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Kritik an NATO-Manövern
"Da müssen deutliche Signale gegeben werden und das hat Steinmeier jetzt getan"

Der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich unterstützt die Kritik von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier an NATO-Manövern in Osteuropa. Das seien deutliche Signale, die jetzt nötig seien, sagte er im Deutschlandfunk. Die Bundesregierung sei gut beraten, wenn sie sich an Steinmeiers Kritik orientiere.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Bettina Klein |
    Rolf Mützenich, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD
    Mützenich: Steinmeiers Erfahrungen nutzen. (deutschlandradio.de / Andreas Diel)
    Steinmeier hatte in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag" geschrieben: "Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen." Wer glaube, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irre.
    Mützenich betonte, Steinmeier spreche für seine Überzeugungen und die SPD-Bundestagsfraktion. Die Entspannungspolitik des Ministers sei richtig. Die Bundesregierung sei gut beraten, auf Steinmeiers Kurs einzuschwenken. Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) "sollten sich an der Erfahrung, die Frank-Walter Steinmeier über eine lange Zeit gemacht hat, durchaus orientieren". Die Erfahrungen seien sehr zweckmäßig auch für den Dialog, der in den nächsten Monaten gebraucht werde.
    Dialog statt militärische Manöver
    Die Forderungen besonders Polens und der baltischen Staaten seien teilweise überzogen. So hätten einige die Frage einer Atomaufrüstung ins Spiel gebracht. "Da müssen deutliche Signale gegeben werden und das hat er jetzt getan", sagte Mützenich zu Steinmeiers Kritik. Es reiche eben nicht, nur über militärische Fragen zu reden. Es müsse wieder einen Dialog geben.
    Mit Blick auf die Sperre russischer Leichtathleten für internationale Wettkämpfe sagte Mützenich, die Institutionen seien gut beraten, den Vorwürfen nachzugehen. Russland und auch anderen Ländern müsse klar sein, dass Verschwörungstheorien nicht weiterhelfen, sondern nur konkrete Schritte.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: "Bild", "BamS" und Glotze, viel mehr brauche man nicht, um Politik zu machen. Dieser Satz wird dem früheren SPD-Kanzler Gerhard Schröder zugeschrieben. Viel geändert hat sich daran bis heute scheinbar nicht, sein Parteikollege jedenfalls – Außenminister Frank-Walter Steinmeier – nutzt an diesem Wochenende die "Bild am Sonntag", um in einem Gastbeitrag scharfe Kritik, wie es sich liest, am NATO-Manöver in Osteuropa und an der geplanten Truppenaufstockung zu üben. Und wie wir das jetzt einzuordnen haben, diese Kritik von Außenminister Frank-Walter Steinmeier an der NATO-Strategie, darüber können wir jetzt sprechen mit Rolf Mützenich. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag, dort zuständig für Außen- und Verteidigungspolitik, und ich begrüße ihn jetzt im Studio. Schönen guten Tag, Herr Mützenich!
    Rolf Mützenich: Guten Tag, Frau Klein!
    Klein: Danke, dass Sie zu uns gekommen sind und wir darüber sprechen können! Wir haben beide den Text des Gastbeitrags nicht komplett vorliegen, allerdings gibt es bereits eine E-Mail mit Auszügen aus der "Bild am Sonntag". Wie verstehen Sie das? Wir haben ja bisher nicht wirklich diese Art der Kritik aus der Bundesregierung gehört. Spricht Steinmeier jetzt für sich persönlich oder spricht er für die Bundesregierung?
    Mützenich: Nein, ich glaube nicht, sondern er spricht für seine Überzeugung und er spricht auch für uns in der SPD-Bundestagsfraktion, die immer gesagt haben, auf der einen Seite ist das, was an Rückversicherung zurzeit notwendig ist, wichtig, aber ich glaube, insbesondere wollte Frank-Walter Steinmeier darauf hinweisen, gegen Regierungen in Osteuropa, aber auch in anderen Ländern: Es reicht eben nicht, alleine nur über militärische Fragen zu reden, sondern wir müssen uns endlich wieder darangeben, einen Dialog, und insbesondere auch einzusehen, dass mit Russland bestimmte Sicherheitsfragen, die in unserem und im Interesse der Russen sind, auch nur gemeinsam gelöst werden können.
    Klein: Das ist sicherlich der eine Teil. Aber die Kritik, die sich dort wörtlich liest, ist doch relativ scharf. Ich darf das noch mal zitieren: Wer glaube, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Und er sagt auch: Was wir jetzt nicht tun sollten, ist, durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Welche Panzerparaden meint denn Steinmeier, wenn nicht das NATO-Manöver?
    Mützenich: Nun, es sind nicht nur diese Manöver, die er glaube ich angesprochen hat, sondern insbesondere auch in den vergangenen Monaten Diskussionen in verschiedenen Regierungen innerhalb von NATO-Staaten, die gesagt haben, es geht eben nicht nur darum, für einen bestimmten Zeitraum eine militärische Rückversicherung zu haben, sondern für eine ständige Stationierung. Das war zum Beispiel die polnische Regierung gewesen, aber auch in den baltischen Staaten gibt es diese Diskussion, einige haben sogar wieder die Frage von Atomrüstung in den Vordergrund gebracht. Und deswegen ja auch sein Hinweis auf Abrüstung und Rüstungskontrolle. Und das deckt sich auch mit unseren Überzeugungen.
    "Russland will eben diesen Weg auch mitgehen"
    Klein: Gut, aber die NATO reagiert ja im Grunde genommen auf Wünsche, auf Forderungen aus den baltischen Staaten, aus Polen, aus Staaten Osteuropas. Mir ist jetzt nicht bekannt, dass es einen weiteren NATO-Partner gegeben hätte, der da ähnlich klingt wie Steinmeier. Also ist Deutschland oder ist der deutsche Außenminister dabei, sich gerade in eine isolierte Position zu bringen in der NATO?
    Mützenich: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt südeuropäische Regierungen, es gibt Ministerpräsident Renzi, aber es gibt auch in Skandinavien durchaus weiterhin Ansätze, die ja teilweise auch aus der geschichtlichen Erfahrung im Umgang mit Russland sind, die darauf hinweisen, wir brauchen diese Dialogangebote und wir müssen letztlich einsehen, dass bestimmte Interessen auch die Interessen Russlands sind. Und da sollten wir uns aufeinander zubewegen. Die jüngste Sicherheitsratsresolution 2292 zu Libyen hat ja deutlich gemacht, dass Russland eben diesen Weg auch mitgehen will, auch mit westlichen Partnern. Und ich finde, deswegen ist auch der deutliche Hinweis, der jetzt notwendig ist in diesem Zusammenhang, auch als Hinweis an die russische Seite durchaus gegeben und wir sind Frank-Walter Steinmeier da sehr dankbar für diesen Gastbeitrag.
    Klein: Aber noch mal nachgefragt, Herr Mützenich: Wenn Sie sagen, Steinmeier spricht nicht nur für sich, er spricht auch für die SPD, ist das jetzt eine klare Kritik an der NATO-Politik der Truppenaufstockung und des Manövers oder nicht?
    Mützenich: Es ist zumindest eine Kritik an denjenigen, die mehr verlangen letztlich innerhalb des Bündnisses und weder auf die Dialogforen, die wir ja zum Beispiel innerhalb der NATO, den NATO-Russland-Rat, und man sollte ihn unterstützen, ich glaube, das ist wichtig, auch als Zeichen an die russische Regierung … aber auch die Möglichkeiten zu nutzen, die Frank-Walter Steinmeier innerhalb des jetzigen Vorsitzes der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit angeboten hat. Er wollte ja genau in diesem Jahr auch wieder beginnen, über konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle, die notwendig ist, auch zu reden. Und ich glaube, das war auch ein wichtiger Hinweis, den er in diesem Gastkommentar in der "Bild" unternimmt.
    Klein: Der Eindruck kann natürlich schon entstehen, er ist ja bisher der Einzige aus der Bundesregierung, der diese Kritik oder dieses Distanzieren öffentlich vertritt. Also müssen wir dann auch davon ausgehen, dass es in gewisser Ebene zumindest eine Spaltung in der Bundesregierung gibt?
    Mützenich: Von Spaltung möchte ich nicht reden, möglicherweise gibt es unterschiedliche Interpretationen, die auch von dem Ressortprinzip her gelten. Das mag sein, aber ich glaube, die Bundesregierung wäre insgesamt gut beraten, auch diese Position von Frank-Walter Steinmeier aufzunehmen, weil, er hat ja immer wieder richtig gelegen. Als es um die Deeskalation in der Ukraine-Krise gegangen ist, hat er die Bundeskanzlerin ja durchaus auch mit darin unterstützt, diesen Weg zu gehen, nach Minsk. Das war nicht vorauszusehen, ob wir am Ende auch eine Vereinbarung bekommen. Aber da müssen deutliche Signale gegeben werden und das hat er jetzt getan.
    Klein: Das heißt, es ist Ihr Appell auch an die Bundesverteidigungsministerin, auch an die Bundeskanzlerin, sich jetzt ähnlich zu äußern und auch sozusagen das NATO-Manöver und die Aufstockung dort zu kritisieren?
    Mützenich: Diese Personen sind souverän, aber ich glaube, sie sollten sich an die Erfahrung, die Frank-Walter Steinmeier über eine lange Zeit auch gemacht hat, durchaus orientieren. Und ich glaube, diese Erfahrungen sind sehr zweckmäßig auch für den Dialog, den wir in den nächsten Monaten brauchen.
    Klein: Man könnte auch den Eindruck gewinnen, Herr Mützenich, dass Steinmeier da auch versucht, an den politischen Rändern im Augenblick Wähler zu gewinnen, sage ich mal, oder zurückzugewinnen, an den Rändern, dort, wo man Russland gegenüber sehr, sehr freundlich eingestellt ist, der NATO gegenüber eher feindlich bis hin zu Forderungen, dass Deutschland die NATO verlassen sollte. Müssen wir es auch interpretieren als einen Versuch, auf diese Wähler zuzugehen?
    Mützenich: Es geht nicht darum, an den Rändern letztlich politische Orientierung zu bekommen, sondern die politische Orientierung, die Frank-Walter Steinmeier und mit ihm auch die sozialdemokratische Partei aus der Entspannungspolitik heraus gewonnen hat, überzeugend darzulegen. Und wenn sich davon Wählerinnen und Wähler angesprochen fühlen, ist das durchaus auch ein wichtiger Hinweis, dass die Programmatik, die wir in den letzten Monaten in der Bundesregierung versucht haben, genau der richtige Weg ist.
    Reaktion Russlands auf Doping-Vorwürfen
    Klein: Da wir gerade über Russland sprechen, wir werden das Thema nachher auch noch vertiefen, Herr Mützenich. Wir haben nach der Doping-Entscheidung, russische Leichtathleten sozusagen jetzt weiterhin zu sperren, möglicherweise dürfen sie auch nicht an Olympia teilnehmen, hören wir aus Moskau nun wiederum Worte, das sei doch eher auch eine Verschwörung westlicher Medien, die ARD ist angegriffen worden, auch der Kollege, der diese Recherchen mitbefördert hat, ist auch namentlich angegriffen worden. Wie sollten wir denn darauf reagieren?
    Mützenich: Das ist ein schlimmer Reflex, den wir immer wieder auch in Russland letztlich sehen, über Verschwörungstheorien bestimmte Missstände eben nicht zu beschreiben. Sondern ich glaube, die russischen Institutionen wären gut beraten, weiterhin diesen Vorwürfen auch nachzugehen. Auf der anderen Seite müssen wir auch erkennen, die russische Regierung will jetzt auch alle Möglichkeiten des Weiteren Rechtsweges auch ausschöpfen. Darin können wir sie nicht kritisieren, aber ich glaube, insgesamt muss Russland, aber muss auch letztlich anderen Ländern klar sein, mit Verschwörungstheorien helfen wir nicht weiter, sondern nur mit konkreten Schritten. Und das ist ja auch durch den Gastbeitrag von Frank-Walter Steinmeier deutlich geworden.
    Klein: Aber ist an der Stelle vielleicht auch die Politik gefordert, sich möglicherweise auch vor Journalisten zu stellen, die jetzt von Moskau aus angegriffen werden, die aber ihren wichtigen Beitrag in dieser Recherche vollzogen haben?
    Mützenich: Auf jeden Fall, das würden wir jetzt tun und das haben wir auch in der Vergangenheit getan. Das hat ja dieser Sender auch sehr hautnah letztlich erlebt und wir haben das auch immer wieder gesagt: Diese Recherchen sind wichtig, sind nachvollziehbar und gehören zu einem pluralen Medienbild auf jeden Fall mit dazu. Das unterstützen wir und wir würden gerne plurale Meinungsäußerung in Moskau auch sehr gerne sehen.
    Klein: Rolf Mützenich, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für diese Einschätzungen und Ihren Besuch im Studio heute im Deutschlandfunk!
    Mützenich: Danke für Ihre Einladung, Frau Klein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.