"Ägypten ist heute ein Polizeistaat, in dem Menschenrechte massiv verletzt werden", schreibt Hans-Joachim Jungblut vom ASV Senden in seinem Brief an DHB-Präsident Andreas Michelmann. "Das Regime von General Abdel Fattah al-Sisi geht brutal gegen politische und religiöse Oppositionsgruppen vor, auch gegen Journalisten und zivilgesellschaftliche Institutionen. Als im Oktober innerhalb von zehn Tagen fast 50 Menschen hingerichtet worden sind, haben sich sogar die Vereinten Nationen eingeschaltet."
DHB soll über Menschenrechtslage in Ägypten diskutieren
Für ihn seien diese Hinrichtungen das Schlüsselereignis gewesen. "Da habe ich gedacht, das geht doch gar nicht. Da musst du irgendwie tätig werden, wenn auch nur in einem offenen Brief", sagte Jungblut im Deutschlandfunk.
Das Signal, das sich Jungblut vom Deutschen Handball-Bund wünsche, sei eine professionelle öffentliche Diskussion. Beim Thema Corona sei dies gelungen. Genauso könnte man eine Debatte eröffnen, was den Umgang mit politischen Strukturen betrifft, und im Verband die Diskussionen anregen.
Spieler wüssten, was in Ägypten passiert
Die Frage sei, ob es sinnvoll sei, internationale Turniere in Ländern wie Ägypten zu besuchen, in denen Menschenrecht "brutal verletzt wird". Jungblut sagte: "Ich bin mir sicher, dass ein Großteil der Mannschaft und des Begleitpersonals weiß, was in diesem Land passiert, aber sie thematisieren es nicht offen."
Grund für das Schweigen sei unter anderem, dass der Vorsitzender des Weltverbandes, der Ägypter Hassan Moustafa, ein hartes Regiment führe und anderslautende Meinungen schnell sanktioniere, nach dem Motto "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich". Viele Nationalverbände fürchteten, dass sie nicht an den Zuspruch von Turnieren und Geldern kämen, die der Weltverband generiere und verteile.
Spieler könnten Thema auf die Agenda bringen
Jungblut appellierte an die europäische Solidarität und eine Diskussion, die möglicherweise von den Spielergewerkschaften angeführt würde. Das habe bei der Zuschauer-Frage bei der WM bereits geklappt.
14 Kapitäne europäischer Mannschaften hatten in einem gemeinsamen Papier den Auschluss von Zuschauern bei den Spielen gefordert. Die IHF knickte ein, ursprünglich sollten die Hallen bis zu 20 Prozent ausgelastet werden.
Geld- und Prestige-Interessen als Gründe fürs Schweigen
Etwas ähnliches wünscht sich Jungblut auf der politischen Ebene. "Wenn das Thema erst mal auf der Diskursebene ist, muss man sich dazu verhalten. Und dann muss sich auch der Internationale Handballverband dazu verhalten. Aber da ist es nicht", sagte Jungblut enttäuscht und nennt mögliche Gründe: "Da sind Geld-Interessen dahinter, da sind Prestige-Interessen dahinter. Es ist vielleicht auch, ich will niemandem zu Nahe treten, einfach Desinteresse dahinter. Weil auch immer gesagt wird, Sport ist nicht politisch. Dabei ist der Sport sogar sehr politisch."
Jungblut betonte, dass er, wenn er zu entscheiden hätte, mit dem Team nicht nach Ägypten gefahren wäre. "Ich würde versuchen, meine Gremien zu überzeugen, dass das ein falscher Weg ist. Das wäre natürlich ein Eklat und es wäre sicherlich schwierig für den Deutschen Handball-Bund, sich international zu behaupten. Aber deshalb bin ich auch kein Funktionär geworden", sagte Jungblut.
Einerseits Demokratie propagieren, andererseits in Ländern spielen, die sie "mit Füßen treten"
Man müsse anfangen zu diskutieren, "wie man mit dieser Art kontrollierter Schizophrenie umgehen kann." Auf der einen Seite werde im Jugendbereich propagiert, wie man sich in demokratischen Strukturen zurechtfinde und innerhalb dieser agiere.
Dafür gebe es auch DHB-Vorgaben für demokratische Jugendarbeit, in denen Trainer, Verbände und Vereine angehalten werden, Jugendliche zu demokratischen Handlungen zu ermutigen. "Das ist etwas schriftliches, aber in die Praxis hat sich das noch lange nicht bewegt", sagte Jungblut, der an Fachhochschule Münster Professor für Erziehungswissenschaft ist.
Auf der anderen Seite sei zu erleben, wie Spiele in Ländern ausgetragen würden, "die das mit Füßen treten, was man lernen und vermitteln soll"
Sozialisation von Jugendlichem im Verein fördern
Was seinen Verein, den ASV Senden betrifft, erläuterte der Abteilungsvorsitzende, dass man sich – wenn die Pandemielage nicht wäre – normalerweise mit den Spielern über die WM unterhalten würde. "Da ist es auch zwingend und notwendig, dass man auf die besondere Situation in Ägypten verweist und die Missachtung von Menschenrechten thematisiert."
Sein Verein arbeite nicht nur im sportlichen, sondern auch im pädagogisch-erzieherischen Bereich und danach wähle er auch die Trainer aus. Es sei notwendig, die Sozialisation von Jugendlichen zwischen 14 und 18 zu fördern.