das heißt, unterm Strich bringt das den Bauern überhaupt gar nichts, wenn Verbraucher zu teurerer Milch greifen, sagen Sie. Ganz kurz noch zum Schluss, Herr Wolfschmidt: Was sollen die Verbraucher denn tun aus Ihrer Sicht?
Wolfschmidt: Die Verbraucher können gar nichts tun. Die können nur staunend zur Kenntnis nehmen, dass der Landwirtschaftsminister nicht willens ist, den Strukturwandel, den es mit Sicherheit geben wird und der hinter vorgehaltener Hand von sämtlichen Akteuren in den Branchen, mit denen er gestern am Tisch gesessen hat, auch so prognostiziert wird, diesen Strukturwandel will der Minister und will die Bundesregierung offensichtlich nicht gestalten.
Man könnte eingreifen und sagen, wir wollen versuchen, diejenigen Landwirte zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass diejenigen, die tatsächlich am besten mit den Kühen umgehen, die beste Milchqualität liefern, dass die am Ende tatsächlich bestehen und überleben können. Stattdessen nimmt man die Gießkanne, gibt jetzt wieder mal eine Subvention wie schon in den vergangenen Jahren immer wieder, und versucht, auf diese Weise den Anschein zu erwecken, als kümmere man sich um die Landwirte. Das ist vielleicht gut für Wahlkampfstrategien, aber wird am Ende des Tages weder den Landwirten, noch den Steuerzahlern, noch der Umwelt und am allerwenigsten den Tieren bringen.
Heckmann: Matthias Wolfschmidt war das, stellvertretender Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch, über die Ergebnisse des Milchgipfels gestern in Berlin. Herr Wolfschmidt, danke Ihnen für Ihre Zeit!
Wolfschmidt: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.