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Kritik an der Bild-Zeitung

Ensminger: Kritik ist laut geworden an der Bild-Zeitung: sie mache sich zur Hilfstruppe im Stoiberschen Wahlkampf, meint etwa der Grünen-Vorsitzende, Fritz Kuhn. Ähnlich äußerten sich auch SPD-Politiker. Kritisiert wurde auch, dass die Namen derjenigen, die möglicherweise Bonusmeilen privat genutzt haben, nur häppchenweise veröffentlicht werden, und nun hat sich herausgestellt, dass die Zeitung die Informationen womöglich vom Bund der Steuerzahler bekommen hat. Jedenfalls sagt das der stellvertretender Präsident des Bundes der Steuerzahler, Dieter Lau. Er sagte auch, dass die Liste, die ihnen vorliege, die Namen aller Parteien erhalte. Am Telefon ist nun Manfred Protze, im Vorstand des Beschwerdeausschusses, Redaktion Datenschutz beim Deutschen Presserat. Schönen guten Morgen, Herr Protze.

    Protze: Guten Morgen.

    Ensminger: Wie ist das denn zu bewerten, wenn nur Stück für Stück Informationen ausgespielt werden?

    Protze: Es gibt eine zentrale Regel für alle Medien, die besagt: Sie müssen wahrhaftig berichten. Und wahrhaftig heißt, dass sie im Zweifelsfalle auch die gesamte Information der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Das liegt im öffentlichen Interesse und auch nur aus diesem öffentlichen Interesse ist der Schutz der Presse und der Medien, der in Artikel 5 verankert ist, auch richtig abzuleiten. Also, um es mal anders auszudrücken: Jeder, der häppchenweise veröffentlicht, mit dem Wissen, dass er mehr Informationen hat, begeht im Zweifelsfall einen Verstoß gegen die allgemein gültigen Regeln für die Publizistik. Wir haben das auch schon einmal in einem Fall entschieden. Das ist noch gar nicht so lange her: Zum Jahresende 2001 hat der Stern einen angeblichen Missbrauch von eigener Publizistik, nämlich des Bayernkuriers, zur Akquisition von Spenden veröffentlicht und dabei bestimmte, allgemein zugängliche, aber auch für die Presse zugängliche Informationen, unterschlagen, die zur Entlastung des Angegriffenen geführt hätten. Also, die Beachtung des Wahrheitsgebots und des Wahrhaftigkeitsgebots schließt ein, dass man zu dem Zeitpunkt, in dem man berichtet, auch wirklich das veröffentlicht, was man kennt. Ansonsten müsste man sich sehr wohl überlegen, ob es Gründe gibt, weshalb man eine Auswahl aus einer Liste trifft.

    Ensminger: Das heißt also: Wenn diese Gründe nicht vorliegen, dann könnte es Konsequenzen geben?

    Protze: So ist es. Das wäre aus meiner Sicht ein Missbrauch der Rolle der Presse, wenn sie nämlich eigene nicht publizistische Zwecke verfolgt, das heißt also auf gut Deutsch: Wenn jemand mit seinem Presseorgan nur einer Partei schaden oder nützen will, dann darf er das selbstverständlich, aber dann muss er das auch schreiben. Also, er hat eine Deklarationspflicht. Dann muss er im Zweifelsfall schreiben: `Wir veröffentlichen nur die Teilnehmer an dem Missbrauch - sei es bei Bonusmeilen oder sonst wo -, weil wir der Meinung sind, wir schreiben nur für unsere Klientel. Es gibt auch andere, aber die veröffentlichen wir nicht.` Dann wären sie aus dem Schneider. Wer so tut, als sei das eine abschließende Darstellung, also eine abschließende Liste, der muss sich allerdings warm anziehen, weil das aus meiner Sicht nicht mehr unter dem Schutz des Artikels Nummer 5 steht.

    Ensminger: Nun hat ja die Bild-Zeitung, wenn wir bei diesem konkreten Fall bleiben, in einer Ausgabe, in einem Kommentar auch selbst geschrieben, dass sie noch mehr Namen hätten, und das war eine der ersten Ausgaben. Hat sie sich damit jetzt im Prinzip abgesichert oder sich eher reingeritten?

    Protze: Nein. Wer von sich sagt, er habe mehr Informationen über Betroffene als er jetzt veröffentlicht, der muss im Zweifelsfall auch begründen, warum er die Information, die er hat, nicht veröffentlicht. Wer nämlich aus irgendwelchen Gründen, die wir nicht kennen, Informationen nicht veröffentlicht, ist im Sinne des Wahrheitsgebotes auch verpflichtet zu sagen, warum er es nicht veröffentlicht.

    Ensminger: Wird denn der Presserat dann aktiv?

    Protze: Ich denke mal, wenn sich jemand beim Presserat wegen dieser Geschichte beschwert, dann wird er natürlich aktiv. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Presserat auch ohne Beschwerde deswegen aktiv wird. Das macht er nur nicht so gerne, weil er dann selber unter der Frage steht, welche Fälle er selbst aufgreift und welche nicht, also, dann muss er sich selber mit dem Willkürverbot auseinandersetzen. Also, am besten ist es natürlich immer, wenn sich jemand beschwert, und dann können wir das prüfen. Und ich sage auch ganz deutlich: Die Frage, wie man mit Informationen umgeht, die hängt auch von der Professionalitätsstufe ab, in der man sich befindet. Also, um mal ein Beispiel zu sagen: Wenn wir einen Verkehrsunfall haben und ein Normalbürger trifft dort ein und leistet erste Hilfe und macht dabei alle möglichen Fehler, dann würde jeder Richter ihn anders beurteilen, als wenn der Mensch, der dazu kommt und erste Hilfe leistet ein ausgebildeter Chirurg ist. Das heißt, ich muss immer die professionelle Qualität, also auch seine Kompetenz befragen, um beurteilen zu können, ob jemand ordentlich mit den Informationen umgegangen ist. Was jedenfalls mit dem Wahrhaftigkeitsgebot in den Grundregeln für den ordentlichen Journalismus nicht vereinbar ist, ist ganz klar, dass man selektiv personell bezogen Informationen veröffentlicht, ohne dafür triftige Gründe für die Auswahl zu haben.

    Ensminger: Und wenn man diesen anderen Rückschluss zieht, den Vergleich mit dem Verkehrsunfall, dann würde das heißen, ein Journalist muss einfach mehr wissen als ein normaler Bürger, der jetzt nicht die Möglichkeit hat zu recherchieren?

    Protze: Ich meine, warum ist jemand ein Profi? Deswegen weil er besondere Kenntnisse hat, die ich einem Normalbürger nicht ohne weiteres zuordnen würde. Und dann muss ich ihn auch an dem eigenen Anspruch messen und sagen: Also, wenn Du Fähigkeiten hast, die Dich befähigen, als Journalist oder Publizist tätig zu werden, dann muss ich Dir auch unterstellen, dass Deine Behauptungen zum Beispiel von Nicht-Wissen nicht besonders glaubwürdig ist, weil ich nämlich im Einzelfall überprüfen kann, ob Du dazu, also zu diesen Informationen, Zugang gehabt hättest. Und die Informationen, die sind eben sehr breit und sie können entlasten und belasten, aber eine Auswahl bei der Publizierung dieser Information, die muss immer begründet sein.

    Ensminger: Herr Protze, jetzt haben Sie gesagt, dass es auch darauf ankäme, dass eben tatsächlich Beschwerden einträfen. Wer müsste sich denn beschweren?

    Protze: Jeder kann das. Jede Frau, jeder Mann, jede Institution, aber auch jeder einzelne Bürger. Also, alle 80 Millionen Menschen, also alle, die schreibfähig sind, können sich beim Presserat beschweren.

    Ensminger: Das heißt, in dem Fall jetzt alle genannten Abgeordneten.

    Protze: Auch die. Wir sind allerdings ein bisschen beschränkt in der Behandlung von Beschwerden, weil wir nur die Printmedien unter dem Regulativ der Selbstkontrolle haben, das heißt also Zeitschriften und Zeitungen. Die elektronischen Medien, also zum Beispiel den Deutschlandfunk könnten wir nicht unter diesem Gesichtspunkt prüfen, weil die elektronischen Medien nicht dem Selbstkontrollmechanismus unterliegen, den wir vertreten.

    Ensminger: Kommen wir noch einmal zu einer anderen Geschichte. Umweltminister Trittin hatte nämlich jetzt auch in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass persönliche Daten veröffentlicht worden seien, und das hat er kritisiert. Wo liegen denn da Grenzen?

    Protze: Also, ich denke, das ist ziemlich einfach: Jeder, der als Repräsentant des Volkes gewählt wird, wird gewählt und bezahlt um allgemein verbindliche Regeln zu setzen. Das gilt sowohl für den Steuerbereich wie für den Strafbereich und für die Ordnungswidrigkeiten, was auch immer. Unser Parlament ist die Institution, die allgemeine Regeln für alle setzt. Und wer damit beauftragt ist, der muss sich auch an dem Maßstab messen lassen: hält er sich selber daran? Wenn er sich nicht selbst daran hält, disqualifiziert er sich. Insofern gibt es auch ein starkes öffentliches Interesse und ein begründetes öffentliches Interesse an solchen Nachrichten, nämlich daran, wie jemand mit Bonusmeilen umgeht.

    Ensminger: Also ist es da richtig, die Information auch zu geben?

    Protze: Völlig klar, da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Die Glaubwürdigkeit unseres gesamten repräsentativen politischen Systems hängt genau davon ab, ob sich die, die Regeln setzten sollen und dürfen, auch an Regeln halten. Wenn wir das nicht publizieren würden, dann wäre das eine Katastrophe eigener Art. Nun gibt die Frage...

    Ensminger: ...wo ist der Persönlichkeitsschutz eben nicht mehr gewährleistet?

    Protze: Genau. Also, der Pressekodex sagt da ganz klar: Wenn das private Verhalten in einem Zusammenhang mit der öffentlichen Funktion steht, dann darf auch über das private Verhalten berichtet werden. Das ist gar keine Frage. Also, mal ganz abstrakt... Ensminger:...oder ganz kurz, Herr Protze. Könnten Sie es auf einen Satz bringen?

    Protze: Wer Wasser predigt und Wein trinkt, der muss sich gefallen lassen, das über seinen Weinkonsum berichtet wird. Und jetzt zu der eigentlich spannenden Frage, was die Angehörigen oder die sonstigen Begünstigten von Regelverletzungen betrifft: Also, da hat eine Ehefrau oder eine Familie...

    Ensminger: Herr Protze, ich muss Sie bitten, sich kurz zu fassen: Also, wenn es die Lebensgefährtin betrifft, dass Daten veröffentlich werden, dann ist es nicht mehr in Ordnung?

    Protze: So ist es.

    Ensminger: Alles klar. Ich danke Ihnen sehr herzlich. Das war Manfred Protze im Vorstand des Beschwerdeausschusses, Redaktion Datenschutz beim Deutschen Presserat. Dankeschön.

    Link: Interview als RealAudio