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Kritik an Agrarpolitik
"Wir haben es satt"

Kurz vor dem Start der Messe "Grüne Woche" in Berlin kritisieren Umweltverbände und Kleinbauern-Organisationen Agrarminister Christian Schmidt. Er unternehme etwa nichts, um Schweinebauern zu unterstützen, deren Existenz bedroht sei, so ein Vorwurf. Unter dem Motto "Wir haben es satt" ist für Samstag eine Großdemo angekündigt.

Von Dieter Nürnberger |
    Ferkel drängen sich am im Ferkelaufzuchtbereich des Schweinezuchtbetriebes Seegers in Großenkneten (Niedersachsen).
    Die Schweinehaltung müsse umgebaut werden, fordern viele Landwirte. (picture alliance / dpa)
    Im Fokus der Kritik steht die Fleischindustrie, allen voran die Rahmenbedingen in der Schweinezucht und Schweinehaltung. Seit 2010, so die Organisationen, hätten rund 60 Prozent der schweinehaltenden Bauern aufgeben müssen.
    Überlebt hätten die Großen, denn die Anzahl der Tiere pro Betrieb sei um über 140 Prozent angestiegen. Und das sei nicht die Entwicklung, die sich die Verbraucher wünschen würden, sagt Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
    "Diese Schweinehaltung muss umgebaut werden. Die vorhandenen Ställe wurden in den vergangenen Jahren sogar noch mit staatlichen Geldern gefördert. Doch der Minister tut hier nichts, er gibt keine Orientierung.
    Der Umbau ist nicht leicht, das erfordert auch erheblichen baulichen Aufwand. Und es ist teuer: Der wissenschaftliche Beirat geht von rund 5 Milliarden Euro Kosten pro Jahr aus, um die Haltung in Deutschland tiergerechter zu machen. Doch der Minister gibt hier bislang keine Anreize."
    Billiglöhne für Beschäftigte
    Vielmehr sei in den vergangenen Jahren zu sehr auf agrarindustrielle Strukturen in der Schweinehaltung gesetzt worden. Übrigens auch zu äußerst schlechten und fragwürdigen Konditionen der dort Beschäftigten. Darauf machte Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung, Genussmittel und Gaststätten aufmerksam.
    Die wachsende Konzentration in diesem Bereich gehe einher mit Billiglöhnen, auch die Zahl der Stammbeschäftigten gehe zurück. Die Arbeitsbedingungen seien schlecht. Zwar habe es hier eine freiwillige Selbstverpflichtung der Branche gegeben - doch die Erfolge seien ausgeblieben, so Brümmer. Deutschland sei nun ein erfolgreiches Exportland in der Schweinewirtschaft, hier habe sich die Lage in den vergangenen 15 Jahren regelrecht umgedreht.
    "Deutschland musste damals Fleisch einführen, um den eigenen Bedarf zu decken. Heute liegen wir in einzelnen Bereichen bei über 130 Prozent - soll heißen, wir exportieren einen nicht unerheblichen Anteil unseres hier produzierten Fleisches. Wir machen damit aber auch Industriebereiche innerhalb von Osteuropa kaputt.
    Ganze Länder in Osteuropa werden heute durch die Fleischindustrie in Deutschland dominiert: Wir erlauben uns den perversen Luxus, die Arbeitskollegen hierher zu holen, für billiges Geld arbeiten zu lassen, sie zurückzuschicken und ihnen das Fleisch hinterher zu schicken, damit man es dort auch kaufen kann."
    Ankündigung eines neuen Tierschutz-Labels
    Agrarminister Christian Schmidt hat für die Grüne Woche ein neues staatliches Label für mehr Tierschutz angekündigt. Deutschland solle Trendsetter in diesem Bereich werden. Eine bessere Tierhaltung also - doch Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung, Genussmittel und Gaststätten hat da seine Zweifel:
    "Das ist ja schön, dass man ein Tierwohl-Label einführt. Dass auch die Industrie da mitmacht. Aber ich bin zutiefst überzeugt: Wer mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht vernünftig umgeht, der auch mit seinen Tieren nicht besser umgehen."
    Die Liste der vorgeworfenen Versäumnisse und - aus Sicht der Kritiker - falschen Weichenstellungen ließe sich noch fortsetzen: Steigende Nitrateinbringungen und dadurch eine Verschlechterung der Bodenqualität in Deutschland beispielsweise. Also: Die Organisationen zogen eine sehr kritische Bilanz der deutschen Agrar- und Ernährungspolitik.