Was Reproduktionsmediziner hierzulande dürfen und was nicht, regelt bis heute im Wesentlichen das Embryonenschutzgesetz von 1990. Weil der Schutz des ungeborenen Lebens darin höchste Priorität hat, verbietet es unter anderem, dass Mediziner bei Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung in der Petrischale gezeugt wurden, nur den fittesten auswählen und in die Gebärmutter der Frau einsetzen. Stattdessen werden in Deutschland immer mehrere Embryonen implantiert werden.
Professor Heribert Kentenich, Reproduktionsmediziner beim Fertility Center Berlin und einer der Verfasser der gemeinsamen Stellungnahme der deutschen Wissenschaftsakademien, sieht in diesem Verbot der Vorauswahl eines der gravierenden Mankos der aktuellen Rechtslage.
"Hohe Zwillingsrate in Deutschland"
Das Hauptproblem, das man in der Praxis habe, sei, "dass im Resultat die Zwillings- und Mehrlingsrate in Deutschland im Vergleich mit dem Ausland sehr hoch ist, weil es in Deutschland nicht möglich ist, aus einer Vielzahl von Embryonen - also zum Beispiel, wenn neun Embryonen entstehen, einen auszuwählen und den dann zurückzugeben, um die Zwillingswahrscheinlichkeit zu vermindern."
Patienten würden sich Zwillinge oft wünschen und sie lieben, die Kinder würden aber oft zu früh kommen, zudem sei der Schwangerschaftsverlauf für die Frau deutlich gefährlicher. Die Kinder hätten außerdem oft langfristige Folgeschäden wegen der Frühgeburt und müssten häufiger auf die Intensivstation.
"Verbot müsste fallen"
"Im Ausland darf man aus vielen Embryonen den besten auswählen und das hat Auswirkungen. Wir haben in Deutschland eine Geburtenrate von Zwillingen bei der Reproduktionsmedizin von 21 Prozent, in Belgien von zehn Prozent und in Schweden nur von vier Prozent. (…) Das ist ein Anachronismus, dass wir aufgrund des Gesetzes eine Behandlung machen, die deutliche Nachteile hat für die Frauen und für die Kinder." Das Verbot, Embryonen auszuwählen, müsse seiner Meinung nach fallen.
Auch das Verbot der Eizellspende müsse überdacht werden, so Kentenich. Es sei 1990 beschlossen worden, weil man Befürchtungen um das Kindeswohl gehabt habe. Die Mutter, die das Kind austrage, sei nicht die genetische Mutter, weil die Eizelle von einer anderen Frau stamme. Man habe befürchtet, dass das Kind psychische Probleme davon bekommen könnte.
"Viele Bedenken von damals sind nicht mehr vorhanden"
Im Ausland sei die Eizellespende nicht verboten und sowohl medizinische als auch psychologische Daten belegten, dass die Kinder keine besonderen Probleme hätten. Die Beziehungen zu den Eltern seien normal. Auch die Komplikationsrate bei den Eizellspenderinnen sei "außerordentlich gering". Sie könnten auch später normal schwanger werden. "Die Bedenken, die man damals haben konnte, sind nicht mehr vorhanden." Jedes Jahr würden etwa 2.000 bis 3.000 Frauen ins Ausland gehen, um dort die Behandlung zu machen. "Die haben dort einige Nachteile."
Die Behandlung sei sehr teuer und das Kind habe später nicht die Möglichkeit, Kontakt zu der genetischen Mutter aufzunehmen. "Sehenden Auges verbieten wir in Deutschland etwas, wo wir wissen, wir könnten es besser regeln. Das ergibt keinen Sinn."
Auch bei der Leihmutterschaft besteht Regulierungsbedarf
Auch beim umstrittenen Thema Leihmutterschaft müsse der rechtliche Rahmen dringend an die Realität angepasst werden, fordert Heribert Kentenich: "Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Wunscheltern ein von einer ausländischen Leihmutter geborenes Kind auch tatsächlich problemlos nach Deutschland bringen können."
Wenn Reproduktionsmediziner ihre Patientinnen und Patienten detailliert über die Möglichkeiten einer Leihmutterschaft im Ausland informieren, machen sie sich nach aktueller Rechtslage strafbar. Das sei ein großes Problem, so Kentenich, schließlich sei es Aufgabe eines Arztes, die Patienten in allen Lebenslagen so gut wir möglich zu beraten. Das derzeitige Fortpflanzungsmedizingesetz behindere Mediziner dabei, ihren Job gut zu machen.