Jörg Münchenberg: Im Grundsatz sind sich alle einig. Die EU-Währungsunion muss krisenfester werden, gerade auch nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise. Aber über die Details gab und gibt es Streit. Selbst der massive französische Druck nach dem Amtsantritt von Emmanuel Macron hat daran nichts geändert. So haben sich jetzt die Euro-Finanzminister auf eher kleinere Schritte zur Weiterentwicklung der Eurozone verständigt. Zugehört hat der Finanzexperte der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold. Herr Giegold, ich grüße Sie.
Sven Giegold: Guten Tag, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Giegold, der deutsche Finanzminister Olaf Scholz sagt, das sei jetzt der große Durchbruch. Sehen Sie das auch so?
Giegold: Ehrlich gesagt, es ist eigentlich ein Trauerspiel. Präsident Macron hatte starke Vorschläge vorgelegt. Man hält ihn über ein Jahr lang hin und desavouiert ihn nun mit Minimalreformen.
Man kann natürlich sagen, angesichts des Streites mit Italien ist das noch besser als nichts. Aber gleichzeitig ist klar, die nächste Krise wird in der Eurozone wieder zu einem deutlichen Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut führen, was durchaus vermeidbar gewesen wäre. Insofern bleiben wir weit hinter dem zurück, was wir eigentlich brauchen für eine stabile Eurozone, die doch so sehr im deutschen Interesse ist.
Man kann natürlich sagen, angesichts des Streites mit Italien ist das noch besser als nichts. Aber gleichzeitig ist klar, die nächste Krise wird in der Eurozone wieder zu einem deutlichen Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut führen, was durchaus vermeidbar gewesen wäre. Insofern bleiben wir weit hinter dem zurück, was wir eigentlich brauchen für eine stabile Eurozone, die doch so sehr im deutschen Interesse ist.
Münchenberg: Entspricht diese Herangehensweise, dass man jetzt auf kleinere Schritte setzt, nicht auch dem europäischen Einigungsprozess: keine Revolution, sondern Evolution, und das immer gerne auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner?
Giegold: Absolut! Es gibt in Europa immer Reformen, und Revolutionen fordert ja gar keiner, sondern was Macron vorgeschlagen hat, ging auch im Bereich der Reformen so viel deutlich weiter. Am klarsten wird das im Bereich der demokratischen Legitimation. Macron hat vorgeschlagen, dass es einen Euro-Finanzminister geben soll, wogegen dann auch das Europäische Parlament Kontrollrechte über die bisher hinter verschlossenen Türen tagenden und häufig schlechte Kompromisse beschließenden Finanzminister erhalten hätte. Diese starken Kontrollrechte des Europaparlaments sind abgesagt worden. Und man kann nur sagen, dass das an Deutschland scheitert, ist besonders traurig. Denn gerade Sozialdemokraten und Christdemokraten haben so große Verdienste für den Bau der europäischen Einigung. Und dass nun Deutschland mehr Demokratie in Europa verhindert, das ist wirklich schwer zu verstehen.
"Frankreichs Hand ausgeschlagen"
Münchenberg: Aber, Herr Giegold, da saß ja nicht nur Deutschland im Bremserhäuschen. Zur Vollständigkeit gehört ja auch: Aus Nordeuropa oder auch aus den Niederlanden gab es viel Kritik an Macrons Vorschlägen. Auch die Niederlande wollten bei weitem nicht so weit gehen, wie der französische Präsident das vorgeschlagen hatte.
Giegold: Das ist richtig. Allerdings ist die Mutter aller europäischen Einigungen immer eine deutsch-französische Einigung. Es wären immer harte Verhandlungen geworden, auch mit den Österreichern, wo wir ja Rechtspopulisten und Christdemokraten in einer gemeinsamen Regierung haben. Es wäre immer schwierig gewesen. Aber wenn Deutschland die Hand ausgereicht bekommt von Frankreich, für starke gemeinsame Investitionen und europäische Stabilisierung des Euros, und gleichzeitig bereit ist, was Deutschland immer gefordert hat, das stark parlamentarisch abzusichern und damit eine stärkere Rolle der europäischen Demokratie zu erlauben, diese Hand dann auszuschlagen, das ist genau nicht unsere Rolle in Europa. Und die Große Koalition ist auch weit hinter der Ambition ihres eigenen Koalitionsvertrages zurückgeblieben.
Münchenberg: Wie rund läuft denn dann noch der deutsch-französische Motor? Es hat ja auch mehrfach geheißen, der französische Finanzminister Bruno Le Maire, sei doch ziemlich entsetzt über die Unbeweglichkeit des deutschen Finanzministers. Wie eng ist noch dieser deutsch-französische Schulterschluss, auch wenn man sich jetzt mal die Ergebnisse anguckt, auf die sich die Euro-Finanzminister geeinigt haben?
Blockade aus Berlin - auch bei Digitalbesteuerung
Giegold: Ich erlebe nach wie vor sehr viel Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen, gerade auch in den europäischen Institutionen. Aber was die beiden Regierungen hier machen, ist noch schlimmer, als es unter Schäuble und seinen Amtskollegen war. Man sieht das jetzt an der genauso gescheiterten Einigung für eine Digitalbesteuerung. Frankreich hat hier mutige Vorschläge vorgelegt, wollte die Besteuerung ins 21. Jahrhundert führen. Immer mehr der Wertschöpfung findet heute im digitalen Raum statt. Jetzt ist davon übrig geblieben eine Minireform, die jetzt wiederum gescheitert ist. Aber so lässt man natürlich auch Macron im Regen stehen, der versucht hat, in Frankreich die öffentliche Meinung proeuropäisch zu stabilisieren. Und wenn nun Deutschland öffentlich vorführt, an verschiedenen Baustellen, dass Frankreich immer wieder an der Blockadehaltung aus Berlin scheitert, dann muss man wirklich langsam Angst bekommen um die europäische Einigung. Das wird natürlich Thema bei den nächsten Europawahlen. Da müssen sich die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, ob sie diese Blockade aus Berlin gegenüber unseren engsten Verbündeten weiter wollen.
Münchenberg: Aber, Herr Giegold, würden Sie denn sagen, auch diese deutsch-französische Sonderstellung als Reformmotor, ist das jetzt am Ende faktisch tot?
Giegold: Nein, das ist natürlich nicht tot. Welchen anderen Partner soll es denn bitte geben? Deutschland und Frankreich sind sich nach wie vor historisch eng verbunden. Und ich bin nicht bereit und wir Deutschen sollten nicht bereit sein, wegen einer zaudernden Großen Koalition in Berlin jetzt die deutsch-französische Zusammenarbeit für beerdigt zu erklären.
"Große Koalition spielt mit dem Feuer"
Münchenberg: Aber wenn Deutschland faktisch nur blockiert und Macron - Sie haben es ja selber gesagt - im Regen stehen lässt, wird man sich doch sicherlich auch in Paris fragen, was sind diese deutschen Freunde noch wert.
Giegold: Ja! Das wird man sich in der Tat fragen. Aber das ist eine Frage, die man sich jetzt in Paris stellt. Umgekehrt muss die Aufgabe der deutschen Öffentlichkeit und insbesondere der proeuropäischen Opposition in Deutschland sein - und als solche verstehen wir uns Grüne; wir sind die proeuropäische Opposition im Bundestag -, ganz deutlich darauf hinzuweisen, dass hier die Große Koalition mit dem Feuer spielt und europapolitisch einen schweren Fehler macht, und zwar erst bei der Eurozonen-Reform und jetzt bei der Digitalbesteuerung. Und es ist ja zu befürchten, dass das so weitergeht, denn es ist ja nicht zu sehen, dass in Berlin jetzt an irgendeiner anderen Stelle es eine große Offensive in der Zusammenarbeit mit Frankreich gibt. Es gibt immer schöne Sonntagsreden und werktags wird dann blockiert.
Münchenberg: Würden Sie denn noch zum Abschluss sagen - Sie haben die Digitalsteuer schon angesprochen, auch die Finanztransaktionssteuer, die ja faktisch eigentlich schon tot ist, jetzt wieder ein bisschen wiederbelebt werden soll - wird aus diesen beiden Ansätzen noch was, oder ist das letztlich alles was fürs Schaufenster?
Giegold: Ich glaube, die Digitalbesteuerung auf globaler Ebene - darauf soll jetzt ja zwei Jahre gewartet werden -, da wird nichts draus werden, weil man sich dort leider mit anderen nicht einigen kann. In der Zeit gehen zehn Milliarden Euro verloren, die die großen Konzerne nicht bezahlen werden. Danach wird vielleicht irgendeine Minimalversion herauskommen. Bei der Finanztransaktionssteuer ist es so, dass die jetzt beschlossene Variante eigentlich unnötig ist.
Münchenberg: … sagt der Finanzexperte der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold. Herr Giegold, vielen Dank für das Interview.
Giegold: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.