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Kritik am Parcours der Tour de France
Weniger Stress und weniger Sturzrisiko

Die Tour de France 2021 war anders: Es wurde von Beginn an attackiert, es gab viele Stürze, die schon in der ersten Woche das Favoritenfeld stark reduzierten. Um eine Tour zu garantieren, bei der Leistungsunterschiede über den Sieger entscheiden und nicht die Unfallstellen unterwegs, müssen schnelle Lösungen her.

Von Tom Mustroph |
Frankreich, Lorient: Radsport: UCI WorldTour - Tour de France, Lorient - Pontivy (182,90 km), 3. Etappe: Peter Sagan (l-r) aus der Slowakei vom Team Bora-hansgrohe und Caleb Ewan aus Australien vom Team Lotto Soudal stürzen beim Sprint vor dem Ziel der dritten Etappe.
Profis fordern eine Ausweitung der Sturzzone bei Massensprints auf zehn oder gar 20 km. (Philippe Lopez/Pool AFP/AP/dpa)
Der Streckenverlauf hat maßgeblichen Einfluss auf den Charakter der Tour, sagt Enrico Poitschke, sportlicher Leiter von Bora hansgrohe.
"Das Profil einer Rundfahrt spielt schon eine Rolle. Erst einmal wird jedes Team nach einem Profil auch die Mannschaft nominieren. Dieses Jahr waren viele Sprinter hier. Und andere Fahrer, die vielleicht nur in den Bergen ihre Chance haben, haben andere Rundfahrten gewählt oder ihren Fokus auf andere Rundfahrten gelegt."
Dass so viel attackiert wurde, im Kampf um das gelbe Trikot, aber auch in den Ausreißergruppen, will aber ausgerechnet der Streckendesigner der Tour, Thierry Gouvenou nicht auf seine Arbeit zurückführen:
"Ich denke, ich habe ähnliche Etappen wie in den letzten Jahren vorgelegt. Es ist nur, dass die Fahrer seit zwei, drei Jahren in einem anderen Stil fahren. Leute wie van der Poel, Alaphilippe waren da Vorbilder. Und jetzt machen es viele wie sie. Das macht die Rennen sehr dynamisch, sehr aktiv."

"Ich glaube, die Leistungsdichte ist da der entscheidende Faktor"

Ein Mentalitätswechsel ist im Tour de France-Peloton zu beobachten. Da sind zum einen die neuen Leitbilder: Neben Attacke-Fahrern aus dem Klassikersegment wie Alaphilippe, van der Poel und Wout van Aert, die alle eine Etappe gewannen, zählt auch der Mann in gelb, Tadej Pogacar, dazu. Gemeinsam mit diesen herausragenden Talenten in der Altersspanne von Anfang bis Mitte 20 sind weitere starke junge Fahrer ins Profipeloton aufgerückt. Das führt zu mehr Klasse insgesamt und zu größerer Angriffslust. Selbst in den Fluchtgruppen war dies zu beobachten. Die meisten Siege wurden nicht im Sprint aus der Gruppe, sondern durch Soloattacken errungen.
"Ich glaube, die Leistungsdichte ist da der entscheidende Faktor. Jeder weiß, wenn ich zu lange warte, werde ich hier niemanden mehr abhängen oder deklassieren. Und deswegen muss man versuchen, eher in die Offensive zu gehen, dass hinten eine Situation entsteht, dass nicht mehr gut zusammengearbeitet wird, dass man sich irgendwie in einen Vorteil bringt", sagt Enrico Poitschke. Sein Team Bora hansgrohe holte auf diese Art und Weise zwei Etappensiege.
Domenico Pozzovivo mit Verletzung bei der Tour de France. 
Tour de France - Gemischte Eindrücke vom Grand Depart
Die Tour de France hat begonnen, im Sommer, wie gewohnt. Auch mit Zuschauern und Werbekarawane. Aber ein Zurück zum alten Modus gibt es nicht.
Wie hart umkämpft allein der Platz in den Gruppen ist, hat Max Walscheid am eigenen Leibe erlebt. Er war zuletzt am Freitag in der Gruppe des Tages.
"Ja, ich glaube, dass zunächst jeder versucht, in die Gruppe zu kommen, wenn man sich persönlich eine Chance ausrechnet. Und dann zählt der Sieg natürlich enorm viel. Jeder wirft hier alles in die Waagschale, was man dann auch daran sieht, dass die Leute ein, zwei Tage, nachdem sie in der Fluchtgruppe waren, es teilweise bereut haben in Sachen Kräfteverschleiß und sich dann im Gruppetto oder sogar out of time limit befunden haben. Insofern glaube ich, zeigt das, dass die Tour extrem hart umkämpft ist. Und jedes Korn richtig investiert sein will. Aber trotzdem investiert jeder alles."

Frühe Ausfälle durch Stürze

Prägend für diese Tour war aber auch, dass Favoriten wie Primoz Roglic und Geraint Thomas schon früh durch Stürze aus der Wertung fielen. Ein Faktor dafür war der Parcours.
"Eines ist klar: Wenn man die Strecke anders gestalten würde, wäre, glaube ich, viel Risiko genommen. Dann wäre vielleicht auch viel Nervosität bei den Fahrern, bei den Teams genommen", meinte Tony Martin, ein mehrfaches Sturzopfer dieser Tour. Martin hält auch nicht viel davon, die Fahrer aufzufordern, langsamer und vorsichtiger zu fahren.
"Klar ist einfach zu sagen, ihr wisst, was auf euch zukommt. Fahrt doch dementsprechend ruhig. Aber wir sind nicht hier, um ruhig zu sein, wir sind hier, um zu gewinnen, um unsere Leader aus Stürzen herauszuhalten, aus Zeitverlust herauszuhalten, und das machst du nicht hinten, sondern das machst du vorn."
Besonders die 3. Etappe nach Pontivy geriet wegen einer abfallenden Zielgerade und einem leichten Knick im Massensprintfinale in die Kritik. Streckenplaner Gouvenou verteidigt sich auch hier, er sieht das Problem aber noch woanders: "Ich gebe zu, das Finale von Pontivy war nicht ideal. Wenn es das gleiche Finale in einer zweiten Woche der Tour gegeben hätte, wäre aber gar kein Problem entstanden." Gouvenou spielt den Ball wieder zurück zu den Fahrern.

"Die Risiken sind immer hoch"

"Ich denke, dass für die erste Woche der Tour egal ist, welchen Parcours man wählt. Die Risiken sind immer hoch. Der Wille, ein Resultat einzufahren, ist so groß, auch der Wille, um nur Sekunden herauszufahren, es ist beinahe Krieg im Peloton. Und am Ende kommen dann die Stürze."
Wenn die Tour de France für die Zukunft verhindern will, dass die Konkurrenz um das Gesamtklassement schon in der ersten Woche so ausgedünnt ist wie in diesem Jahr, braucht es konkrete Lösungen. Eine Ausweitung der Sturzzone bei Massensprints auf zehn oder gar 20 km, wie von einigen Profis schon vorgeschlagen. Sprinter Max Walscheid wirft eine andere Idee in den Raum: "Da geht es um die Sprintetappen, dass man da vielleicht Regeln einführt, dass kleine Abstände zwischen den Fahrern nicht als Sekundenabstände gewertet werden. Das schützt dann auch die Klassementfahrer und dann haben wir Sprinter weniger Stress."
Weniger Stress und weniger Sturzrisiko. Um eine Tour zu garantieren, bei der die Leistungsunterschiede über den Sieger entscheiden und nicht die Unfallstellen unterwegs, müssen Rennveranstalter und Radsportverbände schnell Lösungen finden. Sonst gibt es auch Zukunft vor allem einsame Sieger.