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Kritik an Gauck
"Gaucks Ton war militärisch"

Die Russland-Kritik von Bundespräsident Joachim Gauck sei ein deutliches Säbelrasseln, der Ton sei militärisch gewesen, sagte Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Linkspartei, im Deutschlandfunk. Er sei mit der Rede zum 75. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges komplett aus der Rolle als Präsident gefallen.

Katja Kipping im Gespräch mit Sandra Schulz | 03.09.2014
    Die Bundesvorsitzende der Linken, Katja Kipping, 23. August 2014 in Potsdam
    Die Bundesvorsitzende der Linken, Katja Kipping (dpa / picture-alliance / Bernd Settnik)
    Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin zündele, müsse der Bundespräsident nicht noch Öl in Feuer gießen, ergänzte Kipping. Gauck müsse seine Worte prüfen, ob sie zu einer Deeskalation oder einer Eskalation beitrügen.
    Bundespräsident Gauck hatte bei der zentralen polnischen Gedenkfeier zum deutschen Überfall vor 75 Jahren mit Blick auf die Einmischung Russlands im Ukraine-Konflikt gesagt: "Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen." Kipping sieht diesen Satz als Zuspitzung und Kriegsansage. Dieser Ton sei unangemessen, er sei militärisch, das sei Säbelrasseln.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Vorgestern war der 1. September. Vorgestern vor 75 Jahren hat der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen begonnen. Aber bei der Gedenkveranstaltung auf der polnischen Westerplatte hat Bundespräsident Joachim Gauck nicht nur zurückgeschaut, sondern hat bei seiner Rede so ungewohnt deutlich außenpolitisch mitgemischt mit scharfer Kritik an Russland, dass sich auch hierzulande manch einer die Augen gerieben hat. Russland habe die Partnerschaft mit Europa der vergangenen Jahre de facto aufgekündigt, so Gauck. Und auch das hat er gesagt:
    O-Ton Adam Krzeminski: "Es gibt Momente, wo man mit Waffen die Werte, für die man einsteht, verteidigen muss, und das hat der ehemalige Pastor und der Bundespräsident gut verstanden."
    Schulz: Das war jetzt nicht der O-Ton von Bundespräsident Joachim Gauck, sondern von dem polnischen Publizisten Adam Krzeminski. Dann fasse ich noch mal kurz zusammen, was Joachim Gauck gesagt hat. Er hat gesagt, der Appetit eines Aggressors, der nehme nicht unbedingt dadurch ab, dass seinen Aggressionen nachgekommen wird, sondern ganz im Gegenteil zu. Und er sagte, wir wenden uns gegen die, die das Völkerrecht brechen. - Für diese Kritik wird der Bundespräsident jetzt seinerseits kritisiert. Der Linkspartei-Vorsitzende Bernd Riexinger wirft Gauck vor, er habe Öl ins Feuer gegossen, und spricht von einem präsidialen Fehlgriff ersten Ranges. Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit der anderen Bundesvorsitzenden der Partei Die Linke. Guten Morgen, Katja Kipping!
    Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen.
    Schulz: Was ist daran falsch, dass der Bundespräsident für die Stärke des Rechts eintritt und nicht, wie zum Beispiel auf der Krim gesehen, für das Recht des Stärkeren?
    Kipping: Ich glaube, er ist mit dieser Rede komplett aus seiner Rolle als Präsident gefallen, weil er spricht nicht nur für sich, sondern er spricht gerade zu so einem Anlass für die gesamte Bundesrepublik Deutschland, und er hat ja auch gesagt, dass wir die Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen. Das ist ja ein sehr deutliches Säbelrasseln. Und ich erwarte schon von einem Präsidenten, dass es mehr Besonnenheit gibt und nicht weitere Beiträge zur öffentlichen Mobilmachung. Hinzu kommt, dass das natürlich auch eine enorme Geschichtsvergessenheit ist, angesichts so einer historischen Rede - ich meine, es ging ja um 75 Jahre Ausbruch Zweiter Weltkrieg - Russland nur so zu thematisieren und komplett zu verschweigen, dass das deutsche Nazi-Gräuel auch unsägliches Leid über damals die Sowjetunion gebracht hat. Es gibt 30 Millionen sowjetische Kriegsopfer, und das komplett zu verschweigen, finde ich auch schon geschichtsvergessen.
    "Es gibt schon genug Kriegsgeschrei"
    Schulz: Ja, Frau Kipping. Wie sind denn die Sympathien da in Ihrer Partei verteilt? Kriegshetzer ist Joachim Gauck ja auch schon genannt worden aus Ihrer Partei. Und Putin, den schlagen Sie dann demnächst als Friedensnobelpreisträger vor?
    Kipping: Nein, das ist eine vollkommen unangemessene Polemisierung. Erstens haben wir noch auf unserem Bundesparteitag ohne Gegenstimmen die Annexion der Krim als völkerrechtswidrig verurteilt, und ich habe auch sehr deutlich gesagt, dass uns allen bewusst ist, dass Putin kein Linker ist und kein lupenreiner Demokrat, und er zündelt genauso. Aber wissen Sie, wenn Putin zündelt, muss der deutsche Bundespräsident nicht noch Öl ins Feuer gießen. Es gibt einfach schon genug Kriegsgeschrei in dieser Frage.
    Schulz: Aber der Bundespräsident soll den Mund halten?
    Kipping: Nein! Er muss jedes seiner Worte dahin prüfen, ob es zur Deeskalation der Lage beiträgt und zu einer wirklichen Lösung des Ukraine-Konflikts, oder ob es einfach zur Eskalation beiträgt. Und ich finde, wenn man sich mal die Stimmung in der russischen Bevölkerung ansieht: Für die ist ja der große vaterländische Krieg, dass sie sich befreit haben von den Nazis. Das ist ja eine ganz wichtige Sache. Und wenn er an so einem historischen Gedenktag mit Säbelrasseln sich gegenüber Russland äußert, dann trägt das wirklich nur zur Eskalation bei. Ich finde, wenn man sich die Situation in der Ukraine anschaut, dann muss man sagen, da hat Russland gezündelt, aber auch die ukrainische Regierung unter Poroschenko trägt doch dort gerade nicht zur Deeskalation bei. Wenn man sich dessen Aussagen anhört, selbst wenn er einen Waffenstillstand ankündigt, dann sagt er, die, die sich uns nicht beugen, die werden wir vernichten. Poroschenko führt in der Ukraine quasi einen angeblichen Krieg gegen den Terror, wo in der Ostukraine auch Schulen und Kitas mitbombardiert werden. Man muss beide Seiten gleichermaßen an einen Tisch holen und beiden Seiten gleichermaßen sagen, was sie hier machen, führt zu enormem Leid für die Menschen.
    "Richtige Kriegsandrohung"
    Schulz: Aber in der Situation, so wie sie jetzt gerade ist im Osten der Ukraine, Wladimir Putin spricht von Neu-Russland, er hat die prorussischen Separatisten gelobt für ihre militärischen Erfolge, wäre ein Schweigen des Bundespräsidenten da nicht schon fast Zustimmung? Ist er nicht verpflichtet, in dieser Situation den Mund aufzumachen?
    Kipping: Nein. Ich glaube, die Europäische Union und Deutschland und damit auch der Bundespräsident sind verpflichtet, hier nicht sozusagen einfach wie im Kindergarten Stärke zu zeigen, wenn es einen Streit gibt, sondern alles zu tun, um dieses unsägliche Leid - dort gibt es ja inzwischen Tausende Tote - zu lindern. Und da sage ich nur, man muss dort Verhandlungen führen und man muss alles tun, damit der Osten der Ukraine zu einer demilitarisierten Zone wird. Mit solchen Tönen, wie er sie gegenüber jemandem wie Putin anschlägt, darauf wird Putin nur noch eher mehr eskalieren. Wie gesagt, ich finde alles Agieren von Putin in dieser Frage falsch. Aber es geht ja nicht darum, zu beweisen, dass Putin ...
    Schulz: Aber warum darf man das nicht sagen? Warum darf der Bundespräsident das dann nicht sagen? Das ist doch ein Widerspruch.
    Kipping: Nein, das ist kein Widerspruch, weil wenn er das so zuspitzt und mit einer richtigen Kriegsandrohung - er hat doch gesagt, wir werden die Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen.
    Schulz: Der Bundespräsident hat mit Krieg gedroht, meine Sie, auf der Westerplatte?
    Kipping: Die Aussage, wir werden die Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen, ist mindestens Säbelrasseln, und ich finde, Heribert Prantl hat es gestern sehr gut auf den Punkt gebracht. Wenn der Bundespräsident wie ein NATO-Generalsekretär klingt, dann ist Kritik mehr als angemessen.
    Schulz: Sagen Sie uns noch mal, woran Sie diese Zuspitzung festmachen, die Sie gerade gesagt haben, dass der deutsche Bundespräsident mit Krieg gedroht hat. Das dürfte, soweit ich die Stimmen gesehen habe, eine absolute Einzelmeinung sein.
    Kipping: Ich habe mir ja das angehört, den Redeabschnitt, der mehrmals zitiert worden ist, und ich zitiere jetzt. Er hat gesagt, wir werden die Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen. Und das ist ein Ton, der einem Bundespräsidenten unangemessen ist. Das ist militärisches Säbelrasseln.
    "Gauck an seinen eigenen Ansprüchen messen"
    Schulz: Aber der russische Präsident führt bereits Krieg. Das muss man doch kritisieren dürfen.
    Kipping: Aber wir dürfen uns doch in der Kritik an Putin nicht gleichermaßen falsch verhalten wie Putin.
    Schulz: Aber wir führen ja auch keinen Krieg, sondern wir kritisieren Putin nur. Wir sprechen ja über verbale Stärke.
    Kipping: Noch einmal: Diese Rede fand in Danzig angesichts von 75 Jahre Ausbruch Zweiter Weltkrieg statt. Ein solcher Gedenktag ist ein Anlass, und hier, finde ich, kann man ja einfach mal Gauck an seinen eigenen Ansprüchen messen. Gauck hat noch anlässlich von 100 Jahre Erster Weltkrieg in Frankreich gesagt, wir dürfen den politischen Willen nicht verlieren, aus alten Feinden Partner zu machen. Und ich finde, wenn er diese richtige Haltung, die er gegenüber Frankreich erwähnt hat, anlässlich von 100 Jahre Erster Weltkrieg, die hätte er auch anlässlich von 75 Jahre Zweiter Weltkrieg ausstrahlen müssen. Das wäre angemessen der Rolle eines Bundespräsidenten gewesen.
    Schulz: Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank Ihnen.
    Kipping: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.