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Kritik an EU-Agrarreform
Waitz (Grüne): Nur Landwirtschaft subventionieren, die keinen Schaden anrichtet

Die Land- und Forstwirtschaft könne Teil der Lösung sein bei der Klimakrise, sagte Thomas Waitz, österreichischer Europaparlamentarier der Grünen, im Dlf. Die Vorschläge der EU-Staaten zu einer Reform der Agrarpolitik seien dafür aber nicht ausreichend.

Thomas Waitz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Sonnenblumen blühen auf einem Hafer-Feld der Papendorfer Agrargenossenschaft bei Rostock. Die Blühstreifen sind vor allem für Bienen gedacht. Diese sogenannten Bienenweiden sollen den Insekten über die Zeit hinweg helfen, wenn Raps und andere Alternativen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Blühstreifen sind eine Möglichkeit, Artenvielfalt zu stärken (picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck)
Die EU-Staaten haben sich auf eine Reform der Agrarpolitik verständigt. Nach fast zweitägigen Verhandlungen einigten sich die zuständigen Minister der Mitgliedstaaten am Mittwochmorgen (21.10.2020) in Luxemburg auf einen Kompromissvorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Der Kompromiss der EU-Minister sieht unter anderem vor, dass EU-Staaten 20 Prozent der Direktzahlungen an die Landwirte für Öko-Regelungen reservieren müssen. Im Europäischen Parlament gibt es hingegen eine Mehrheit dafür, diese Anteil auf 30 Prozent anzuheben. Thomas Waitz reicht auch das nicht aus. Er ist Mitglied der Grünen Österreichs sowie des Europaparlaments und dort stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung.
Dirk-Oliver Heckmann Herr Waitz, die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner spricht auch hier im Deutschlandfunk heute früh von einem Systemwechsel. Müssen Sie nicht zugeben, das ist in der Tat eine Wende in der europäischen Agrarpolitik?
Thomas Waitz: Nein, diese Wende sehe ich nicht, es ist keinesfalls eine Systemveränderung, ganz im Gegenteil. Es gibt zwar ein paar Elemente, die hübsch hellgrün aufwehen, aber wenn man die Substanz sieht, dann sieht man, dass immer noch zwei Drittel der Zahlungen ausschließlich aufgrund der Fläche vergeben werden. Bei uns hier in Brüssel nennt sich das Grundeinkommensstützung, basic income support, für die Landwirte, egal wie sie wirtschaften. Die Auflagen sind minimal, und hier werden weiter Milliarden an Steuergeld in eine Art der Landwirtschaft investiert und zur Verfügung gestellt, die einen Umweltschaden verursachen, die einen Klimaschaden verursachen, einen Biodiversitätsschaden verursachen und im Übrigen auch dazu führen, dass immer mehr landwirtschaftliche Betriebe ihre Betriebe aufgeben müssen, weil sie mit der Größe einfach nicht mehr mitkommen.
Thomas Waitz bei einem Auftritt in Kroatien.
Thomas Waitz bei einem Auftritt in Kroatien (imago-images)
"Die Landwirtschaft könnte Teil der Lösung sein"
Heckmann: Aber immerhin ist es ja so, dass 20 Prozent der direkten Subventionen – nach dem Willen der Agrarminister jedenfalls – von Klima- und Artenschutz abhängig gemacht wird. Das ist doch ein Einstieg.
Waitz: Ja, diese 20 Prozent sind allerdings für die Landwirte freiwillig und nicht verpflichtend. Das ist an sich ein Rückschritt, denn in der vorherigen waren die Zahlungen, die für Umweltleistungen gebunden waren, eben gebunden und verpflichtend. 20 Prozent für Umweltmaßnahmen in einer Situation, wo wir einen derartig dramatischen Rückgang an Biodiversität haben und vor allem, wo wir die Problematik der Klimakrise jedes Jahr und jeden Monat neu vor Augen geführt bekommen, das ist ein inadäquater Zugang.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner am 20.10.2020 im Rahmen EU-Agrarrats in Luxemburg
Klöckner (CDU) - EU-Agrarreform ist "alles andere als ein Weiter so"
Im Kompromiss des EU-Ministerrats sieht Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner einen Systemwechsel. Öko-Auflagen seien wichtig, man dürfe aber auch die Ernährungssicherung nicht vergessen.
Die Landwirtschaft könnte Teil der Lösung sein, ich kenne keine andere Methode, wie man sonst CO2 wieder in den Boden bringen sollte als über Land-, aber auch Forstwirtschaft. Die Landwirtschaft könnte massiv Emissionen einsparen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite CO2 in die Böden abbinden. Dazu bräuchte es aber eine generelle Orientierung der Agrarförderpolitik hin zu Umweltmaßnahmen. Es geht hier um das Gemeinwohl, um unsere gesamte Gesellschaft und wie sich die Rahmenbedingungen für uns alle weiterentwickeln, und es ist unser aller Steuergeld, das hier in die Landwirtschaft investiert wird – also öffentliches Geld für öffentliche Leistungen. Und hier geht es um die Bekämpfung des Klimawandels, um Biodiversität, aber vor allem auch um das Erzeugen von gesunden Lebensmitteln und um das Vermeiden von Erkrankungen, die zum Beispiel aus der Massentierhaltung kommen – multiresistente Keime, das sind immerhin 33.000 Tote jedes Jahr aufgrund des Antibiotikagebrauchs und -missbrauchs. All diese Zahlen – Reduktion des Kunstdüngers, Reduktion der Antibiotika, Reduktion der Pestizide –, das findet sich hier in dieser GAP alles so nicht.
Heckmann: Aber noch mal kurz zurück, soweit ja der grobe Rahmen, aber noch mal zurück auf die 20 Prozent: Sie sagen gerade, das soll nicht verpflichtend gebunden sein an Klima- und Artenschutzauflagen, aber die Entscheidung, der Kompromiss ist doch jetzt in der Tat, diese 20 Prozent an direkten Subventionen wirklich fest an solche Klima- und Artenschutzmaßnahmen davon abhängig zu machen. Trauen Sie dem nicht?
Waitz: Ja, allerdings für die Landwirte ist der Einstieg freiwillig. Was wir gebraucht hätten, wären hier verpflichtende Kriterien für jede Art von Förderbezug, für jede Art von Flächenbewirtschaftung. Es muss uns bewusst sein, dass mit der Art, wie wir heute Landwirtschaft betreiben, zumindest ein großer Teil der Landwirtschaft, wir hier jedes Jahr aufs Neue einen Schaden an der Umwelt und einen Schaden an dem Klima erzeugen, und dieser Schaden sollte doch nicht mit Steuergeldsubventionen auch noch unterstützt werden. Ich finde es richtig, dass die Landwirtschaft dabei unterstützt wird, hier die Wende hin zu einer grünen Landwirtschaft, zu einer nachhaltigen Landwirtschaft zu schaffen. Das würde aber bedeuten, dass öffentliches Geld nurmehr für die richtige Wirtschaftsweise zur Verfügung gestellt wird und jene Wirtschaftsweisen, die hier den Schaden mitverursachen, kein Steuergeld mehr bekommen.
"Europa ist zweifellos an der Spitze in globalen Kontext"
Heckmann: Aber Herr Waitz, Julia Klöckner, die wir heute früh im Programm hatten im Interview, die hat Kritik insofern zurückgewiesen, als sie sagte, es gibt ja nicht nur diese erste Säule der Subventionen, also die direkten Subventionen an die Bauern, die von der Fläche vor allem abhängen, sondern bereits ja die zweite Säule, und da hängt es bereits von der Umweltfreundlichkeit ab. Außerdem hätten wir in Europa die strengsten Auflagen überhaupt.
Waitz: Europa ist zweifellos hier an der Spitze in einem globalen Kontext, aber wenn man der Wissenschaft zuhört, dann sind unsere Ambitionen leider immer noch zu kurz gegriffen. Und in der Tat, in der zweiten Säule gibt es für die Staaten Möglichkeiten, auch dort noch zusätzliche Umweltmaßnahmen zu unterstützen, allerdings sind in der zweiten Säule auch ganz viel ländliche Entwicklungsgelder drin, es sind ganz viel Investitionsgelder drin, zum Beispiel für Stallneubauten, und dort vermissen wir zum Beispiel höhere Standards für Tierwohl. Auch das hier ist kein Kriterium eben für die Vergabe von Investitionsförderungen, ein Teil des Geldes der zweiten Säule fließt auch in die regionale Wirtschaft. Wenn das zu einer regionalen Wertschöpfung führt, dann ist das gut, aber es ist nicht so, dass die gesamte zweite Säule tatsächlich für Umweltmaßnahmen aufgewandt wird, ein kleiner Teil sehr wohl.
Ein bewirtschaftetes Feld im Sonnenaufgang
Was die EU-Agrarreform bringen soll
Über die Agrarpolitik in der EU wird seit langem gestritten. Wie können die Förderungen gerecht an die Landwirte verteilt werden? Und wie lässt sich diese Verteilung an die Öko-Maßnahmen der Mitgliedsländer koppeln? Ein Überblick.
Heckmann: Das Europäische Parlament berät ja auch derzeit über die gemeinsame Agrarpolitik, hat sich gestern mit Mehrheit darauf verständigt, dass man 30 Prozent dieser Subventionen abhängig machen möchte von Klimaschutzmaßnahmen und Naturschutzmaßnahmen. Ist das nicht aber eigentlich auch ähnlich mutlos?
Waitz: Ja, auch da haben wir uns nicht durchgesetzt, da haben die drei großen Fraktionen – Liberale, Sozialdemokratie und die Konservativen – gemeinsam einen Deal miteinander gemacht, auch das ist zu kurz gegriffen. Wenn wir den Kampf gegen die Klimakrise ernst nehmen, müssen wir versuchen, jeden einzelnen Acker mit den Methoden, die wir haben, und mit den Möglichkeiten, die wir haben, möglichst klimafreundlich und umweltfreundlich zu bewirtschaften. Das ist auch ein Gebot der Zeit, auch für die Industrie. Der Druck auf die Industrie, CO2 einzusparen, ist enorm. Mit der Landwirtschaft hätten wir fantastische Möglichkeiten, hier beizutragen zur CO2-Einsparung, zur CO2-Bindung, und ich verstehe offen gesagt auch nicht, warum genau in einem Industrieland wie Deutschland hier die Industrie nicht stärker dahinter ist, dass die Veränderung und der Systemwandel in der Landwirtschaft wirklich tiefgreifend wird.
Waitz: Weltmarktorientierung führt zum Hofsterben
Heckmann: Also, bei uns ist angekommen, Ihnen von den Grünen reicht das alles nicht, Sie möchten am liebsten, dass 100 Prozent der Subventionen wirklich von klimafreundlichem Verhalten und Beackern der Flächen abhängig gemacht wird. Aber ist das nicht eine total unrealistische Vorstellung, gehen da nicht auch Millionen Höfe über die Wupper?
Waitz: Nein, ganz und gar nicht, das hat damit nichts zu tun. Wenn wir uns die Frage des Bauernsterbens ansehen, dann hat das vor allem mit der Weltmarktorientierung auch unserer Agrarpolitik zu tun. Das hat damit zu tun, dass wir Landwirte in einer direkten Konkurrenz stehen mit Produktionen zum Beispiel aus Brasilien, wo das Einkommen eines Landarbeiters bei etwa 150 Euro liegt, wo keine Umweltstandards einzuhalten sind, wo massiv Raubbau an der Natur betrieben wird. Mit diesen Märkten konkurrieren wir eins zu eins, und das ruiniert uns den Erzeugerpreis.
Es ist wichtig, dass Landwirte für ihre Arbeit und für ihre Tätigkeit auch eine korrekte Entlohnung bekommen, und interessanterweise, wenn man mit Landwirten spricht, würden die Bäuerinnen und Bauern es bevorzugen, für ihre Arbeit einen vernünftigen Erzeugerpreis zu bekommen und nicht derartig abhängig zu sein von öffentlichen Förderungen. Aber wenn eben öffentliche Förderungen ins Spiel kommen, dann muss auch das öffentliche Interesse gewahrt bleiben, und ich denke mal, das öffentliche und gemeinsame Interesse von uns Europäerinnen und Europäern sollte sein, die Klimakrise möglichst abzumildern.
Heckmann: Jetzt gibt es demnächst den Trialog, also die Verhandlungen zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament. Wie gesagt, der Europäische Rat setzt auf 20 Prozent, das EU-Parlament auf 30 Prozent – wird es am Ende ein typischer EU-Kompromiss bei 25 Prozent?
Waitz: Ich befürchte ja, nach dem, was wir heute im Rat gesehen haben, heute Morgen, wird es einen Kompromiss irgendwo da geben, und der wird höchstwahrscheinlich nicht zufriedenstellend sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.