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Kritik an Erdogan-Besuch
"Die Bundesregierung müsste weiter Druck ausüben"

Die Türkei steckt tief in einer Wirtschaftskrise, Recep Tayyip Erdogan hat sich international isoliert. Dass die Bundesregierung den türkischen Präsidenten ausgerechnet jetzt wieder empfängt und hofiert, enttäuscht viele, die vor politischer Verfolgung aus der Türkei nach Deutschland geflohen sind.

Von Manfred Götzke |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt in Hamburg zum G20-Gipfel den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
    Angela Merkel begrüßt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip beim G20-Gipfel in Hamburg 2017 (AFP / Pool / John Macdougall)
    Nein, in die Türkei könne sie momentan auf keinen Fall zurückfliegen, da ist sich Begüm Bastas sicher. Die Wissenschaftlerin und Menschenrechtsaktivistin würde bei der Einreise Probleme bekommen: "Würde ich jetzt in die Türkei gehen, wäre es für mich völlig unmöglich, einen Job zu finden. Ich könnte die Türkei nicht wieder verlassen, weil mein Pass eingezogen würde. Das Worst-Case-Szenario: Ich würde im Gefängnis landen."
    Bastas hat sich den türkischen Präsidenten Erdogan schon vor dem gescheiterten Putschversuch zum Feind gemacht. Sie hatte gemeinsam mit 1200 weiteren Wissenschaftlern die Resolution "Academics for Peace" unterzeichnet, die den Krieg gegen die Kurden im eigenen Land geißelte: "Erdogan hat uns damals offen attackiert, alle meine Kollegen haben ihre Stellen verloren und fast alle von uns wurden angeklagt - ich auch."
    Verbesserte Menschenrechtslage als Vorbedingung
    Bastas ist schon 2016 für ein Forschungssemester nach Deutschland gekommen - ihr Glück, denn nach dem Putschversuch wurden Zehntausenden Wissenschaftlern die Reisepässe annulliert. Jetzt sitzt sie mit Cappuccino und Laptop in einem Kreuzberger Café - ihrem Ersatzbüro. Die Geografin hat ein Forschungsstipendium, kann erst mal in Deutschland bleiben. Ihre Studenten an der renommierten Bilgi-Universität in Istanbul betreut sie online.
    Bastas: "Hunderte meiner Kollegen sind in Haft, 150 Journalisten sind in Haft, weil sie ihren Job machen, Parlamentsmitglieder, der Chef der Kurdenpartei HDP, sind in Haft - und es werden immer mehr. Die Bundesregierung müsste all das zur Sprache bringen und weiter Druck auf Erdogan ausüben. Aber ich fürchte: Menschenrechte, Pressefreiheit, Minderheitenrechte, all das steht bei diesem Besuch nicht zur Debatte. Es wird um Wirtschaftsdeals gehen."
    Dass stattdessen der türkische Präsident nun von der Normalisierung des deutsch-türkischen Verhältnisses spricht, ist für sie ein einziger Hohn: "Es ist ok, dass der türkische Präsident nach Deutschland kommt, das Land sollte auch nicht isoliert werden. Aber: Die Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei müsste als Vorbedingung für alles andere auf den Tisch. Gerade jetzt, wo die Türkei so massiv in der Wirtschaftskrise steckt, kann Deutschland Druck ausüben - als wichtiger Handelspartner. Man behauptet hier ja so gern, Demokratie und Rechtsstaat hochzuhalten…"
    Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, am 07.07.2017 in Hamburg beim G20-Gipfel.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt Recep Tayyip Erdogan (dpa / Carsten Rehder)
    "Erdogan jetzt so zu ehren - natürlich geht das nicht"
    Auch mehr als zwei Jahre nach dem Putschversuch hat sich die Situation in der Türkei keineswegs verbessert, meint die Menschenrechtsaktivistin. Ganz im Gegenteil. Wer sich für die Freiheit von Presse und Wissenschaft engagiere, wer die Politik Erdogans kritisiere, müsse mit Verfolgung, Gerichtsverfahren und Haftstrafen rechnen: "Viele türkische Menschrechtsaktivisten hier in Deutschland haben richtig Angst vor diesem Besuch und dem, was da verhandelt wird. Ich meine: Wir sehen ja, dass Flüchtlinge sogar nach Afghanistan abgeschoben werden, ein ‚sicheres Herkunftsland‘. Viele Freunde von mir fürchten, dass ihnen das jetzt auch passieren kann, wenn Merkel sie vergisst."
    Ali Cellikan und Ulas Tosun sitzen in der Kantine der Taz. Während sie in ihren Bratkartoffeln herumstochern, haben die beiden ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch. Seit Tagen sind die beiden türkischen Journalisten wegen des Erdogan-Besuchs im Dauerstress: "Erdogan jetzt so zu ehren - natürlich geht das nicht."
    Sie haben in ihren Artikeln und Videos in den letzten Tagen immer wieder kritisiert, dass der deutsche Staat den türkischen Präsidenten nun wieder hofiert: "Die Lage der Menschenrechte in der Türkei wird bei dem Besuch vielleicht mal vor den Kameras angesprochen, um die Öffentlichkeit milde zu stimmen. Aber in Wahrheit dürfte die Situation der politischen Gefangenen, die Presse- und Meinungsfreiheit eine untergeordnete Rolle spielen - wenn überhaupt. Es wird bei dem Besuch vor allem um Deals und geopolitische Fragen gehen."
    "Persönlich bin ich schon sehr enttäuscht"
    Cellikan und Tosun arbeiten bei "Taz gazete" - ein Onlineportal, das türkischen Lesern in Deutschland und der Türkei unabhängigen Journalismus bietet. Für Tosun ist es eine Art journalistisches Exil geworden. In seiner Heimat kann der Videojournalist nicht mehr arbeiten. Er wurde bei seinen Recherchen in Diyarbakir und Kobane mehrfach verhaftet: "Es ist eine Schande, dass ein mächtiges Land wie Deutschland den Druck auf Erdogan nicht mehr aufrechterhält. Offenbar hat es die Bundesregierung jetzt akzeptiert, dass sich die Türkei in eine Autokratie verwandelt hat. Dass sie in den nächsten Jahren so oder so mit Erdogan klarkommen muss."
    Dass der Mann, der ihn letztlich dazu gezwungen hat, seine Heimat zu verlassen, am Wochenende mit Staatsbankett und militärischen Ehren empfangen wird – Tosun zuckt mit Schultern: "Als Journalist hat es mich nicht wirklich gewundert, dass das passiert. Aber persönlich bin ich schon sehr enttäuscht von der Bundesregierung."