Tanja Runow: Gestern hat in Hamburg wieder das Reeperbahn Festival begonnen. Und wie jedes Jahr, wird dort nicht nur jede Menge Musik geboten, sondern auch Austausch betrieben, diskutiert, gestritten. Über aktuelle Entwicklungen im Musikgeschäft, über Zukunftsvisionen für Künstler und Labels. Und erstmals wird auch ein Preis verliehen für herausragenden Musikjournalismus: der International Music Journalism Award. Unter den Nominierten ist auch die Autorin Britta Helm, die außerdem auf mehreren Panels spricht, über Ihre Erfahrungen als Musikjournalistin. Guten Tag!
Britta Helm: Guten Tag.
Runow: Seit ein paar Tagen ist klar, dass es mit dem Preis dieses Mal nicht geklappt hat, aber die Nominierung ist auch schon sehr ruhmreich. Da ist schließlich die Crème de la Crème des Musikjournalismus versammelt. Herzlichen Glückwunsch vorab.
Helm: Danke schön.
Runow: Wir zeichnen dieses Gespräch auf, weil Sie genau zur Corso-Sendezeit auf einem Podium beim Festival sitzen und mit einigen Kollegen über den Stand der Musikkritik diskutieren. "Fuck The Review" heißt die Veranstaltung, also "Vergiss die Musikkritik", wenn ich das mal milde übersetze. Was läuft da gerade schief im Verhältnis zwischen Musiker und Musikkritikern?
Helm: Da läuft so einiges schief. Also es sind nicht unbedingt die Musiker selbst, sondern es sind natürlich ganz oft die Leute um die Musiker herum, die dafür sorgen wollen, dass die Musiker immer nur im allerbesten Licht dargestellt werden. Die Labels, die Promo-Agenturen, die sich oft mit - ich würde sagen - nicht ganz so guten Mitteln dafür einsetzen, dass das eben passiert. Da wird viel gemauschelt, das ist ein fürchterliches Klüngel-Business - und darüber sprechen wir eben.
"Es wird zu viel positiv berichtet"
Runow: Unabhängige Kritiker können natürlich auch mal negative Kritik bedeuten. Wir haben vor zwei Tagen mit Andreas Borcholte gesprochen, Musikkritiker von "Spiegel Online". Da ging es um die unklare Zukunft des "Rolling Stone", und in dem Kontext hat er gesagt: "Die kritische Berichterstattung im Musikbereich verschwindet allgemein". Würden Sie das unterschreiben?
Helm: Vielleicht nicht ganz so pauschal, aber grundsätzlich ist es auf jeden Fall so, dass viel zu viel positiv berichtet wird. Nicht mit dem Hintergedanken, "ich finde einen Künstler gut", sondern "ich möchte, dass auch in Zukunft noch der und der Deal stattfindet". Das würde ich auf jeden Fall so unterschreiben.
Runow: Haben Sie das denn schonmal selber erlebt, dass Sie persönlich angegriffen worden sind wegen eines Artikels über eine Platte? Oder, dass Sie plötzlich keine Interviewtermine oder Material mehr bekommen haben, weil Sie kritisch berichtet haben?
Helm: Das kommt tatsächlich öfter mal vor. Also es landet dann selten bei mir selbst, weil ich als freie Autorin arbeite, aber ich würde sagen, dass es schon regelmäßig passiert, dass dann in der Redaktion angerufen wird und gefragt wird: "Was habt ihr euch dabei gedacht? Was soll das denn? Dann könnt ihr jetzt aber die nächste Anzeige vergessen!" Das kommt auf jeden Fall vor.
Runow: Sie konkurrieren natürlich auch mit Leuten, die dem Label oder dem Künstler werbetechnisch hilfreicher sein können, mit Influencern, YouTubern usw.
Helm: Das ist jetzt in dem Bereich, in dem ich vor allem schreibe - also bei mir geht es viel um Punk und Hardcore - da interessiert niemanden, was - keine Ahnung - Dagi Bee über wen auch immer denkt. Also das ist bei mir jetzt nicht so das Problem.
"Ich freue mich, wenn ich mitbekomme, was im Studio passiert"
Runow: Ist es denn grundsätzlich eigentlich was Schlechtes, wenn es mehr direkte Kommunikation zwischen den Künstlern und den Fans gibt? Das ist ja so ein bisschen das was man im Moment so beobachtet, also diese Vermittlungsrolle des Musikjournalisten wird so ein bisschen in Frage gestellt. Und stattdessen gibt es diese Ghostwriter, die den Fans dann auf Facebook zurückschreiben, wenn sie sich melden. Ist das grundsätzlich schlecht?
Helm: Ich finde es absolut positiv. Ich bin ja auch selber natürlich nicht nur Journalistin, sondern auch Fan. Und ich freue mich selber, wenn ich noch viel genauer mitbekomme, was genau im Studio passiert oder wie es gerade bei jemandem auf Tour ist. Also das sehe ich natürlich auch als Fan gerne. Das sind dann auch die Zeiten, in denen die klassische Promo gar nicht läuft mit der ich sonst im Kontakt bin. Von der Seite aus finde ich es auf jeden Fall positiv. Und ansonsten ist es immer auch schwierig zu sagen: "Ihr Musiker dürft nicht vergessen, was ihr an uns Journalisten habt, weil wir haben euch groß gemacht." Das ist natürlich auch Quatsch. Ich sehe mich da auch gar nicht in der Verpflichtung den Musiker gegenüber oder auch direkt denen gegenüber, die vielleicht schon die allergrößten Fans sind, sondern es geht ja immer mehr darum, einem bestimmten anderen Publikum zu erzählen, was man jetzt gerade über eine Platte oder einen Künstler oder ein Konzert oder was auch immer denkt.
Wir haben noch länger mit Britta Helm gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Runow: Haben Sie den Eindruck, das wird zumindest von den Lesern, von den Hörern, wertgeschätzt, der Berufsstand des Musikkritikers, des Pop-Musikkritikers?
Helm: Ich glaube schon. Also das ist natürlich schwer zu sagen, aber ich bekomme zumindest so ein bisschen positives Feedback. Und man merkt auch schon, dass es funktioniert, um es dann doch mal wieder so in Zahlen zu sagen. Also man merkt, wenn man über eine ganz unbekannte Band zum Beispiel schreibt und die in den Himmel lobt und ganz groß macht, dass es dann tatsächlich auch funktioniert.
Gute Bezahlmodelle im Netz
Runow: Eigentlich hat man ja auch immer gesagt: Je größer das Angebot wird - zum Beispiel durch das Internet - desto wichtiger wird eben Orientierung. Und dann ist man vielleicht auch ganz dankbar, wenn man nicht immer nur die wahrnimmt, die am lautesten schreien oder die offensivste Social-Media-Strategie haben, oder?
Helm: Auf jeden Fall. Es ist ab einer bestimmten Größe dann auch so, dass zum Beispiel Beyoncé sagt, sie braucht überhaupt keine Interviews mehr, um bekannt zu sein, das verstehe ich auch. Da wäre ich froh, wenn ich eins kriegen würde. Das passiert nunmal leider nicht. Aber andersrum: Wenn man bei Bands, die man einfach selber toll findet und die vielleicht ganz klein sind, sagen kann: "Hier, guckt euch die mal an." Es geht ja nicht immer nur darum zu bashen und hochzufeiern, sondern auch um eine Auswahl. Das ist ja auch schon eine Art der Meinungsmache, dass man eine Auswahl trifft was überhaupt relevant ist, was medienrelevant ist.
Runow: Sie klingen jetzt insgesamt eigentlich eher zuversichtlich und positiv. Sie sagen: In den Nischen, in denen Sie tätig sind, ist das eigentlich alles nicht so schlimm. Aber: Betrifft es Sie trotzdem, dass immer mehr Printmagazine im Musikbereich verschwinden, dass immer mehr kostenlose Musikkritik im Netz angeboten wird?
Helm: Das auf jeden Fall. Natürlich ist die viel beschriene Krise - einerseits des Musikbusiness, anderseits des Zeitschriftenmarkts - nicht vorbei und da wird es auch nicht mehr besser in Zukunft. Aber ich sehe tatsächlich viel auch aus meiner Sicht als Fan und Leserin, und ich lese einfach immer noch gerne guten Journalismus und hoffe natürlich auch einfach darauf, dass es irgendwann die guten Bezahlmodelle im Netz gibt, die dann alles wieder, zumindest ein bisschen, besser machen.
Runow: Und bis dahin müssen Sie einfach durchhalten.
Helm: Ja.
Runow: Und querfinanzieren.
Helm: Ja.
Runow: Dass sie sich jetzt noch einem ganz anderen Themengebiet zugewendet haben, nämlich dem Tierschutz, ist das eine Folge dieser kleinen musikjournalistischen Krise oder dieses Durchhaltenmüssens?
Helm: Man kann tatsächlich sagen: Ich arbeite für eine NGO, für "Peta Zwei", und da ist es geldmäßig fast manchmal ein bisschen besser als im freien Musikjournalismus. Das will schon einiges heißen.
Runow: Allerdings. Dann wünsche ich Ihnen bei dieser Mission und bei der Musikvermittlung noch viel Erfolg und inspirierende Tage beim Reeperbahn Festival.
Helm: Danke schön.
Runow: Die Musikjournalistin Britta Helm war das im Corsogespräch - und das Festival läuft noch bis Samstag. Morgen diskutiert Britta Helm dort mit Jens Balzer und Linus Volkmann auch nochmal über die Zukunft des Musikjournalismus. "Im Zweifel fürs Zerreissen", heißt es dann. Immerhin das kann uns im Radio nicht passieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.