Gegen den Präsidenten des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger, Mathias Döpfner, gibt es die erste konkrete Rücktrittsforderung aus dem Verband. Anlass ist Döpfners öffentlich gewordene private Textnachricht, der mittlerweile abgesetzte Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sei "der letzte und einzige Journalist in Deutschland", der noch mutig gegen den "neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehre". Fast alle anderen Journalisten seien zu "Propaganda-Assistenten" geworden.
Carsten Lohmann, Geschäftsführer des Bruns-Verlags ("Mindener Tageblatt"), forderte Döpfner im Deutschlandfunk auf, seinen Posten abzugeben: "Ich finde, dass jemand, der oberster Repräsentant der Tageszeitungen in Deutschland ist, mit so einer Aussage nicht mehr haltbar ist." Döpfner ist Vorstandsvorsitzender des Springer-Verlags und vertritt den Zeitungsverlegerverband seit 2016 als Präsident.
Kritik auch von anderen Verlagen
"Ich bin der festen Überzeugung, dass die Tageszeitungen in Deutschland davon leben, dass sie eine hohe Glaubwürdigkeit haben, und sich eben zu keinem Instrument von irgendwem machen", sagte Lohmann im Deutschlandfunk, "und insofern muss es da eine Veränderung geben, der Zustand ist nicht haltbar." Lohmann will sich im Verband dafür einsetzen, dass Döpfner seinen Posten abgibt.
Zuvor hatten sich bereits andere Verlage kritisch gegenüber Döpfner geäußert, aber nicht explizit den Rücktritt gefordert. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Madsack Mediengruppe, Thomas Düffert, teilte der Deutschen Presse-Agentur mit, Döpfners Aussagen seien "für alle Journalistinnen und Journalisten der Madsack Mediengruppe und sicherlich auch darüber hinaus eine unangemessene und verfehlte Herabsetzung". Düffert ist als Vizepräsident des BDZV Döpfners Stellvertreter.
Schon früher umstrittene Äußerungen von Döpfner
Christoph Rüth, Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe ("Hamburger Abendblatt", WAZ) teilte dem Portal Übermedien mit: "Die – wenn auch angeblich überspitzte – Formulierung ‚Propaganda-Assistenten‘ für die Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten halten wir für völlig unpassend. So ein Gedanke und eine derartige Tonlage sind dem Amt eines BDZV-Präsidenten nicht angemessen." Sechs weitere angefragte Verlage haben Übermedien keine Stellungnahme zukommen lassen oder nicht geantwortet.
Döpfner war in den vergangenen Jahren in seiner Eigenschaft als BDZV-Präsident immer wieder mit Äußerungen über seine eigene Branche in die Kritik geraten. Nach der Berichterstattung über die Ausschreitungen in Chemnitz 2018 hatte Döpfner geschrieben: "Bei der Recherche hat es sich in manchen Ressorts, bei manchen Zeitungen und Fernsehsendern offenbar eingebürgert, sich ohne Nachfrage auf die Regierung zu verlassen". Nach dem rechtsextremen Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 schrieb Döpfner: "Deutschlands Politik und Medieneliten schlafen den Schlaf der Selbstgerechten und träumen den Wunschtraum der Political Correctness."
Lohmann sieht kleine Verlage im BDZV nicht gut vertreten
Bruns-Verlagsgeschäftsführer Carsten Lohmann kritisierte auch, dass der BDZV in den vergangenen Jahren mehr die Interessen der größeren als die der kleineren Verlage vertreten habe, etwa im Hinblick auf das Leistungsschutzrecht, mit dem Plattformen wie Facebook und Google Geld an Verlage zahlen sollen, weil sie deren Angebot im Netz nutzten. "Der BDZV vertritt in vielen Teile unsere Interessen sehr wohl, in einigen nicht", sagte Lohmann im Deutschlandfunk.
Die privaten Äußerungen Döpfners waren am Wochenende im Zuge der Berichterstattung über Vorwürfe gegen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt öffentlich geworden. Der Springer-Verlag teilte auf Anfrage mit: "Diese Zitate sind außerhalb des Kontexts überhaupt nicht sinnvoll zu würdigen. Selbstverständlich hält Mathias Döpfner die Bundesrepublik Deutschland nicht für vergleichbar mit der DDR."
Döpfner selbst sagte dazu in einem internen Video, das gestern an die Springer-Mitarbeiter gerichtet war: "Eine private SMS ist kein Tweet, ist kein Post, ist keine öffentliche Rede. Und wenn man in einer privaten Unterhaltung aus dem Zusammenhang gerissen etwas zitiert, dann unterschlägt man Polemik, Ironie, Übertreibung." Er lege Wert darauf, dass das privat sei und nicht wie ein Zitat behandelt werde.
Im Vordergrund der Berichterstattung standen zunächst Vorwürfe gegen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt wegen Machtmissbrauchs. Der Springer-Vorstand hatte Reichelt am Montag von seinen Aufgaben entbunden, weil dieser "Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat".
Das Interview im Wortlaut
Christoph Sterz: Es ging viel um Julian Reichelt in dieser Woche, um den Rauswurf des "Bild"-Chefs. Weil er seine Macht missbraucht haben soll, vor allem gegenüber jungen Mitarbeiterinnen. Aber in dieser Woche sind nicht nur Details zu Reichelt öffentlich geworden, sondern auch zu Springer-Chef Mathias Döpfner, der nebenbei auch noch Präsident des Zeitungsverlegerverbands BDZV ist. Die "New York Times" machte eine private SMS von Döpfner öffentlich, in der er die Bundesrepublik bezogen auf die Anti-Corona-Regeln als "neuen DDR-Obrigkeitsstaat" bezeichnet und mutmaßt, "fast alle" Journalisten außer Julian Reichelt seien zu "Propaganda Assistenten" geworden. Sind das Formulierungen, die passen zum wichtigsten Repräsentanten der Zeitungsverlegerinnen und Zeitungsverleger in Deutschland? Carsten Lohmann, Verlagsleiter des Mindener Tageblatts. Was meinen Sie?
Carsten Lohmann: Ich bin schockiert, dass die oberste Instanz der Tageszeitungen in Deutschland so eine Aussage - und sei es auch nur im privaten Bereich - getätigt hat. Und wir als lokale Tageszeitungsverlage, aber ich denke auch, dass ich da für ganz viele Kollegen spreche, können uns nur davon distanzieren.
"Ich glaube, dass da einiges in Bewegung kommen wird"
Sterz: Aber reicht das, sich davon zu distanzieren? Oder müssten sie nicht sagen, jemand, der so etwas sagt, ist als Präsident des BDZV nicht länger tragbar?
Lohmann: Ich denke, da werden die Gremien entscheiden, und die Stimmen, die genau das behaupten und zur Diskussion stellen, die sind ja schon da. Ich muss Ihnen ganz offen sagen, wir als kleine Lokalzeitung haben, glaube ich, nicht das Gewicht. Es sind aber viel gewichtigere Stimmen. Herr Düffert hat sich mittlerweile geäußert, der "Stern"-Chefredakteur hat sich geäußert, und genau in die Richtung argumentiert. Und ich glaube, dass da einiges jetzt in Bewegung kommen wird, und das hoffe ich auch sehr.
Sterz: Aber Sie persönlich würden sich wünschen, dass Döpfner abtritt?
Lohmann: Ich finde, dass jemand, der oberster Repräsentant der Tageszeitungen in Deutschland ist, mit so einer Aussage nicht mehr haltbar ist. Ja.
Sterz: Sie haben gerade Thomas Düffert schon erwähnt, von der Madsack-Mediengruppe, also einer sehr großen Mediengruppe in Deutschland. Der spricht gegenüber der Nachrichtenagentur dpa von einer unangemessenen und verfehlten Herabsetzung. Und Christoph Rüth, das ist der Geschäftsführer der ebenfalls sehr großen Funke-Mediengruppe, der geht bei Übermedien sogar noch weiter: Die Aussage zu den "Propaganda Assistenten" sei dem Amt eines BDZV-Präsidenten nicht angemessen. Das haben Sie ja auch selber gerade schon gesagt. Das heißt, Sie sagen, Sie sind nur ein kleiner Verlag. Aber Sie könnten sich doch jetzt einfach mit Madsackund Funke und vielleicht noch anderen zusammentun und möglichst schnell dafür sorgen, dass es da einen vielleicht neuen BDZV-Präsidenten oder sogar -Präsidentin gibt.
"Die Unabhängigkeit der Redaktion ist das oberste Gut"
Lohmann: Ja, unser Chefredakteur Benjamin Piel war ja einer der ersten, der das kommentiert hat. Und ganz sicher werden wir engagiert sein, um da eine Veränderung herbeizuführen, um das, was jetzt da als unhaltbarer Zustand - Das muss man sich ja auch vorstellen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Tageszeitungen in Deutschland davon leben, dass sie eine hohe Glaubwürdigkeit haben und sich eben zu keinem Instrument von irgendwem machen. Und insofern muss es da eine Veränderung geben. DerZustand ist nicht haltbar und wir werden da selbstverständlich daran mitwirken.
Sterz: Jetzt ist ja die Kritik von Mathias Döpfner eine sehr laute und sehr starke, die sich gegen Verlage richtet, aber eben auch gegen Journalistinnen und Journalisten. Würden Sie sagen: Nee, an dieser Kritik - so pauschal und überhaupt - ist nichts dran?
Lohmann: An dieser Kritik ist nichts dran. Ich kann nur für unser Haus sprechen. Aber das steht aus meiner Sicht stellvertretend für viele, viele Tageszeitungsverlage in Deutschland. Wir beschäftigen Journalistinnen und Journalisten, die nach bestem Wissen und Gewissen ihren Job machen, die ordentlich recherchieren - Fehler passieren überall -, aber die nur einem einzigen Mitarbeiter unterstellt sind, so ist es bei uns, dem Chefredakteur. Und die mitnichten irgendwelche willfährigen Vollstrecker von Verlegerinteressen oder Verlagsinteressen sind. Ganz im Gegenteil: Gerade ein gesundes, konstruktives Verhältnis zwischen Verlag und Redaktion ist wichtig, aber die Unabhängigkeit der Redaktion ist das oberste Gut bei uns. Und ich weiß, dass es auch in vielen anderen Häusern so ist.
Sterz: Jetzt ist es nicht die erste, sagen wir mal interessante Äußerung von Herrn Döpfner. Ich habe mal ein bisschen im Archiv gekramt. Zu den Berichten zum Beispiel über die Ausschreitungen in Chemnitz im Sommer 2018 hat er gesagt: "Bei der Recherche hat es sich in manchen Ressorts, bei manchen Zeitungen und Fernsehsendern offenbar eingebürgert, sich ohne Nachfrage auf die Regierung zu verlassen." Oder nach dem Anschlag eines rechtsradikalen Mannes auf die Synagoge in Halle, das war im Herbst 2019, da hat Döpfner in der "Welt" relativ wenig über Rechtsextremismus geschrieben und viel über Islamismus und kommentiert: "Es wird verschwiegen oder beschwichtigend verharmlost. Deutschlands Politik- und Medieneliten schlafen den Schlaf der Selbstgerechten und träumen den Wunschtraum der Political Correctness." Da würde ich als BDZV-Mitglied vielleicht spätestens 2019 darauf kommen, dass da vielleicht irgendwas nicht ganz richtig läuft. Aber Sie haben ihn erst vor einem Jahr wiedergewählt.
"Axel-Springer-Verlag ist natürlich ein maßgeblicher Spieler"
Lohmann: "Sie" klein geschrieben. Ja, er ist bestätigt worden im Amt. Der BDZV ist ja eine sehr heterogene Organisation, in der alle Tageszeitungen von Groß bis Klein sich wiederfinden. Und der Axel-Springer-Verlag ist natürlich ein maßgeblicher Spieler in der deutschen Presselandschaft, und insofern ist er da bestätigt worden. Jeder kleinere, Regional- und Lokaltageszeitungsverlag wird seine eigene Einstellung dazu haben. Aber das ist im Präsidium entschieden und insofern kann ich gar nicht, will ich gar nicht kritisieren, ob das richtig oder falsch war.
Sterz: Aber trotzdem ist es so: Sie haben jetzt gerade von den lokalen Zeitungen noch mal gesprochen. Wenn wir auf die medienpolitische Tätigkeit, das Wirken, das Lobbying von Mathias Döpfner schauen als BDZV-Chef, dann klingelt es da zum Beispiel beim Thema Leistungsschutzrecht, also bei der Frage, ob die Verlage Geld kriegen von Facebook, Google und so weiter. Und da gab es schon immer wieder mal die Kritik, dass er eher aus Springer-Sicht verhandelt und sagt, die großen Verlage die brauchen Geld. Und dass er sich um die kleinen Verlage gar nicht so sehr kümmert. Würden Sie sagen: Ja, stimmt, da hat er einiges falsch gemacht?
Lohmann: Es ist ganz sicher so, dass sich insbesondere die kleinen Tageszeitungsverlage in der letzten Zeit - und ich kann das für uns auch sagen - im BDZV weniger repräsentiert fühlen als schon mal vor vielen, vielen Jahren. Das ist so, und es hat ja eine Verbandsreform beim BDZV gegeben und seitdem ist das Gewicht der großen Verlage größer geworden. Das muss man neutral so feststellen, ja.
Sterz: Na, ganz so neutral muss man das jetzt aus der Sicht eines Kleinverlags vielleicht gar nicht feststellen. Ich nehme an , das passt Ihnen nicht und das wollen sie geändert haben. Oder nicht?
Lohmann: Man muss ja immer in einer Demokratie - und auch so ein Verband ist ja ein demokratisches Organ - darüber nachdenken, ob man die Kraft hat, das zu verändern. Und wenn man sich die Verlagskonstellationen in Deutschland anguckt, dann bestimmen mehrere große Verlagsgruppen eben das Geschehen im Moment in Deutschland. Das ist faktisch so, und die Konzentration, auch das ist ja kein Geheimnis, nimmt immer stärker zu. Und insofern ist es bei uns so, dass wir uns über unsere Landesverbände noch sehr gut vertreten fühlen. Die darf man ja immer in diesem ganzen Spiel nicht vergessen. Zum Beispiel der Zeitungsverlegerverband Nordrhein-Westfalen ist viel näher an ihren Mitgliedsunternehmen, nicht nur geografisch, sondern auch inhaltlich dran. Und darüber hinaus gibt es ja noch weitere Organisationen, in denen man sich betätigen kann, zum Beispiel den Verband der Lokalpresse, der sich ja ausdrücklich für die Interessen der kleineren Verlage einsetzt. Und auch das tun wir. Und da gab es einen Wechsel vom BDZV, von einer hohen Loyalität zum BDZV, zu einer höheren Loyalität zu anderen Organisationen.
Sterz: Das bedeutet also, der BDZV-Bundesverband vertritt Ihre Interessen nicht richtig?
Lohmann: Der BDZV vertritt in vielen Teilen unserer Interessen sehr wohl, in einigen nicht. Das ist einfach die Spreizung zwischen Großverlagen und Klein[verlagen]. Wobei ja auch nicht alle Großverlage die gleichen Interessenslagen haben. Insofern ist es natürlich für eine Dachorganisation auch wahnsinnig schwierig, so viele unterschiedliche Mitglieder unter einen Hut zu bekommen.
Sterz: Herr Lohmann, vielen Dank für das Gespräch.
Lohmann: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.