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Kritik an Flüchtlingsverteilung
"EU fehlt Fähigkeit zu einer kompletten Lösung"

Es sei ein Gebot der Humanität, Menschen aus Seenot zu retten, betonte der thüringische CDU-Vorsitzende Mike Mohring im Dlf. Bei seiner Kritik an der von Bundesinnenminister Horst Seehofer geplanten Verteilungsquote für Flüchtlinge bleibe er dennoch. Die EU müsse hier ein geordnetes Verfahren finden.

Mike Mohring im Gespräch mit Philipp May |
Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring gestikuliert bei seiner Rede auf dem Thüringer CDU-Landesparteitag.
Seenotrettung muss ein, sagte der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring im Dlf. Entscheidende Frage dann aber sei, was mit den Flüchtlingen geschehe. (dpa/ Jens-Ulrich Koch)
Philipp May: Die Klimawende, aber auch die Flüchtlingsfrage beziehungsweise der Umgang mit den Bootsflüchtlingen, das sind die Themen in diesen Tagen – Themen, die die Menschen in Deutschland polarisieren, und Themen, die das Zeug haben, auch die Union zu spalten. Bundesinnenminister Horst Seehofer will weg vom Image des Hardliners und hat nun die deutsche Bereitschaft signalisiert, ein Viertel aller, von privaten Rettungsbooten geretteten Flüchtlinge im Mittelmeer aufzunehmen in Deutschland, in einer Koalition der Willigen innerhalb der EU – durchaus zum Missfallen einiger Innenpolitiker in seiner eigenen Partei, was wiederum Horst Seehofer missfiel.
O-Ton Horst Seehofer: "Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss."
May: Das war Horst Seehofer und am Telefon ist jetzt ein Wahlkämpfer der CDU, und zwar auf schwerem Terrain: In Thüringen, wo am 27. Oktober gewählt wird – der CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring. Schönen guten Morgen!
Mike Mohring: Schönen guten Morgen.
May: Spüren Sie gerade Rückenwind aus Berlin?
Mohring: Na ja, das ist Ansichtssache. Ich bin ja schon froh, wenn jeden Tag die Dinge einigermaßen so laufen, dass wir uns auf die Inhalte in Thüringen konzentrieren können und damit auch werben können, warum wir eine andere Politik wollen und warum wir Rot-Rot-Grün ablösen wollen.
May: Kommt denn das Klimapaket, worüber wir gerade gesprochen haben, bei Ihren potenziellen Wählern gut an?
Bundesumweltministerin Svenja Schulze, Bundeskanzlerin Angela Merkel, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der konservativen CSU-Fraktion Alexander Dobrindt. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (SPD) Malu Dreyer, die Vorsitzende der CDU Annegret Kramp-Karrenbauer, der deutsche Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz und der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU Markus Soeder beglüchwünschen sich nach bei der Pressekonferenz nach der Sitzung des Klimaausschusses am 20. September 2019 im Futurium in Berlin. Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte ein umfassendes klimapolitisches Paket im Wert von mindestens 100 Milliarden Euro (110 Milliarden Dollar) bis 2030 an.
Klimapaket der Bundesregierung: In Trippelschritten zum Klimaschutz
Das Klimaschutzpaket der Bundesregierung bleibe weit hinter dem Anspruch zurück, das Pariser Abkommen umzusetzen, kommentiert Georg Ehring. Der Preis für das Treibhausgas CO2 sei viel zu niedrig angesetzt.
Mohring: Das ist eine Frage der Kommunikation. Wir haben ja eins erreicht als CDU/CSU, dass das Prinzip Anreize vor Verboten und Ermöglichung vor Steuerbelastungen ja durchgesetzt wurde. Aber im Detail ist es natürlich immer noch kompliziert, wenn ich an das Beispiel denke der Auswechslung von Ölheizungsanlagen, wo ja viele jetzt denken, sie müssen schon Mitte der nächsten 20er-Jahre ihre Ölheizungen ausbauen, und wissen nicht, was danach kommt. Da sind ja Hybridlösungen weiter möglich. Es gilt ja auch nur für den Neueinbau und es gibt 40 Prozent Zuschuss. Tatsächlich kommt bei den Leuten auf dem Dorf an, dass ihre Ölheizung perdu ist und sie die auswechseln müssen und sich fragen, woher soll ich das Geld nehmen, warum legt die Politik so etwas fest und schneidet sich so in mein Leben ein.
May: Also hat Ihr Parteifreund Michael Kretschmer in Sachsen durchaus recht, wenn er sagt, das sind rabiate Maßnahmen und die Entscheidungen überfordern viele Menschen?
Mohring: Es ist ja ein ganzes Paket von Maßnahmen, die in der Summe tatsächlich ein guter Punkt sind, weil es auch Entlastungen bei der Pendlerpauschale gibt, weil wir auch eine Möglichkeit haben, Stück für Stück umzusteigen und das Prinzip einhalten, dass auch dort, wo es eine Belastung gibt durch die CO2-Bepreisung, eine Entlastung da ist. Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle mehr vorgestellt, weil wir zum Beispiel in den CDU/CSU-Vorschlägen, an denen ich ja mitgearbeitet habe, auch gesagt haben, der Staat soll kein Geld verdienen mit der Bepreisung, und wenn er Geld übrig hat, soll er zum Beispiel die Stromsteuer abschaffen. Das steht jetzt nicht mehr im Papier, halte ich aber für richtig. Wir haben gerade gestern gehört, wir haben die höchsten Strompreise seit jeher in Deutschland zu verzeichnen. Wenn man die Leute und den kleinen Verbraucher da entlasten kann, wäre das wichtig, und ich hoffe, da passiert noch was in dem Verfahren im Bundestag.
May: Sie sagen aber immerhin, das war okay? Das belastet Sie jetzt weiter nicht als Wahlkämpfer, was die Regierung in Berlin am Freitag beschlossen hat?
Mohring: Ich sage es mal so: Es ist ja auch wichtig, dass die Große Koalition Handlungsfähigkeit zeigt, und die hat sie an der Stelle jetzt bewiesen. Nach dem vielen Hin und Her um Personaldebatten war das wieder mal ein inhaltlicher Punkt, an dem sich die Koalition geeint hat, und das ist manchmal mehr wert in der Frage, können wir denen vertrauen da oben, sind sie fähig zu Entscheidungen. Diese Entscheidungsfähigkeit hat die GroKo an der Stelle jetzt bewiesen.
"Seenotrettung muss sein"
May: Stichwort Handlungsfähigkeit. Die zeigt auch gerade Horst Seehofer. Ich habe es gesagt in der Anmoderation. Der CSU-Innenminister ist jetzt in Malta bei einen Gipfel der Willigen und hat signalisiert, vorübergehend ein Viertel aller, von privaten Rettungsbooten geretteten Flüchtlinge im Mittelmeer zu übernehmen. Sie haben das kritisiert. Warum ist das ein Fehler?
Mohring: Die Debatte muss man ja mal ordnen. Sie haben es gerade im Einspieler noch mal wiederholt, dass Horst Seehofer sagt, er müsse sich rechtfertigen für Menschen, die er aus dem Mittelmeer vorm Ertrinken rettet. Das, glaube ich, ist völlig unstrittig und ist auch eine Frage der Humanität, dass wir die retten, die im Mittelmeer vom Ertrinken bedroht sind. Seenotrettung muss sein. Das ist schon allein aus unserem christlichen Menschenbild heraus unsere Verantwortung.
May: Aber ganz kurz! Es retten ja nicht die Behörden, sondern es sind private Seenotretter.
Ein Migrant steht an Deck des spanischen Seenotrettungsschiffes "Open Arms"
Ein Migrant an Deck des spanischen Seenotrettungsschiffes "Open Arms" (Imago/Agencia EFE/Francisco Gentico)
Mohring: Ja, genau! Trotzdem ist es doch richtig, dass man Seenotrettung unterstützt. Das ist doch unbenommen. Aber die Frage ist doch, was soll mit den Geretteten geschehen, und das habe ich kritisiert, weil man da unterschiedlicher Auffassung sein kann – vor allen Dingen deshalb, weil die Europäische Union sich ja genau vor einem Jahr darauf verständigt hat, dass sie die Menschen, die gerettet werden, zurückbringt an die afrikanische Küste und dort ein geordnetes Verfahren organisiert, wer hat eine Zufluchtsperspektive nach Europa und wie geht es dann weiter. Das ist ausgeblieben und meine Kritik ist die: Es sollten die Prozesse und die Verantwortungen nicht durcheinanderbringen. Es ist die große Aufgabe auch der neuen Europäischen Kommission und der Europäischen Union in ihrer Summe, sich endlich an das zu halten, wozu sie sich selbst verpflichtet hat, und ihre Aufgaben wahrzunehmen. Daran scheitert sie bisher.
May: Sie hat sich dazu verpflichtet vor einem Jahr, aber sie hat es bisher nicht geschafft, diesen Prozess in Gang zu bringen.
Mohring: Genau!
Mohring: Schleppergeschäft darf nicht gestärkt werden
May: Es gibt keinen geordneten Prozess und bisher ist die EU daran gescheitert. Es gibt bisher nur Folterlager in Libyen und dementsprechend irren weiter Schiffe umher. Sind diese immer gleichen Bilder und Berichte denn besser für den sozialen Zusammenhalt in Deutschland und Europa?
Mohring: Zunächst geht es ja bei der Frage, Menschen zu retten aus dem Mittelmeer, nicht um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland, sondern an sich darum, welche Verpflichtungen, welche humanitäre Aufgabe haben wir. Noch mal wiederhole ich mich: Seenotrettung ja, Humanität ja. Aber die Frage ist doch: Sind die Boote der Schlepper der richtige Weg nach Europa? Ich finde: Nein! All das, was wir damit an Zeichen setzen, dass das ein Weg sei, stärkt das Schleppergeschäft und hilft nicht den Menschen. Zumal man wissen muss: Wir sehen ja nur die, die auf dem Mittelmeer sind und die gerettet werden. Diejenigen, die übrig geblieben sind von dem langen Weg durch die Sahara-Wüste, von denen, die dort umkommen, gibt es keine Bilder. Von denen, die beim Menschenhandel verschwinden, sehen wir keine Bilder. All das ist ja der Weg davor. Deswegen ist es richtig, überall auch in Afrika zu schauen, was können wir dort helfen und an Perspektiven ermöglichen. Deswegen ist es nicht zuletzt auch richtig, was Angela Merkel gemacht hat, die sich stark macht für einen Frieden in Libyen, weil das die grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass das System funktioniert in der Zukunft.
May: Vollkommen klar! Aber was machen wir mit den Bootsflüchtlingen auf privaten Rettungsschiffen jetzt?
Mohring: Noch mal: Ich kann mir gut vorstellen, wenn man das Prinzip organisieren könnte, dass es nur um die ausschließlich Geretteten geht, und dort eine Verteilung organisiert wird in Malta heute, ist das natürlich ein Weg. Es darf nur nicht da rauskommen, dass am Ende alle, die aus Afrika flüchten, in diesem Verteilmechanismus kommen werden. Da bleibe ich bei meiner festen politischen Analyse, dass immer aus Zwischenzuständen am Ende Dauerlösungen werden, weil die Fähigkeit zu einer kompletten Lösung fehlt. Und Sie haben es ja selber angesprochen in unserer Diskussion gerade: Die Europäische Union hat es noch nicht geschafft, obwohl sie sich vor einem Jahr verpflichtet hat, und ich habe das Gefühl, dass in der Europäischen Union manche ganz froh wären, wenn es diese Zwischenlösung gäbe, die man dann einfach zur Dauerlösung akzeptieren könnte und sich andere einen schlanken Fuß machen. Das wäre der Verantwortung der Europäischen Union nicht gerecht.
"Dürfen Menschen nicht sehenden Auges ertrinken lassen"
May: Aber Horst Seehofer betont ja ganz klar, es soll eine Zwischenlösung sein. Außerdem betont er beziehungsweise betont die Bundesregierung, 2200 Menschen im Mittelmeer sind im letzten Jahr von privaten Schiffen aufgenommen worden. Deutschland hat davon 565 übernommen. Das ist eh genau ein Viertel. Ist es da nicht vernünftig, wenn man bei dieser doch sehr überschaubaren Zahl sagt, 565 Menschen, wir schaffen das und beenden dafür im Gegenzug dieses unwürdige Gezerre, das wir bei jedem Flüchtlingsboot im Mittelmeer derzeit sehen?
Mohring: Zunächst müssen wir ja mal schauen: Es sind ja nicht nur 2200 gerettet worden. Es sind auch über 2000 umgekommen im Meer. Deswegen ist es ja wichtig, dass man diese Menschen rettet und nicht sehenden Auges ertrinken lässt.
Aber noch mal: Es bleibt bei meiner Frage. Entsteht nicht daraus ein Pulleffekt? Horst Seehofer sagt, es wird keiner entstehen. Aber die einfach politische Behauptung, dass es kein Anreizsystem ist, die ist leicht gesagt.
May: Aber es ist natürlich auch eine politische Behauptung zu sagen, es gibt einen Pulleffekt.
Mohring: Er ist ja nicht auszuschließen, weil wir haben schon gesehen, als es die staatlichen Rettungsmissionen gegeben hat, ist in den drei Jahren des Bestehens bis 2017 die illegale Einwanderung aus Afrika übers Mittelmeer auf einen historischen Höchststand gekommen. Danach hat man die staatlichen Rettungsmissionen eingestellt. Es gab ja schon Erfahrungswerte. Es ist ja nicht so, dass wir ohne Erfahrung diese politische Debatte betrachten. Deswegen braucht es da ein geordnetes System.
Und noch mal: Es braucht die Verantwortung der Europäischen Union in Summe, die Menschen zu retten und trotzdem ein geordnetes Verfahren zu finden. Daran ist es bisher gescheitert und meine Wortmeldung war die, dass ich finde, nicht jede Woche eine neue Position zu beschreiten, sondern auch an die Verantwortung zu erinnern, es ist ein Teil der Europäischen Union, dass diese Aufgaben dort wahrgenommen werden, wo sie hingehören. Es ist nicht die Aufgabe einer einzelnen Nation innerhalb der EU, sondern es ist die Gesamtaufgabe der EU.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.