Internationaler Strafgerichtshof
Kritik an Haftbefehls-Anträgen gegen Hamas-Führer und Netanjahu

Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof hat Haftbefehle unter anderem gegen den israelischen Regierungschef Netanjahu und Hamas-Chef Sinwar beantragt. Das Vorgehen stößt nicht nur in Israel auf Kritik. Netanjahu verurteilte die Anträge, die US-Regierung nannte sie empörend.

    Außenansicht des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor blauem Himmel und Flagge im Vordergrund.
    Außenansicht des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (picture alliance / ANP / Phil nijhuis)
    Netanjahu erklärte, es handele sich um einen Angriff auf das israelische Militär und ganz Israel. Kein Druck und keine Entscheidung irgendeines internationalen Forums würden Israel davon abhalten, den Krieg gegen die Hamas weiter fortzusetzen. Der israelische Präsident Herzog betonte, jeder Versuch, Parallelen zwischen den Terroristen der Hamas und der demokratisch gewählten Regierung Israels zu ziehen, könne nicht akzeptiert werden. Israel erwarte von allen Führern der freien Welt, dass sie diesen Schritt verurteilten und ihn entschieden ablehnten.

    "Vorgehen befremdlich"

    Kritik kam auch vom Auswärtigen Amt. Durch die gleichzeitige Beantragung von Haftbefehlen gegen Israels Regierungschef Netanjahu und Verteidigungsminister Galant auf der einen und gegen drei Hamas-Führer auf der anderen Seite sei der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden, sagte ein Außenamtssprecher in Berlin. Der CDU-Außenpolitiker Hardt sagte im Deutschlandfunk, das Vorgehen des Chefanklägers sei befremdlich. Dieser verwechsle Ursache und Wirkung des Gaza-Krieges und gefährde auf diese Weise auch die Autorität des Internationalen Strafgerichtshof. Es entstehe der Eindruck, dass bei der Entscheidung nicht nur juristische Gründe eine Rolle gespielt hätten, sagte Hardt.
    Das Interview mit Jürgen Hardt kann hier auch nachgelesen werden.

    Kritik aus USA und Großbritannien - Frankreich verteidigt Gerichtshof

    US-Präsident Biden nannte das Vorgehen des Chefanklägers empörend. Man werde Israel bei Bedrohungen gegen die Sicherheit des Landes immer zur Seite stehen. Ähnlich äußerte sich US-Außenminister Blinken. Dass Haftbefehle für hochrangige israelische Regierungsmitglieder zusammen mit Haftbefehlen für Hamas-Terroristen beantragt worden seien, sei "beschämend".
    Der britische Premierminister Sunak erklärte, das Vorgehen des Chefanklägers sei nicht hilfreich in dem Bestreben, eine Feuerpause im Gazastreifen zu erreichen, die Geiseln dort heraus oder Hilfsgüter hinein zu bekommen. Österreichs Bundeskanzler Nehammer bezeichnete das Vorgehen des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof als "nicht nachvollziehbar".
    Dagegen stellte sich die französische Regierung hinter den Gerichtshof. Man unterstütze das Gericht, seine Unabhängigkeit und den Kampf gegen Straflosigkeit, teilte das Außenministerium in Paris mit. Die belgische Außenministerin Lahbib betonte, in Gaza begangene Verbrechen müssten auf höchster Ebene verfolgt werden, unabhängig von den Tätern.

    Hamas fordert Aufhebung der Anträge

    Die Hamas kritisierte ihrerseits die gegen ihre Führer ebenfalls beantragten Haftbefehle. Opfer und Henker würden gleichgesetzt; Israel werde ermutigt, den Krieg im Gazastreifen fortzusetzen. In einer Mitteilung der Terrororganisation wird verlangt, die Anträge aufzuheben.
    Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hatte die Haftbefehle im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg beantragt. Betroffen sind neben Netanjahu auch Israels Verteidigungsminister Galant sowie Hamas-Führer Sinwar und zwei weitere Funktionäre der Terrororganisation.

    Chefankläger kritisiert willkürliche Tötungen und "Ausrottung"

    Netanjahu und Galant wird vorgeworfen, für das Aushungern von Zivilisten sowie für willkürliche Tötungen und Angriffe auf Zivilisten verantwortlich zu sein. Den Hamas-Führern wirft Chefankläger Khan "Ausrottung" sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigung und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor - im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober, der der Auslöser des Gaza-Kriegs war. Bei dem Überfall der Hamas auf Israel waren nach israelischen Angaben mehr als 1.200 Menschen gestorben. Die Organisation hält immer noch Dutzende Geiseln gefangen.

    Entscheidung liegt bei Ermittlungsrichtern

    Über die Anträge auf Haftbefehle müssen nun Ermittlungsrichter des Internationalen Strafgerichtshofs entscheiden. Israel ist kein Vertragspartner des Internationalen Strafgerichtshofs. Dessen Legitimität wird ebenfalls unter anderen von den USA, Russland und China nicht anerkannt.
    Der IStGH mit Sitz in Den Haag in den Niederlanden ist eine Internationale Organisation im völkerrechtlichen Sinn, aber kein Teil der Vereinten Nationen. Darin unterscheidet er sich von dem umgangssprachlich als "UNO-Kriegsverbrechertribunal" bezeichneten Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und dem Internationalen Strafgericht für Ruanda (ICTR). Deren Zuständigkeit betraf nur bestimmte Konflikte, der IStGH dagegen unterliegt keiner derartigen Beschränkung.
    Diese Nachricht wurde am 21.05.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.