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Kritik am "Tatort" Dortmund
Wie real muss Fiktion sein?

Zu einseitig, zu viel Klischee, zu schädlich für das Image: Die Kritik des Dortmunder Oberbürgermeisters Ulrich Sierau an der "Tatort"-Reihe seiner Stadt hat hohe Wellen geschlagen. Nun wird eine neue Folge gedreht. Und ändert sich was?

Von Kai Rüsberg |
Szene aus dem Dortmund-Tatort "Zorn", der am 20. Januar 2019 in der ARD ausgestrahlt wurde.
Der Dortmunder "Tatort" gehört zu den beliebtesten der Krimi-Reihe in der ARD. (imago/Klaus W. Schmidt)
Es ist eine der ersten Szenen im "Tatort" mit dem Titel "Zorn": Links am Bildrand liegt ein lebloser Körper am Ufer eines Kanals, rechts verfallene Industriekulisse. Überall sind Polizei und die Ermittler vom WDR "Tatort" Dortmund.
Der "Tatort" im "Tatort" Dortmund ist in Marl, Kreis Recklinghausen. Von der Ruhrgebietsmetropole ist nichts zu sehen und auch das Finale steigt in Duisburg. Die Ende Januar gezeigte Serienfolge reiht Ruhrpott-Klischees aneinander. Das Motiv findet sich im Bergarbeitermilieu in einer Kneipe, die wirkt, als sei sie in den 80er-Jahren gedreht. Es geht in der Auswahl von Dialogen aus dem "Tatort" um Zechenschließung und schmale Abfindungen:
"Dann verklag sie doch das, verklagt sie, versuch's. Kämpf gegen Windmühlen an! Die Zeche Sophie Charlotte ist nicht unser Feind. Viele von uns haben dort ihr halbet Leben verbracht."
"Hey Leute, wir trinken jetzt erstmal alle gemütlich nen Pils."
Dortmunds OB kritisiert "Tatort"-Macher
Erst mal abwarten und Bier trinken? So viel Klischees - das geht gar nicht, meint Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau. Der "Tatort" sei für die Stadt imageschädlich.
"Ich habe dann immer auch gegengehalten, habe zum Beispiel gesagt: Leute, das ist Fiktion, das sind Geschichten aus dem keine realen Erzählungen. Aber das hat dann du schon dazu geführt, dass mir welche sagten nach 'nem "Tatort", der angeblich in der Nordstadt spielte, vom Niederrhein Bustouren nach Dortmund zum Weihnachtsmarkt abgesagt worden waren, weil man das, was man da im Fernsehen gesehen hatte, für bare Münze genommen hat. Und da ist ja eben die Grenze."
Er mahnt nun beim WDR an, auch das moderne Bild der Stadt mit einer positiven Wirtschaftsentwicklung abzubilden. Er schlägt vor, eine Folge in der Start-up-Szene spielen zu lassen. Der "Tatort" einer öffentlich-rechtlichen Anstalt trage eine Verantwortung für die Region.
"Und das sind immerhin so um die neun bis zehn Millionen Menschen, die das sehen. Und insofern wird dann schon immer wiederkehrend, durch die Art und Weise, wie der Dortmund "Tatort" präsentiert wird, ein Bild von vermeintlich Dortmund in die bundesdeutsche Öffentlichkeit getragen, was so nicht stimmt."
Viele Reaktionen auf die Kritik
Andererseits ist ein "Tatort" ein künstlerisches Produkt eines unabhängiges öffentlich-rechtlichen Sender und kein Imagefilm für eine Stadt, der nach Willen der Politik gestaltet werden kann. Ein weiterer Kritikpunkt: Die meisten Szenen werden rund um Köln gedreht, räumt der WDR als Produzent ein. Dort sitzen die Produktionsfirmen und dies sei bedeutend billiger. An den bislang wenigen Dortmunder Drehorten können die Passanten die Kritik nicht nachvollziehen:
"Ich meine, dass man halt im ersten Moment vielleicht denkt, es ist schade um das Bild der Stadt. Aber ich finde halt, dass die Kommentare, die dann ja teilweise kamen, dass es ja nur ein Teilbild ist, was da wahrscheinlich gezeigt wird, und ich finde auch: Fernsehen ist Fernsehen. Und wir müssen halt schon Fiktion von Realität trennen."
"Vielleicht sollte er sich um andere Sachen kümmern, die wichtiger sind. Ich find schön, dass man auch mal für Dortmund nen "Tatort" dreht. Ich glaube da gibt's andere Themen, die wichtiger sind."
"Also mir gefällt es persönlich relativ gut, ehrlich gesagt. Ich komme auch nicht von hier, ich komme ursprünglich aus München. Da sind die Sachen schön, die man sieht. Und klar, okay, überall passieren schlimme Sachen, aber es ist ja in jeder Stadt und in jeden "Tatort" so, deswegen ist eigentlich lächerlich, wenn man sich darüber beschwert - erst recht als Oberbürgermeister."
Doch es gibt die Kritik der Dortmunder Bürgergesellschaft. Und die äußerte sich in Leserbriefen an die Ruhr Nachrichten, sagt Lokalchef Matthias Langrock. "Reaktionen waren immens. Wir haben zu keinem anderen Thema in den letzten Monaten, vielleicht sogar Jahren, so viele Briefe von Lesern bekommen wie zu diesem Thema Dortmund-'Tatort'."
Änderungen sind vorerst nicht zu erwarten
Vom WDR hieß es, man wolle bei emotional belasteten Themen, wie der Bergbauvergangenheit, künftig sensibler vorgehen. Eine Einmischung in die künstlerische Freiheit lehne man aber ab. Als Lokalredakteurin hat Gabi Kolle die bisher 13 gesendeten Folgen begleitet und denkt nicht, dass die Kritik aus dem Rathaus Änderungen bewirkt. "Ich glaube nicht, dass es großartig was passieren wird, als Konsequenz daraus. Ich glaube nicht, dass das dazu führen wird, dass sich die Drehbücher großartig ändern."
Folge 14 ist bereits abgefilmt und wird im April gesendet. Auch bei den angelaufenen Dreharbeiten für Folge 15 wurde nichts verändert. OB Sierau hat dem WDR vorgeschlagen, eine Szene einzubauen so wie das Imbissbüdchen am Schluss eines jeden Kölner "Tatorts". "Also, dass wir uns durchaus auch vorstellen können, dass von mir aus bei uns am Dortmunder U oder auch Fußballmuseum oder auch am Phoenixsee, an einer herausragenden Stelle, die durchaus auch ikonisch für Dortmund steht, solche Szenen stärker Bedeutung bekommen."
Eine solche Schlussszene wird in einem Dortmunder "Tatort" so schnell nicht zu sehen sein. Die Planung steht bereits bis Mitte 2020.